Eigentlich bestand er ja nur auf dem Papier, der ehrenamtliche Direktor hatte weder Etat noch Mitarbeiter. Die Trapper und Jäger setzten ihre Tätigkeit ungehemmt fort – und zogen nun auch den ersten Touristen das Fell über die Ohren. Washington stellte den Park zuletzt unter militärische Kuratel, um dem Auftrag des Kongresses und dem Parkreglement Achtung zu verschaffen. Das Heer herrschte in Yellowstone dreissig Jahre lang und half den Park zu dem zu machen, was er bis heute weit über Nordamerika hinaus ist: der Nationalpark schlechthin, ein Stück vorbildlich verwalteter Wildnis.
Und was für ein Stück! Der Kern des nahezu 9000 Quadratkilometer grossen Parks liegt in einer riesigen Caldera unmittelbar über einer Kammer mit flüssiger Lava. Diese Magmakammer, vier Kilometer unter Tag, „betreibt“ mittels Erhitzung von einsickerndem Wasser Yellowstones Attraktionen – sein Wahrzeichen, den zurzeit etwa alle anderthalb Stunden springenden „Old Faithful“, sowie 10 000 weitere Geysire, Heisswasserquellen und -seeen, Fumarolen und Schlammtöpfe. So spektakulär kocht, dampft, brodelt, faucht, blubbert und gluckst es auf keinem andern Fleck Erde. Ein unvergleichliches Schauvergnügen bieten die Heissquellen und deren Seen, allen voran Grand Prismatic Spring (unser Bild), eine der weltweit ergiebigsten Thermalquellen. Und keine ist farbiger. Die Quelle schüttet jede Minute 2000 Liter 71 ° C heisses Wasser in ein 75 x 91 Meter grosses Becken. Dessen Mitte ist tiefblau – dort ist das Wasser rein, frei von Lebewesen und das Becken fast 50 Meter tief. Am Ufer kolorieren einzellige Mikroorganismen, zumeist Archaeen und Bakterien, den Quellsee. Das sich abkühlende Wasser bestimmt, welche an die jeweilige Temperatur am besten angepassten Organismen dominieren und Farbe geben. Auch die Jahreszeiten beeinflussen die Farbgebung; sie verändern bei der Mikrofauna und –flora den Gehalt an Chlorophyll und an roten, orangen und gelben Farbstoffen. Im Winter herrschen Grüntöne vor, im Sommer überwiegen Orange und Rot.
Für viele Wissenschaften ist Yellowstone ein Grosslabor. Hier studieren Geologen Konvektionsströme in der Erdkruste, Ökologen Probleme der Artenvielfalt. Zusammen mit den angrenzenden Wäldern bildet der Park ein Biosphärenreservat, ein halbwegs naturbelassenes Ökosystem, wie es in der gemässigten Zone weltweit kein ausgedehnteres gibt. Die Forschung, auch die angewandte, zeigt steigendes Interesse an der Thermophilie der Lebewesen in den Heissquellen und –seen. Die Parkverwaltung räumte einer kalifornischen Biotechfirma gegen eine Lizenzgebühr vertraglich das geistige Eigentum an den hitzeliebenden Kleinstlebewesen ein. Naturschützer und Freunde des Parks liefen gegen diese „Biopiraterie“ Sturm, ein Gerichtsurteil annullierte 1999 die Vereinbarung. Immerhin ermächtigte aber kurz darnach ein anderer Richter die Parkverwaltung, bei marktfähigen Produkten, die im Park erzielte Forschungsergebnisse verwerten, einen Anteil einzufordern.
Yellowstone ist ein sogenannter Supervulkan. Schon dreimal ist er im Abstand von etwa 600 000 Jahren explodiert, jedes Mal ein apokalyptischer Super-Gau. Und 640 000 Jahre ist es seit der letzten Explosion her. Die Magmakammer unter dem Park füllt sich wieder. Jetzt ist der vierte Ausbruch fällig – heute, morgen oder auch in einem noch Jahrhunderte oder Jahrtausende entfernten Übermorgen. Die Magmablase pulsiert, Vulkanologen beobachten mit Sorge Senkungen und Hebungen in der Caldera. Teile des Parks wurden 2003 vorsichtshalber wegen bedrohlichen Dampfaustritten vorübergehend dicht gemacht.
Seit 1978 gehört Yellowstone zum Weltnaturerbe. Zeitweilig, 1995 bis 2003, setzte die Unesco dieses Kronjuwel auf die Rote Liste gefährdeter Welterbestätten. Wenn es um die Zukunft des Parks bangte, hatte das Welterbekomitee freilich weniger ein vulkanisches Armageddon im Auge als die touristische Übernutzung des Parks:
der Park leidet an seinem Erfolg. Im Rekordjahr 2010 zählte Yellowstone 3,64 Millionen Besucher. Anlass zu Kummer ist vor allem die winterliche Invasion der Motorschlitten (Schneemobile). Sie verursachte zu Zeiten ganze zwei Drittel der jährlichen Luftverschmutzung aus dem Verkehr im Park. Ausserdem machten die knatternden, stinkenden Zweitakter die Bisons nervös und angriffig. Präsident Clinton liess die Schneemobile im Park verbieten, aber sein Nachfolger öffnete die Parktore wieder weit. Die Auseinandersetzung zwischen Umweltschützern und der Schneemobil-Industrie beschäftigte die Gerichte zehn Jahre lang. In der Wintersaison 2013/14 wird der Park zum letzten Mal jeden Tag für bis zu 318 Schneemobile und 78 schneegängige Busse offen sein. Ab 2015 soll auf starre Tagesquoten verzichtet werden, die geplante Flexibilisierung erlaubt im Durchschnitt täglich bis zu 342 Schneefahrzeuge. Dank dem Ersatz der lärmenden einsitzigen Zweitakter durch mehrsitzige Viertakter ist der Park im Winter wieder ruhiger, sauberer und sicherer geworden, nicht zuletzt, weil die Bisons weniger nervös sind. – Jahr des Flugbilds: Sommer 1982. (Copyright Georg Gerster/Keystone)