Der Streit um Person und Aktivitäten von Emil Georg Bührle flammt immer wieder auf, obwohl der Waffenfabrikant, Kunstkäufer und Mäzen bereits 1956 verstorben ist.
Bührle ein Antisemit? Ein deutschnationales Mitglied eines Freikorps? Der skrupellose Ausrüster der Nazi-Armee durch seine in der Schweiz fabrizierten und neutralitätswidrig nach Deutschland exportierten Waffen? Ein Profiteur von Zwangsarbeit? Ein Kunstkäufer von Raubgut und Fluchtgut aus jüdischen Sammlungen? Ein Mäzen, der sein Eintrittsbillett in die Elite der Zürcher Gesellschaft clever und teuer erkaufte?
Möglicherweise vieles von allem. Ein Mann im Clair-obscur, umgeben von der undurchsichtigen grauen Aura des Waffenfabrikanten, dessen Rüstungsgüter viele Menschen töteten, durch die Nazis, über Nigeria bis zu den wieder bewilligten Exporten für die US-Seite des Korea-Krieges, der die Waffenschmiede in Zürich-Oerlikon zu alter Blüte brachte.
Und ein Mann noch dazu, der laut mehreren Hinweisen als junger Deutscher 1913 mit 23 Jahren in einer Galerie sah, was seine andere Seite, die des Kunstsammlers, beschäftigen sollte: die französischen Impressionisten. Später kam noch die klassische Moderne hinzu. Solche Begegnungen der dritten oder vierten Art haben viele, aber nur wenigen gelingt es, zunächst dank dem Waffenhandel mit Nazi-Deutschland, so reich wie Bührle zu werden, um Millionen für Kunstwerke hinzublättern. Egal aus welcher trüben Quelle sie stammten.
Cézanne als Höhepunkt
Höhepunkte der in eine Stiftung transformierten Sammlung Bührle: «Der Knabe mit der roten Weste» von Paul Cézanne. Seerosen von Claude Monet. Gemälde von Vincent Van Gogh und so weiter. Das Kunsthaus wird 182 Kunstwerke als Dauerleihgabe für den Neubau des Stararchitekten David Chipperfield erhalten, wie „Tachles“ vom Sprecher des Kunsthauses erfuhr. Sie alle sind Eigentum der Stiftung Sammlung E. G. Bührle.
Das Auseinanderhalten der Besitzverhältnisse ist kompliziert, weil es in der Sammlung auch Privateigentum der beiden Stifterfamilien gibt. Ausser dem Sohn gab es auch die Tochter Hortense, die den Starpianisten Geza Anda heiratete. Beide Familien haben etliche Millionen für den Neubau beigesteuert, aber nicht annähernd so viel wie die 20 Millionen Franken des Autoimporteurs Hefner.
Die Vereinbarung mit dem Kunsthaus Zürich schien für alle Seiten ein Glücksfall. Denn das frühere Heim der Sammlung an der Zürcher Zollikerstrasse war nicht besonders gut gesichert. So konnten im Februar 2008 drei maskierte Männer in die Villa spazieren, seelenruhig vier der wertvollsten Gemälde abhängen und mit ihnen verschwinden. Darunter befanden sich der «Knabe mit der roten Weste» und ein Degas. Durch glückliche Fügungen konnten alle vier Bilder wieder gefunden werden.
So viel Glück hatte Bührle nicht immer. Obschon er ausser Flak von meist journalistischen Kritikern keine Probleme mit seinen Kunstkäufen hatte: 1948 musste Bührle vor Bundesgericht erscheinen und darzulegen versuchen, er habe die 13 Gemälde im Restitutionsprozess gutgläubig gekauft, ohne zu wissen, dass es sich um Raubgut oder Fluchtgut handle. Die Kläger plädierten dagegen natürlich auf Böswilligkeit. Das Bundesgericht entschied sich für Gutgläubig und schuf damit einen Freipass für private Käufer und öffentliche Museen, die Kunstwerke auch aus beschlagnahmten, meist jüdischen Sammlungen erwarben, schreibt Esther Tisa. Bührle kaufte die 13 Bilder ein zweites Mal, aber diesmal von den rechtmässigen Erben.
