Sagt Ihnen das Wort Darfur noch etwas? Vor zehn Jahren brach in diesem Teil Sudans ein Krieg aus, der von vielen als Genozid bezeichnet wurde. Der Krieg geht weiter, doch die Weltöffentlichkeit nimmt keine Notiz mehr davon.
Vergangene Woche beschäftigte sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder einmal routinemässig mit dem Dauerkonflikt. Die jüngsten Nachrichten sind alarmierend. «Die Kämpfe zwischen Stammesgruppen haben in den letzten drei Monaten 166’000 Menschen in die Flucht getrieben, viel Sachschaden angerichtet und die für den Wiederaufbau bestimmten Gelder verschlungen», berichtete der UNO-Vertreter in Khartum, Mohammed Ibn Chambas. Über die Zahl der Todesopfer machte der Ghanaer keine Angaben. Er nannte auch eine der Ursachen der wieder aufgeflammten Kämpfe nicht: den Ansturm auf frisch entdeckte Goldvorkommen.
Grösste UN-Friedensmission auf verlorenem Posten
Chambas leitet die internationale Friedenstruppe in Darfur (UNAMID), die aus Kontingenten der UNO und der Afrikanischen Union besteht. UNAMID ist derzeit die grösste internationale Friedensmission der Welt. Sie kostet die UNO im laufenden Haushaltsjahr mehr als 1,3 Mia. Dollar. Die 19’548 Soldaten und Polizisten sowie 4’398 Zivilbediensteten stehen aber in der Region von der Ausdehnung Frankreichs mit rund sechs Millionen Einwohnern auf verlorenem Posten.
Die Verluste der UNAMID sind steigend. Mitte Oktober wurden drei senegalesische Soldaten, die einen Wassertransport eskortierten, von Unbekannten angegriffen und erschossen. Drei Tage zuvor geriet ein Militärbeobachter aus Sambia in einen Hinterhalt und wurde erstochen. In beiden Fällen ging es den Tätern um die Aneignung der Fahrzeuge. Am 13. Juli waren bei einem Überfall sieben tansanische Soldaten getötet und 17 weitere verwundet worden. Insgesamt haben bisher 168 UNAMID-Angehörige im Einsatz das Leben verloren.
Rebellenbewegungen im Goldrausch
Eigentlich sollten die Waffen schweigen. 2011 einigten sich die sudanesische Zentralregierung und die beiden wichtigsten Rebellengruppen Darfurs – die Bewegung für Befreiung und Gerechtigkeit (LJM) und die Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (JEM) – auf ein Friedensabkommen. Das mittlerweile von allen drei Parteien unterzeichnete «Doha-Dokument für Frieden in Darfur» wurde durch Vermittlung Katars ausgehandelt. Der UNO-Vertreter im Sudan bemüht sich seither, auch die kleineren Rebellenbewegungen an Bord zu holen. Doch der Goldrausch höhlt das Abkommen aus.
Nach verschiedenen Schätzungen hat der Darfurkonflikt bisher zwischen 200’000 und 300’000 Todesopfer gefordert – also etwa gleich viel wie der Bürgerkrieg in Syrien. Rund zwei Millionen Menschen wurden aus ihren Heimstätten vertrieben oder flüchteten in die Nachbarländer. Am Anfang stand ein Verdrängungskampf zwischen arabischen und schwarzafrikanischen Volksgruppen. Es ging um die spärlichen Ackerböden und Weidegründe, ein in weiten Teilen Afrikas endemischer Konflikt. Die schwarzhäutigen Ethnien Darfurs beschuldigten die Regierung in Khartum, die arabischen Stämme in diesem Kampf zu unterstützen.
Wirkungslose Klage gegen al-Baschir
Berüchtigt sind die von der Regierung bewaffneten Janjaweed-Milizen, die auf Kamelen oder geländegängigen Fahrzeugen Dörfer niederbrannten und ihre Bewohner vertrieben oder töteten. Der Weltstrafgerichtshof in Den Haag erliess 2009 einen internationalen Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir wegen schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eine Anklage auf Völkermord kam im UNO-Sicherheitsrat nicht durch. Generalleutnant al-Baschir, der sich 1989 an die Macht geputscht hatte, vermeidet seit dem Haftbefehl Reisen in westliche Staaten und zur UNO-Generalversammlung in New York, ist aber in den meisten arabischen und afrikanischen Ländern weiterhin willkommen.
Das Rückgrat der Janjaweed-Milizen bildeten Angehörige des Rizeigat-Stammes. Jetzt liegen die Rizeigat mit dem Baschir-Regime im Streit und kämpfen gegen andere arabische Stämme um die Goldminen von Dschebel Amer, die sich über zehn Kilometer im Nordwesten Darfurs erstrecken. Die stärksten Rivalen der Rizeigat sind die Maaliya und die mit Baschir verbündeten Bani Hussein. Der Kampf ums Gold hat seit Beginn des Jahres bereits mehr als 800 Menschenleben gekostet.
Gold ist Hauptexportgut des Sudans
Für die sudanesische Regierung sind die vor anderthalb Jahren entdeckten Goldvorkommen ein Geschenk des Himmels. Nach dem Verlust des Süd-Sudans, der jetzt ein von der UNO anerkannter souveräner Staat ist, versucht die Führung in Khartum die entgangenen Erdölgewinne durch den Export von Gold wettzumachen. 2012 wurden rund 50 Tonnen dieses Edelmetalls gefördert, was den Sudan zum drittgrössten Produzenten des Kontinents hinter Südafrika und Ghana machte. Laut der Nachrichtenagentur Reuters führte der Sudan vergangenes Jahr Gold im Wert von 2,2 Mia. Dollar aus, was mehr als 60 Prozent aller Exporterträge des Landes darstellt.
Nach Angaben des sudanesischen Bergwerksministeriums sind jetzt eine halbe Million Goldsucher im Norden Darfurs und den angrenzenden Gebieten mit Metalldetektoren und Spaten unterwegs. Konflikte zwischen den ethnisch ausgerichteten Bevölkerungsgruppen sind dabei vorprogrammiert.
Vergessener Krieg
Für die UNO sind die neuen Verdrängungskämpfe in Darfur nur mehr ein «Konflikt von niedriger Intensität». Die Weltöffentlichkeit hat den Krieg längst vergessen. Auch von der 2004 gegründeten «Save Darfur Coalition», die einst Hollywood-Stars wie George Clooney und Mia Farrow mobilisierte, ist nur mehr wenig zu hören. Diese vom Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel mitbegründete Koalition zur Rettung Darfurs, der nach eigenen Angaben 190 Nicht-Regierungs-Organisationen unterschiedlicher politischer und religiöser Couleur angehören, geriet ihrerseits unter Beschuss. Die Fäden an ihrem Sitz in Washington zogen nämlich jüdische und fundamental-christliche Kreise, deren humanitären Beweggründe in Zweifel gezogen wurden. Ausserdem wurde «Save Darfur» von Kritikern beschuldigt, die Spendengelder hauptsächlich für die Eigenfinanzierung und ganzseitige Inserate in den grossen Zeitungen ausgegeben zu haben.
Aus den Medien ist der Darfurkonflikt fast völlig verschwunden. Fazit: Vergessene Kriege dauern länger.