„Der Kreis“ war eine Zeitschrift. „Der Kreis“ war eine Schwulen-Organisation. Nun ist „Der Kreis“ ein Film, der von der Liebe zweier Männer in Zürichs schwuler Subkultur erzählt und vom BAK soeben als Oscar-Anwärter nominiert wurde.
Schwule Glaubwürdigkeit
Erst sollte es eine Dokumentation werden, dann ein abendfüllender Spielfilm. Aus beidem wurde nichts. Zum Glück, möchte man im nachhinein sagen. Denn die Doku- Fiction, die Stefan Haupt nun statt dessen vorlegt, enthält von beiden Gattungen das Beste: Sie ist grosses Kino, und sie ist historisch fundierte Dokumentation. Das eine bürgt für die Glaubwürdigkeit des andern.
Die Geschichte zweier Menschen zu erzählen, die noch leben, und diese Geschichte von Schauspielern nachspielen zu lassen, stellt ein hohes formales und darstellerisches Risiko dar. Stefan Haupt ist es eingegangen – und hat gewonnen.
Die Älteren sind besser
Sein Film „Der Kreis“ erzählt von der mittlerweile fast 60 Jahre währenden Liebe zwischen dem Französischlehrer Ernst Ostertag und dem Travestie-Künstler Röbi Rapp, und er bettet die Geschichte dieser Liebe ein in die Darstellung jener schwulen Subkultur, für die Zürich nach dem zweiten Weltkrieg weit über die Landesgrenzen hinaus berühmt gewesen war. Mit den beiden alten Herren, die ein Leben lang für Gleichberechtigung und Anerkennung gekämpft und sich 2003 als erstes männliches Paar im Zürcher Stadthaus das Ja-Wort gegeben haben, stehen ihm Zeitzeugen von seltener Präsenz und Verlässlichkeit zur Verfügung.
Es wäre ein Jammer gewesen, hätte der Regisseur zu Gunsten einer Spielfilmversion auf die beiden verzichten müssen. Mit Matthias Hungerbühler und Sven Schelker hat er zwar zwei junge Schauspieler gefunden, die in ihren Rollen absolut überzeugen. Wenn jedoch Ernst ins Erzählen kommt und Röbi im Fummel eins seiner berühmten Chansons zum Besten gibt, dann haben die Jungen einen schweren Stand.
Beglaubigung schwuler Subkultur
Es ist müssig, im nachhinein darüber zu spekulieren, was ein Spielfilm aus dem hochemotionalen Stoff gemacht hätte. Jetzt zählt, was auf der Leinwand zu sehen ist, und das überzeugt: nicht nur, weil die dokumentarischen und die filmischen Elemente gekonnt ineinander verzahnt sind, sondern auch, weil das Gezeigte durch die persönlichen Erfahrungen der beiden Protagonisten in hohem Masse beglaubigt wird. Letzteres scheint mir umso wichtiger, als sich das zwischen Libertinage und Repression schwankende Klima von damals einem jüngeren Publikum nur noch sehr bedingt vermitteln lässt.
Zu sehr haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse inzwischen verändert, zu selbstverständlich ist mittlerweile vieles geworden, um das in den 50er und 60er Jahren noch heftig gerungen wurde. Die schwule Subkultur von damals gibt es in dieser Form nicht mehr, das Selbstverständnis der Schwulen hat sich ebenso verändert wie die Einstellung der Gesellschaft sexuellen Minderheiten gegenüber.
Leidende Schwule, im Alter vereint
Deshalb lässt sich die Schwulen-Szene von einst zwar filmisch rekonstruieren und schauspielerisch darstellen. Was es jedoch in jenen Jahren bedeutet hatte, schwul zu sein, seine Liebe nur im Verborgenen leben zu können und dabei permanent Angst um seine bürgerliche Existenz haben zu müssen, das kann einem erst das Zeugnis der beiden Protagonisten gefühlsmässig so richtig näher bringen. Es gehört zu den Highlights des Films, die beiden alten Männer erzählen zu hören und dabei zu erfahren, wie sie gekämpft und gelitten, geliebt und gefeiert haben und auch, wie sie bis heute die Kränkungen spüren, die ihnen das bürgerliche Establishment, die Eltern, die Arbeitskollegen und allen voran die Polizei, zugefügt hat. Nicht minder berührend ist es aber auch, zu sehen, wie die beiden heute ihre Gemeinschaft gestalten und mit welcher Zärtlichkeit und welchem Respekt sie sich nach wie vor zugetan sind.
Erst vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen beginnt die Geschichte so richtig zu leben, und man begreift, warum Ernst Ostertag und Röbi Rapp bis heute nicht müde werden, für die Anliegen der Schwulen auf die Barrikaden zu gehen. Nur so erklärt sich aber auch die unterschwellige Angst der heute über Achtzigjährigen, die wissen, wie leicht scheinbare Duldung in handfeste Verfolgung umschlagen kann. Sie haben es selbst erlebt damals, zu Beginn der 60er Jahre, als die Polizei nach zwei Stricher-Morden Razzien veranstaltete und Schwulenregister anlegte und damit auch dem „Kreis“ und seinem weit über Zürich hinaus aktiven Abonnentenstamm das Todesurteil sprach.
Geheimnis und Bestand schwuler Liebe
Es ist Stefan Haupts grosses Verdienst, dass er das alles erzählt, ohne zu belehren und auch ohne zu beschönigen. Er zeigt eine Gesellschaft, die engstirnig ist, feindselig und aggressiv, er hütet sich aber vor jeglicher Pauschalisierung. Er zeigt eine Schwulen-Szene, die sich im Untergrund behauptet und um ihre Daseinsberechtigung kämpft, er verschweigt aber auch die Querelen und Missstände nicht, die in diesem Milieu herrschten. Vor allem aber zeigt Stefan Haupts Film Menschen: Menschen mit all ihren Widersprüchen und Schwächen, mit ihrer Sehnsucht nach Liebe, mit ihren Ängsten und ihren Talenten und mit ihrer Fähigkeit, einander Gutes zu tun.
Natürlich ging es Stefan Haupt auch darum, historische Hintergründe und gesellschaftspolitische Entwicklungen zu thematisieren, zuerst und vor allem jedoch ging es ihm um die Geschichte zweier Liebender und um das Geheimnis, das dieser Liebe allen Widrigkeiten des Lebens und allen Zumutungen des Alters zum Trotz bis heute Bestand verleiht. Dass er an das Geheimnis nicht rührt und es nicht zerredet, ist eine weitere Stärke seines Films, der den Bildern vertraut und es dem Publikum überlässt, aus dem Gezeigten Schlüsse zu ziehen. Der Erfolg, den „Der Kreis“ bislang auf zahlreichen Festivals bei Kritik und Publikum erzielte, gibt ihm auf der ganzen Linie recht.
Der Film „Der Kreis“ läuft seit 18.9. in den Kinos der deutschen Schweiz. Ende Oktober startet er in Deutschland und den USA. Vom 19.11. an ist er auch in der Romandie und in Polen zu sehen. Er ist in mehr als 15 Länder verkauft und zu über 70 internationalen Filmfestivals eingeladen worden.