Die Schweiz war vor und während dem Zweiten Weltkrieg die Nazi-Drehscheibe von beschlagnahmten Meisterwerken. Bührle schöpfte aus diesen Quellen. Er nahm sogar teil an der schon damals umstrittenen Auktion von «Entarteter Kunst» beim hauptsächlichen Händler für Nazi-Deutschland, in der Galerie Fischer in Luzern. Er ersteigerte dort auch drei Bilder.
Was ist Raubgut, Fluchtgut?
Was ist Raubgut, was Fluchtgut? Das war bereits von 1997 bis 2002 ein Thema für eine Studie der Bergier-Kommission. Heute weiss kaum jemand so viel über die in der Schweiz bis zum Fund der Sammlung Gurlitt unbenützte Kategorie Fluchtgut. Erst im Kielwasser des Vertrags des von Gurlitt als Erbe eingesetzten Kunstmuseums Bern mit dem deutschen Kulturministerium gelangte das Wort «Fluchtgut» in unseren Sprachgebrauch. Andrea Raschèr in Zürich hat kürzlich darüber ein Buch herausgegeben. Für ihn ist klar:
«Rechtlich sollten unter dem Begriff Raubkunst alle Kunstverluste zusammengefasst werden, die durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten verursacht wurden. Für die Schweiz heisst das, dass die Unterscheidung zwischen Raubkunst und Fluchtgut eine hilfreiche Unterscheidung bei historischen Recherchen ist, als rechtliche Kategorie jedoch nicht haltbar. Verursacht wurden alle diese Verluste durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten, weshalb der Begriff Raubkunst in der Schweiz alle NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstgegenstände umfassen sollte.» (1)
Seit vielen Jahren, so der Kunsthaussprecher, gab es Gespräche zwischen der Sammlungs-Direktion (heute Lukas Gloor) und jener des Kunsthauses (heutiger Präsident Walter B. Kielholz sowie Direktor Christoph Becker), einen Teil der mehr als 600 Werke umfassenden Kunstsammlung ins Zürcher Kunsthaus zu integrieren. Dies umso mehr nach dem Überfall im Jahr 2008 auf die Sammlungs-Villa.
Die Geschichte und die Geschichten der Sammlung und der 182 Kunstwerke, hoffentlich samt ihrer Herkunft, sollen transparent erzählt werden. Der Sprecher des Zürcher Kunsthauses versichert, dass die Kritikpunkte an der Sammlung Bührle in der geplanten Ausstellung ab Herbst 2021 ordentlich aufgearbeitet werden sollen. Gleich beim Eingang werde es einen Dokumentationsraum geben, in dem angestrebt werden soll, alle Fragen mit verschiedenen Methoden zu beantworten. Es gebe Tafeln mit der Provenienz unter entsprechenden Gemälden, und vor allem soll es ausführlich programmierte Audio-Guides sowie kompetente Führungen geben.
Schnapsidee?
War es eine Schnapsidee, die umstrittene Sammlung Bührle in den Chipperfield-Neubau zu integrieren? Noch dazu in direkter Nachbarschaft mit der nicht minder strahlenden Sammlung Gabriela und Werner Merzbacher? Aus der Sicht von Behörden und des Kunsthauses und vom nackten Standpunkt des Standortmarketings sicher nicht. Der Name der Sammlung Bührle ist durch Ausstellungen – und durch die Aura des Mysteriösen, halb Legalen – weltweit bekannt und neben der Sammlung von Werner und Gabriela Merzbacher und dem Chipperfield-Bau ein sicherer Publikumsmagnet (nach der Corona-Pandemie).
Die Sammlung des jüdischen Ehepaars Merzbacher bildet auch den biografischen Kontrapunkt. Werner Merzbacher kam als Flüchtling aus Deutschland in die Schweiz und versteht die Leihgabe seiner Sammlung an das Kunsthaus Zürich als Dankbarkeit gegenüber der Eidgenossenschaft.
Gefälligkeiten
Der teuren Verbindung von Emil G. Bührle und der Zürcher Kunstgesellschaft musste Rechnung getragen werden. Als der Waffenfabrikant Bührle, seit 1937 Schweizer Bürger, anstrebte, es bis zur gesellschaftlichen Elite zu schaffen, lief dies über das Bankkonto. Seine Herkunft spielte keine Rolle mehr, auch nicht die Herkunft des Geldes. Durch grosszügige Zuwendungen an die Zürcher Kunstwelt gelangte Bührle bis in den erlauchten Vorstand der Kunstgesellschaft.
