In all dieser Zeit war Imran Khan der einzige Vertreter seiner ‚Pakistanischen Gerechtigkeitspartei‘, musste die Indifferenz und den Spott der etablierten Politiker ertragen, wurde von der Armee, an der kein Weg vorbeiführt, ignoriert. Und nun dies: wo immer er auftritt, strömen die Menschen zusammen. In Lahore, Islamabad, Karachi sind es jedesmal über Einhunderttausend, die ihm zuhören und applaudieren. Dies tat auch seine Ex-Ehefrau Jemima, die aus London twitterte: „Yes, we Khan!“.
Es steht schlimm um Pakistan
Es muss schlimm stehen um Pakistan, wenn ein permanenter Verlierer diesen Zulauf hat. Und wer die Karikatur anschautsieht, die letzthin in der Tageszeitung "The Nation" erschien, kann nur Mitleid haben mit diesem Land: Schlagzeilen bevölkern das Bild: „Petrol: Inaccessible“, „Gas: Inaccessible“, Security: Missing“, Law&Order: Missing“, „Governance: Missing“, Necessities: Missing“, PIA (Pakistans nationale Fluglinie): Destroyed“, „Railways: Destroyed“. Darunter das Konterfei von Premierminister Gilani, mit der Sprechblase: „My rule means Public Welfare“.
Es ist sogar noch schlimmer. Gilani beschuldigt seine Armee, die Verfassung zu verletzen; Präsident Zardari bittet die Amerikaner, ihn vor einem Putsch zu schützen; das Oberste Gericht fordert die Regierung auf, Korruptionsklage gegen den Präsidenten zu erheben. Als der Premierminister zögert, wird auch ihm Amtsenthebung angedroht. In Islamabad schwirren Gerüchte ueber einen ‚smart Coup‘, mit der die Offiziere hinter einer zivilen Marionettenregierung alle wichtigen Posten besetzen würden.
Der ewige politische Verlierer - die letzte Hoffnung?
Es wäre nicht das erste Mal. Angesichts der Schwäche ziviler Regierungen konnten sich die Generäle als Retter der Nation aufspielen, bevor sie ein noch grösseres Schlamassel anrichteten. Diesmal ist nicht einmal diese Symptom-Therapie mehr plausibel. Die Verfallszeit der Glaubwürdigkeit der Männer in Khaki ist über die Jahre immer kürzer geworden.
Im Mai 2011, in der Kommandoaktion gegen Osama bin Laden, wurden sie der ganzen Welt von den Amerikanern vorgeführt. Es sind die Obersten Richter, die den Offizieren den Schneid abgekauft haben und die bereits General Musharraf das Fuerchten lehrten.
Wer bleibt noch übrig? Der ewige Verlierer Imran Khan. Wer nicht an den Schaltstellen der Macht sitzt, kann von ihr auch nicht besudelt werden. Die Standfestigkeit eines ewigen Verlierers ist zwar nicht unbedingt eine Tugend. Immerhin muss man Khan zugutehalten, dass er sich von seinem Weg nicht abbringen liess. Es wäre ein Einfaches gewesen, sich kaufen zu lassen. Er war der begnadete Captain des Cricket-Nationalmannschaft gewesen, der 1992, bei der Weltmeisterschaft in Australien, sein (mittelmässiges) Team zum Endsieg geführt hatte. Dies allein sicherte ihm Kultstatus.
Abkehr vom Playboy-Leben
Zudem ist er ein Paschtune, jene Stammeszugehörigkeit, die mit ihrem männlichen Ehrenkodex (‚Paschtunwali‘) sozusagen die Feudal-Version des nationalen Alphatiers repräsentiert. So konnte Khans Image als Playboy selbst die religiös-konservativen Barrieren der nationalen Psyche passieren. Als ihm eine Gespielin mit einem Vaterschaftsprozess beweisen konnte, dass er der Samenspender ihres ‚love child‘ war, tat dies seinem Ruf kaum Schaden. Und als er ein Mädchen aus der Londoner Party-Szene entführte und zu seiner Braut machte, wurde auch dies geschluckt, selbst als bekannt wurde, dass sie Jemima Goldsmith war, Tochter eines Lords und Warenhauskette-Besitzers, und jüdisch obendrein.
