Er besass ein Ego, das einem Hollywood-Mogul gut angestanden wäre. Sein Penthouse-Büro im "Yash Raj Studio" war so gross wie ein halber Tennisplatz, der Bürotisch ein riesiges Nierenstück, die Wände hinter ihm waren übersät mit Fotos und Auszeichnungen: Yash Chopra mit dem Papst, mit Königin Elisabeth, Indira Gandhi, dem Dalai Lama, mit den Clintons, mit Angelina Jolie. Er schaute sie alle liebevoll an, zeigte auf diese und jene Urkunde, Ehrendoktorwürden – und auf das Schweizer Alphorn, das allein eine halbe Wand besetzte.
Nach der Geburtstagsparty
Chopra lachte verschmitzt, als er Linus von Castelmur, seines Zeichens Schweizer Botschafter in Indien, seine Visitenkarte über den Tisch reichte, auf dem unter seinem Namen stand: ‚Ambassador of the City of Interlaken“. Er war fast kindlich stolz darauf, als könne er es immer noch nicht fassen, dass dieser kleine gedrungene Panjabi es auf den Königsthron von Bollywood geschafft hatte. Statt auf sein Talent führte er es in Interviews immer auf sein gutes Karma zurück.
Dieses revanchierte sich, indem es ihm nun einen perfekten Abgang verschaffte. Er werde dieses Jahr achtzig, sagte er uns, und er drehe vor dem grossen Geburtstag noch seinen letzten Film. Ende September war der Film (fast) abgedreht, Chopra feierte seine grosse Geburtstagsparty, drei Wochen später war er tot.
Alle Varianten der Liebe
‚Herzkönig’ nannten ihn die Nachrufe, und für einmal war die Schlagzeile keine bollywoodsche Übertreibung. Die Zeitungen spielten dabei nicht nur auf seine Beliebtheit unter den Stars und dem Publikum an. Chopra war auch der ‚King of Romance’, der wie kein Zweiter das Thema Liebe zum dominanten Evergreen des Bollywood-Kinos gemacht hatte. In seinen vierzig Jahren als Regisseur und Produzent hat er alle Varianten des Liebeslebens durchgespielt – die der ersten Liebe natürlich, aber auch die eheliche, mütterliche, ehebrecherische Partnerschaft, die Liebe zwischen arm und reich, zwischen Generationen und jene, die Kastengrenzen überwand; auch vor der Darstellung ausserehelicher oder gleichgeschlechtlicher Beziehungen schreckte Chopra nicht zurück.
Die allermeisten Filme aus den ‚Yash Raj Studios’ kamen im typischen Gewand übertriebener Expressivität daher, jede Geste war ebenso dick aufgetragen wie die Schminke, die Lieder schmachteten, die Kostüme waren grell, die Schnurrbärte und Toupées ebenso aufgesetzt wie die Dekors. Diese Theatralik kümmerte sich so offensichtlich nicht um Realitätsnähe, dass sie gerade westlich geschulte Kritiker dazu verleitete, sie als Serienware abzutun.
Keine Realitätsflucht
Was wir dabei übersahen, war Chopras feines Gespür für das, was das breite Publikum wollte. Keinen Sozialrealismus, denn den bot der Alltag zu Genüge. Aber es war auch keine Realitätsflucht. Den Beweis dafür lieferten Chopras Hits, die im Gewande des Illusionstheaters Themen ansprachen, die das Publikum umtrieben. Hinter der Fassade schmachtender Gesänge artikulierte Chopra Revolutionäres – das Tabu vorehelicher Liebe, die Folgen der engen Mutter/Sohn-Bindung, den Protest gegen soziale Barrieren wie Kaste und Klasse.
Wir vergessen oft, dass in Indien bis in die achtziger Jahre hinein, und zum Teil bis heute, die offene Darstellung erotischer Attraktion tabu war. In Sachen ‚public display of affection’ waren die meisten Inder Analphabeten: Liebe, selbst die Standardversion, gehörte ins Schlafzimmer. In Chopras frühen Filmen zeigten die jungen Pärchen ihre gegenseitige Verbundenheit noch singend, zum Küssen verschwanden sie hinter Bäumen.
