Der Hype könnte nicht perfekter programmiert sein: Eine Frau, eine Schwarze, gut 50 Jahre alt, mit Erfolgen an ersten Kunstadressen rund um die Welt. Als US-Amerikanerin stammt sie aus einem Land, das wir immer wieder mit Rassenproblemen und -Unruhen in Verbindung bringen und dessen Gesellschaft wir als immer tiefer gespalten wahrnehmen. Black Lives Matter und der Prozess gegen George Floyd wabern inklusive gewalttätiger Demonstrationen schlagzeilenträchtig bis zu uns. Und rechtzeitig jährt sich zum einhundertsten Mal das Massaker von Tulsa, was dunkler US-Geschichte eine neue Gegenwart gibt. Auch wenn das Basler Kunstmuseum die Ausstellung der Zeichnungen von Kara Walker schon längst ins Programm aufnahm und wegen Corona schieben musste: Das Ereignis fügt sich, als wäre es Kalkül, in die gegenwärtige politische Stimmung.
Herausragende Zeichnerin
Unabhängig von jeder medialen und politischen Begleitmusik ist aber festzuhalten: Kara Walker vertritt ihr politisch geprägtes künstlerisches Anliegen – das Dasein der Schwarzamerikanerinnen und -Amerikaner in Vergangenheit und Gegenwart – hartnäckig und überzeugend. Sie geht dabei aufs Ganze und lotet die Grenzen aus. Und sie ist, das zeigt die von Anita Haldemann betreute Basler Ausstellung, eine herausragende Zeichnerin, die ihren Emotionen und ihrem Erleben einer gesellschaftspolitisch aufgeheizten Atmosphäre offen und direkt Ausdruck gibt. Sie steht zu ihrer Spontaneität.
Aus jedem der rund 600 in den vergangenen 28 Jahren entstandenen und nun in Basel ausgestellten Blätter ist eine Ehrlichkeit zu spüren, die von den Besucherinnen und Besuchern auch einiges an Durchhaltevermögen abverlangen mag. Ein bewusstes Schielen nach dem Markt und seinen Gesetzen scheint in weiter Ferne, auch wenn der Handel kaum auf entsprechende Gewinn-Chancen verzichten wird: Kara Walker kann sich auch des kommerziellen Erfolges sicher sein.
Kara Walker öffnet für die Basler Ausstellung, die in Kooperation mit der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt und mit dem De Pont Museum Tilburg (NL) entstanden ist, erstmals ihre Archive. Da lagern Zeichnungen ganz unterschiedlicher Art und dazu Text-Arbeiten, Kombinationen von Text und Bild, Erinnerungsobjekte, Karteikarten und private Aufzeichnungen. Dieses Material unterscheidet sich von den grossformatigen Scherenschnitt-Arbeiten, mit denen die Künstlerin seit Ende der 1990er Jahre ein weltweites Echo auslöst und die von einem merkwürdigen Gegensatz geprägt sind: Einerseits hat die Technik des Scherenschnitts, auch wenn sie zur grossformatigen Raumkunst führt, etwas Biedermeierisch-Gemütliches; andererseits handeln die Werke trotz dieser stilistischen Eigenart von bedrückenden, oft grauenvollen Inhalten – vom Sklavendasein der Schwarzen in den USA. Kara Walker wählte diese Technik bewusst, weil sie ihr wegen ihrem volkstümlich-romantisierenden Charakter besonders geeignet schien, kollektive Nöte und Ängste, aber auch Hoffnungen der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppen Ausdruck zu geben.
Ausgrenzung und Rassismus
Den Zeichnungen Kara Walkers fehlt, bei gleicher oder gar zusätzlich akzentuierter Thematik, jeder Anflug niedlicher Scherenschnitt-Ästhetik. Da geht es ganz unverhohlen um Ausgrenzung, Diskriminierung, Rassismus, Unterdrückung, Geschlechterrollen, Sexualität, Vergewaltigung und Pornografie. Die Künstlerin geht auch Sadistischem nicht aus dem Weg und bedient sich mit Sarkasmus auch der Stereotypen der Werbung mit ihren rassistischen oder sexistischen Zügen. Zugleich sucht sie die Kunstgeschichte ab nach Vorbildern und Formeln, die sie für ihre inhaltlichen Aussagen fruchtbar machen kann. Die Blätter sind mit dem Pinsel in Tusche oder Wasserfarben, aber auch mit dem Stift gefertigt. Sehr viele sind schwarz-weiss, andere buntfarbig. Bis auf die reinen Schriftbilder sind die Blätter erzählerisch-figürlich. Sie deuten ihre drastischen Inhalte oft skizzenhaft knapp an. Oft haben sie auch den Charakter ausformulierter und in klassischem Sinne komponierter Bilder. Manche auf lange Papierstreifen hingeworfene Zeichnungen wirken wie spontane Skizzen zu Comic Strips.