Doch dann, Mitte der neunziger Jahre und 45-jährig, kehrte er heim nach Lahore. Seine politische Karriere begann Khan mit dem Bau eines Krebs-Spitals. Seine Mutter Shaukat Khanum war nicht nur dieser Krankheit, sondern auch der schlechten Infrastruktur im Gesundheitswesen zum Opfer gefallen. Unentwegt trommelte Khan Geld zusammen und warf dabei sein ganzes Prestige – als Paschtune, Playboy, Cricket-Gott – in wenig glamouröse Spendenaufrufe. Heute gehört das Krankenhaus zu den Besten des Landes. Die vielen mittellosen Patienten werden kostenlos behandelt.
Krieg löst die politischen Probleme nicht
Es war eine Leistung, die ihm niemand zugetraut haette. Die handgreifliche Erfahrung der massiven Probleme seines Landes bei seinen Bettelreisen führten ihn in die Politik. Und die schiere Aussichtslosigkeit eines politischen Siegs seiner Ein-Mann-Partei erlaubte es ihm, kompromisslos und ehrlich zu bleiben. Er macht kein Geheimnis aus seiner Verachtung für die etablierten Politiker, die alles getan hatten, sein Spital-Projekt zu sabotieren. Und er hat auch dem westlichen Lebensstil den Rücken gekehrt. Er sieht keinen Widerspruch zwischen Modernitaet und Frömmigkeit. Wie für sein Idol Mohammed Iqbal, den politischen Philosophen eines unabhängigen Pakistan, bietet der Islam einen politischen und moralischen Rahmen für das Handeln des Einzelnen wie der Gesellschaft.
Khan sieht sich als islamischen Nationalisten. Er plädiert fuer einen robusten Staat mit einer starken Armee; aber in Friedenszeiten soll sie bitte gemäss Verfassung in den Kasernen bleiben. Krieg mit Indien? Nur als ‚ultima ratio‘. Denn dieser Mann aus der Kriegerkaste, dessen erstes Buch über dier Paschtunen „Warrior Race“ hiess, spricht dem Krieg die Fähigkeit ab, politische Konflikte zu lösen. Er verteidigt Bürger- und Menschenrechte, hat aber nichts gegen das Blasphemiegesetz einzuwenden, solange dieses alle rechtlichen Garantien gewaehrleistet.
Keine US-Stützpunkte mehr in Pakistan
Doch als der liberale Gouverneur Salman Tahseer vor Jahresfrist wegen seiner Kritik an diesem Gesetz ermordet wurde, war Khan einer der wenigen Politiker, der offen gegen die religiös verbrämte Gewalt loszog. Er nennt sich amerikafreundlich, aber findet die Einmischung der USA einen schlimmen Sündenfall. Der Krieg in Afghanistan, die Metastasen des Terrors in Pakistan sind ebenso der Grossmachtpolitik der USA zuzuschreiben wie der Sumpf der politischen Korruption. Innerhalb von neunzig Tagen würde er das Stützpunktabkommen mit Washington kuendigen, ebenso wie dessen Entwicklungshilfe.
In neunzig Tagen würde er auch mit den (pakistanischen) Taliban einen Modus vivendi finden. Er hat sie Terroristen genannt, aber sieht sie auch als Werkzeuge der Politiker und der USA.
Werden die Armen für ihn stimmen?
Neunzig Tage? Das klingt wie ein Witz, wenn man den Morast sieht, in den das Land gesunken ist. Die Armee hat in den letzten acht Jahren mit den heimischen Taliban vier Stillhalteabkommen abgeschlossen – jedes wurde gebrochen. Kritiker sehen in Khan einen falschen Propheten, der sich Gehör verschaffen kann, weil das Land alle anderen Optionen ausgespielt hat. Die Mittelklasse ist erschöpft von sechzig Jahren Misswirtschaft, froh um jeden Heilsbringer.
Und die Millionen von Armen? Sie (über)leben von den Brosamen, die vom Tisch der Klientelpolitik herunterfallen. Doch genau dieser hat Imran Khan den Rücken gekehrt. Mindert dies nicht seine Chance, in die Bresche zu springen? Der englische Politologe Anatol Lieven ist davon überzeugt. Nach einem Besuch bei den Bauern in Khans Wahlbezirk Mianwali schrieb er: „They admire him, but will not vote for him, because he will never have any favours to distribute“.