Geniessbare Tabus
Aber mit der Zeit fielen auch diese Zöpfe, die Erotik wurde offener, selbstbewusster. Ganze Generationen lernten von diesem Sprachlehrer, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, und die Legitimität, die seine Star-Schauspieler ihnen verlieh, war ein Schutz vor Eltern und staatlichen Sittenwächtern. Selbst Tabus wie Homosexualität, Ehebruch, Inzest wurden geniessbar, weil sie im Zuckerguss von Song&Dance daherkamen.
Wie kein Zweiter verstand es Chopra, den tiefgreifenden Prozess der Modernisierung einer agrarischen Gesellschaft zu artikulieren. Dasselbe galt für die Globalisierung, die vor zwanzig Jahren, mit dem Fall von Handels- und Reiseschranken, Einzug hielt. Die Inder, die ihrem Land den Rücken gekehrt hatten, galten lange als halbe Landesverräter, die ihre Mitarbeit am nationalen Aufbau der persönlichen Karriere opferten. Es war Chopra, der den NRIs (‚Non-Resident Indians’) das Selbstbewusstsein einer eigenen sozialen Kategorie innerhalb der indischen Gesellschaft gab. Sie mochten im Ausland leben, dessen Güter geniessen, aber in seinen Filmen waren sie immer noch Inder, verwurzelt mit ihrer Scholle, mit ihren Essgebräuchen und Heiratstraditionen.
Bollywood umgepolt
Genauso intuitiv wie als Regisseur agierte Chopra als Produzent. Der Abschied vom Fassadensozialismus gestattete es ihm, Bollywood nicht nur thematisch, sondern auch wirtschaftlich umzupolen. Statt für jeden Film Investoren zu suchen (und damit Bollywood zum bevorzugten Anlageobjekt von Schwarzgeld zu machen), gründete er ein eigenes Studio, das alle Aspekte des Filmgeschäfts unter ein Dach und ans Licht einer legalen kommerziellen Tätigkeit brachte. ‚Yash Raj Studios’ (YRS) sind heute ein überaus profitables Unternehmen und haben ihren Gründer zu einem reichen Mann gemacht.
Einer der ersten Filme der neugegründeten YRS war ‚Dilwale Dulhaniya Le Jayenge’ (‚Dem Mutigen gehört die Braut’), von 1995, gedreht von seinem Sohn Aditya, produziert von Chopra senior. Wie kein zweiter Film vereinigt DDLJ Chopras liebgewordenen Themen und wurde sein grösster Hit. Im ‚Maratha Mandir’-Kino hinter dem Bombay Central-Bahnhof läuft der Film noch heute jeden Tag an einer Matinee. Als ich ihn im Mai anschauen ging, war der Saal ausverkauft, und bei jedem Song von Shahrukh Khan gab es ein gellendes Pfeifkonzert, und Zuschauer standen auf ihren Sitzen und tanzten.
Gratiswerbung für die Schweiz
DDLJ war auch der Film, der für den Schweizer Tourismus seit nun siebzehn Jahren Gratiswerbung macht, nicht nur wegen der Liebesszenen im Simmental, sondern weil er wie kein anderer die Schweiz zum Sehnsuchtsland des Liebesfilm-Genres gemacht hat. Yash Chopra liebte die Schweiz, und er war stolz auf den Ambassadoren-Titel, den ihm Interlaken verliehen hatte. Sein letzter Film handelte nicht in der Schweiz, aber gerade weil es sein letzter war, wollte er mindestens einen Song dort ansiedeln.
Am 1. August war er mit Aditya (und seinem Patensohn Ashwin Merchant, dem langjährigen Mitarbeiter des ‚Swiss Business Hub’ in Bombay) im Berner Oberland, und fand beim Bachalpsee und der Lombachalp die idealen Drehorte. Es war zu spät im Jahr für blumenübersäte Wiesen, aber Ashwin hatte bereits 5000 Rosen aus Amsterdam bestellt. Ende September sollte gedreht werden, die Suite im Hotel Jungfrau war reserviert, als die Nachricht von Chopras Dengue-Infektion in Interlaken eintraf. Der Song konnte nicht mehr eingespielt werden. Yash Chopra hatte ihm den Titel gegeben: ‚Ich bin noch am Leben’. Er ist es.