Wochenlang begegneten sie einander mit blankem Hass. Präsident Nicolás Maduro und seine Mitstreiter beschimpften ihre politischen Gegner immer wieder als Faschisten und Landesverräter im Dienste des «nordamerikanischen Imperialismus», Oppositionsvertreter wiederum verunglimpften den Staatschef als kommunistischen Diktator am Gängelband des kubanischen Regimes.
Jetzt sitzen sie zumindest am gleichen Tisch und versuchen einen Dialog in Gang zu setzen. An den Gesprächen nehmen als Vertreter der Union Südamerikanischer Staaten (Unasur) auch die drei Aussenminister aus Brasilien, Kolumbien und Ecuador sowie ein Vertreter des Vatikans teil. Der Vermittlung der Unasur ist es grossenteils zu verdanken, dass die Konfliktparteien sich nun aufeinander zu bewegen.
Uneinige Regierungsgegner
Die Opposition tritt allerdings nicht geschlossen auf und offenbart damit abermals ihre Schwäche. Während der gemässigte Flügel des Oppositionsbündnisses Mesa de la Unidad Democrática (MUD/ Tisch der demokratischen Einheit) um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Henrique Capriles schon seit längerem den Dialog forderte, bezeichnen radikale Regimegegner das Verhandlungsangebot der Regierung als eine Farce und wollen weiterhin demonstrieren.
«Wir akzeptieren keinen Dialog, mit dem friedliche Proteste verhindert werden sollen», sagte die Abgeordnete María Corina Machado gegenüber Medienvertretern. Die Oppositionspolitikerin hatte bei den letzten Parlamentswahlen die meisten Stimmen erhalten. Vor ein paar Wochen wurde ihr jedoch das Mandat entzogen, weil sie als «Gast» von Panama, jedoch ohne Zustimmung der Nationalversammlung, bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) aufgetreten war.
Auch die konservative Partei Voluntad Popular sprach sich gegen den Dialog aus. Sie verlangt, dass zuerst die während der Unruhen festgenommenen Oppositionspolitiker und Studenten aus der Haft entlassen werden. Ihr Chef Leopoldo López sitzt seit Ende Februar im Gefängnis; die Justiz wirft ihm Anstiftung zur Gewalt sowie Sachbeschädigung und Brandstiftung vor.
Die Kluft wuchs ständig
Ob aus dem zaghaften Annäherungsversuch zwischen Regierung und Opposition ein ernsthaftes Bemühen wird, die Krise des Landes gemeinsam zu bewältigen, lässt sich schwer abschätzen.
Venezuela ist tief gespalten. Das war schon so, als Hugo Chávez noch lebte. Der selbsternannte Revolutionsführer, der zwischen 1999 und 2013 die Geschicke des Landes lenkte, hat nie auch nur den Anschein zu erwecken versucht, der Präsident aller Venezolaner zu sein. Er sah sich als Wegbereiter eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts, und wer seine Ideen infrage stellte, galt in seinen Augen als geldgieriger Oligarch und Steigbügelhalter der USA. Er setzte voll und ganz auf die ärmeren Bevölkerungsschichten, und die liebten ihn, weil er sich weit stärker als jeder venezolanische Staatschef vor ihm um ihr Wohl kümmerte, ihnen Würde und Selbstachtung verlieh.
Zu wenig Güter und zu hohe Preise
Sein Nachfolger Maduro, der im vergangenen Jahr die Präsidentenwahl gegen den konservativen Herausforderer Capriles nur knapp gewann, setzt diese Politik der Konfrontation unbeirrt fort. Er hat allerdings weder die Macht noch das Charisma seines Vorgängers. Und er sieht sich nicht bloss mit einer feindlichen Opposition konfrontiert, sondern auch immer stärker mit den Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik, die mit Chávez begann und die Maduro bis heute nicht korrigiert hat.
Die Bevölkerung leidet unter schlimmen Versorgungsengpässen. Es mangelt an Gütern des täglichen Bedarfs wie beispielsweise Milchpulver, Mehl oder Toilettenpapier. Leere Regale in den Supermärkten waren neben der Inflation von mehr als 50 Prozent, der ausufernden Kriminalität und der grassierenden Korruption Hauptauslöser der Proteste gegen die Regierung in den vergangenen Wochen. Die Kundgebungen, die sich mittlerweile etwas abgeschwächt haben, arteten immer wieder in gewalttätige Zusammenstösse aus. Bisher sind 39 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Regierung und Opposition machen sich gegenseitig für die Eskalation der Gewalt verantwortlich.
Der Dialog beginnt beim Zuhören
Präsident Maduro setzte bislang auf eine Politik der Härte und zog es vor, Verschwörungstheorien in die Welt zu setzen und die Demonstranten als Putschisten zu beschimpfen, anstatt sich ernsthaft zu fragen, warum ein grosser Teil seiner Landsleute mit der Regierung unzufrieden ist. Radikale Gruppen innerhalb der heterogenen Opposition verhehlen tatsächlich nicht, dass sie den Staatschef lieber heute als morgen in die Wüste schicken würden – demokratische Legitimation hin oder her.
Die Hardliner sind jedoch eine Minderheit unter den Demonstranten. Die Protestbewegung wird hauptsächlich von jungen Leuten getragen, die für bessere Lebensbedingungen und mehr Demokratie auf die Strasse gehen. Falls die Regierung wirklich an einem Dialog interessiert ist, muss sie endlich ein offenes Ohr für die Anliegen dieser Menschen haben. Und – so schwer es ihr fallen mag – mehr als bloss ein paar kosmetische Korrekturen vornehmen am Gesellschaftsmodell, das ihnen Chávez vererbt hat.