Figürlichkeit als Gebot
In einem Interview mit der „Zeit“ äusserte sich Kara Walker kürzlich zu Stil und inhaltlicher Stossrichtung ihrer Arbeiten: „Mein Werk ist fast immer figurativ, es wimmelt nur so von Figuren. Die Frage nach dem Figurativen meint einen der inneren Kämpfe, die ich mit mir austrage, auch wegen der Zuschreibungen als weibliche Künstlerin, als schwarze Künstlerin. In den 1960er- und 1970er-Jahren gab es eine Art Gebot in der schwarzen Kunstbewegung, dass man figurativ arbeiten müsse. Politische Kunst sollte die schwarze Bevölkerung mit historischen Bezügen und Figuren ansprechen. Es war eine Reaktion auf die Mainstream-Kunst damals, auf Abstraktion, den Minimalismus, das Pop-Ideal. Es war der Versuch, Bedeutung, Kraft und Sinnhaftigkeit einzufordern, denn die schwarzen Künstlerinnen und Künstler wurden im Mainstream weder gesehen noch gewürdigt. Ich habe diesen Auftrag angenommen, und zwar so richtig! Vielleicht sogar etwas zu sehr.“
Doppeldeutige Sprachspiele
Doppeldeutig und hintersinnig geht Kara Walker vor, wenn sie sprachliche Elemente in ihre Zeichnungen einbezieht. Zwei Beispiele: Eine Zeichnung zeigt einen Kessel mit schwarzer Farbe. Er ist beschriftet mit „Nigger Dye“, was „Nigger-Farbe“ bedeutet, aber phonetisch auch als „Nigger stirb!“ gehört werden kann. Am unteren Rand einer Zeichnung, die einen jungen Schwarzen zeigt, notiert sie: „Wenigger + Wenigger“ – ein bitterböses Wortspiel mit dem diskriminierenden Wort „Wir Nigger“ und der (deutschen) Lesart „Weniger“. Die Zeichnung rührt an eine weitere Grenze: Der Schwarze könnte ein Junge, aber auch ein Mädchen mit Penis sein, womit Kara Walker die Geschlechtergrenze ritzt und auch die doppelte Diskriminierung der schwarzen Frau ins Spiel bringt – ein Thema, das sich als deutlicher Akzent durch ihr ganzes Werk zieht.
Obama als Othello
In den letzten Jahren setzte sich Kara Walker in grossformatigen Malereien oder zeichnerischen Arbeiten mit aktuellen politischen Themen auseinander – mit Präsdent Barack Obama vor allem, den sie in einem Werk als Othello darstellt. Allerdings verkehrt sie den Schluss von Shakespeares Stück um den Mohren, der Jagos Intrigen zum Opfer fällt, ins Gegenteil: Nicht Othello und seine Frau Desdemona sterben im Eifersuchtsrausch. Da sitzt vielmehr der schwarze Obama/Othello mit sorgenvollem Gesicht da, vor sich den Kopf seines Nachfolgers Trump/Jago. Auch in anderen in Basel gezeigten Grossformaten zu Barack Obama – für Kara Walker Hoffnungsträger und Lichtblick – ist der Präsident nicht der strahlende, sondern eher der tragische Held: In einem Werk bedrängen ihn Dämonen.
Man kennt die Situation von Bildern der Versuchung des heiligen Antonius. Walker bezieht sich konkret auf einen Kupferstich von Martin Schongauer (um 1470). Die Dämonen sind für die Künstlerin die Widerwärtigkeiten, denen sich Obama aus rassistischen Gründen ausgesetzt sah. Ein drittes Grossformat zeigt Obama als afrikanischen Stammesfürsten. Hier karikiert Walker den weit verbreiteten kolonialistischen Blick auf „Exotismen“.
Kara Walker
Kara Walker wurde 1969 in Kalifornien geboren. Ihr Vater ist Künstler und unterrichtete an kalifornischen Universitäten. Sie wuchs in Atlanta auf und erlangte 1994 ihren Master of Arts an der Rhode Island School of Design. Im gleichen Jahr erregte sie mit den wandfüllenden Scherenschnitten Aufsehen. Sie arbeitete auch mit Animationsfilm und schuf Werke im öffentlichen Raum. 1998/99 gestaltete sie im Rahmen des Projektes „Museum in Progress“ als erst Dreissigjährige den Eisernen Vorhang der Staatsoper Wien. Sie war in bester Gesellschaft: An diesem mehrjährigen Projekt waren so bekannte Künstlerinnen und Künstler beteiligt wie John Baldessari, Mathew Barney, Richard Hamilton, David Hockney, Jeff Koons, Maria Lassnig, Rosemarie Trockel und Cy Twombly. Klara Walker gehört zu den wichtigsten und bekanntesten Exponenten der amerikanischen Kunst. 2019 erregte sie mit der monumentalen Skulptur „Fons Africanus“ in der Turbinenhalle der Tate Moderne in London grosses Aufsehen.
Kunstmuseum Basel. Neubau. Untergeschoss. Bis 26.9.
Katalog bei JRP Editions. Begleitprogramme unter www.kunstmuseumbasel.ch