In mehreren Etappen zahlte Bührle 10 Millionen Franken für einen Erweiterungsbau des Kunsthauses, dessen Eröffnung von 1958 er nicht mehr erlebte. Heute müsste an diese Spende von 10 Millionen noch eine Null angehängt werden. Weit unter jedem Radar finanzierte E. G. Bührle im Stadtteil Oerlikon seines Firmendomizils die christkatholische Christuskirche. Dies und der späte Ankauf alter Meister und mittelalterlicher Objekte lassen bis heute in der Fachszene über seine Religiosität rätseln. Es gäbe aber wichtigere Aspekte von E. G. Bührle zu enträtseln. Als der Waffenhandel abflaute, diversifizierte Bührle nicht nur seine Firma Oerlikon-Bührle (früher Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon) mit anderen Produkten und förderte fortan auch Theater und Literatur. Der Beginn des Korea-Kriegs erlaubte ihm, erneut Waffen zu verkaufen, diesmal an die USA.
Als längst sicher war, dass die Sammlung E. G. Bührle in den Kunsthaus-Neubau des Stararchitekten David Chipperfield einziehen würde, gab es Unruhe. Daraufhin wandelte sich die oft zitierte Erinnerungskultur in eine Erinnerungspolitik. Besorgt beschlossen Stadtpräsidentin Corine Mauch und Regierungsrätin Jacqueline Fehr, beide SP, einen unabhängigen wissenschaftlichen Forschungsbericht über Bührle, seine Sammlung und seine Geschichte machen zu lassen.
Der Auftrag erging 2017 an Matthieu Leimgruber, Extraordinarius für die Geschichte der Neuzeit und der Schweiz, an der Universität Zürich. Leimgruber ist der Nachfolger des prominenten emeritierten Professors Jakob Tanner. So weit, so gut. Die Politik erlaubte allerdings die Gründung eines «Steuerungsausschusses», in dem alle Interessierten sassen. Er entwickelte sich zum Kontrollorgan über die Forscher, an das sie offenbar regelmässig Bericht erstatten und von dem sie Änderungswünsche entgegennehmen mussten. Es entstand trotzdem ein gut lesbares Produkt mit einem umfangreichen Anhang, mit vielen Fotos und Tabellen. Der Schluss war – bis jetzt – nicht ganz fertig formuliert.
Ein Forscher steigt aus
Im Frühling 2020 stieg der Co-Auor Erich Keller wegen der Übergriffe aus dem Steuerungsausschuss und Verletzung seiner Autorenrechte aus und ging an die Öffentlichkeit. Er gab bekannt, dass er im Sommer 2021 ein Buch mit dem Titel «Das kontaminierte Museum» publizieren wolle. Wegen dieses Krachs bestellte der Prorektor zwei externe Gutachten, von Jakob Tanner und der Provenienz- und Museumsforscherin Esther Tisa Francini, zur Begutachtung der Qualität und des Inhalts des Forschungsberichts.
Beide Gutachten sind auffallend verständnisvoll und kollegial. Allerdings weisen sie die Forscher auch auf zahlreiche Mängel hin. Etwa wichtige Fragen von Esther Tisa Francini, weshalb das Archiv der Stiftung Sammlung E. G. Bührle nicht genutzt wurde. Oder warum nicht erforscht wurde, warum und bei wem Bührle 1941 im deutsch besetzten Paris Gemälde einkaufen konnte. Geschmack hatte er ja, der Waffenhändler. Vor etlichen Jahren stellte die National Gallery in Washington die Sammlung aus mit dem schönen Titel «The Passionate Eye».
Es ist schade um die sorgfältigen Gutachten. Aber es müsste nun bald eine wirklich unabhängige Forschungsarbeit in die Wege geleitet werden. Eine, die ohne Behinderung die Geschichte von E. G. Bührle, seinem Aufstieg zum reichsten Schweizer und zum Sammler von erstklassigen Kunstwerken aufrollt.
(1) Andrea. G. Raschèr, Kap. 6 § 10 Raubkunst. In: Kultur Kunst Recht – Schweizerisches und internationales Recht, Basel 2020, 2. Auflage (hrsg. von Peter Mosimann, Marc-André Renold und Andrea F. G. Raschèr)