Auch nach dem dreitägigen Besuch von Staatschef Xi Jinping in Moskau haben sich die Nebel um den von China suggerierten «Friedensplan» zur Lösung des Ukraine-Krieges nicht gelichtet. Xi verkündete zwar, er werde seine Friedensbemühungen fortsetzen, aber wie die von Peking publizierten zwölf Prinzipien in reale Taten oder Verhandlungen umgesetzt werden könnten, bleibt absolut undurchsichtig. Von chinesischen Konsultationen mit dem Aggressionsopfer Ukraine ist bisher nichts zu hören.
Viereinhalb Stunden lang sollen der chinesische Machthaber Xi Jinping und sein Gastgeber Putin allein am Montag im Kreml miteinander gesprochen haben. Und obwohl keine Details über diese Unterhaltung mitgeteilt wurden, kann man davon ausgehen, dass der seit mehr als einem Jahr wütende Krieg in der Ukraine und dessen Konsequenzen ein dominierendes Thema waren. Xi erklärte denn auch am Dienstagabend bei der gemeinsamen Schlusserklärung vor den Medien, bei der keine Fragen gestellt werden konnten, er werde seine Bemühungen um eine Friedenslösung zur militärischen Konfrontation in der Ukraine fortsetzen.
«Basis für eine friedliche Lösung»
Und Putin sagte beim Empfang des mit grossem Pomp empfangenen Gastes im Kreml, er habe die von Peking schon im Februar publizierten zwölf Grundsätze zur «politischen Lösung der Ukraine-Krise» aufmerksam gelesen. Beim gemeinsamen Auftritt am Dienstag fügte der Kreml-Chef hinzu, dass dieser chinesische Plan «als Basis für eine friedliche Beilegung» der Auseinandersetzung dienen könnte, «sofern der Westen und Kiew dazu bereit seien».
Wie und wann und mit welchen Beteiligten diese sehr allgemein formulierten Grundsätze zu einem greifbaren Friedensprozess verwirklicht werden könnten, davon war weder vom chinesischen Besucher noch von seinem Gastgeber Putin im Kreml irgendein klärendes Wort zu vernehmen. An erster Stelle unter den zwölf Punkten des chinesischen Positionspapiers wird die «Respektierung der Souveränität aller Länder» genannt. «Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität aller Länder müssen wirksam gewährleistet werden», heisst es wörtlich dazu.
Wenn diese Worte einen Sinn haben sollen, dann müsste Xi eigentlich gegenüber Putin darauf dringen, seine Truppen aus der Ukraine, die dort Tod und Zerstörung verbreiten, unverzüglich zurückzuziehen. Und wenn Putin es ernst meint mit seiner Beteuerung, das chinesische Positionspapier sei eine gute Basis für eine Friedenslösung, dann müsste er wiederum die grundsätzliche Bereitschaft deklarieren, die russischen Truppen hinter die völkerrechtlich festgelegte ukrainisch-russische Grenze zu beordern. Von einer solchen Bereitschaft war bisher auf russischer Seite nicht der Hauch eines möglichen Einlenkens zu entdecken.
Putin und sein Kreml-Sprecher hatten schon vor Monaten erklärt, allfällige Friedensverhandlungen seien nur unter Berücksichtigung der heute bestehenden Realitäten möglich. Was heissen soll: Über eine Rückgabe der von Russland besetzten ukrainischen Gebiete kommt eine Diskussion nicht in Frage.
Mehr Klartext hinter den Kreml-Türen?
Allerdings, wenn bei Xi Jinpings und Putins jüngster Zelebrierung ihrer «grenzenlosen Freundschaft» in Moskau eine reale Perspektive für die Einleitung eines Friedensprozesses zum Ukraine-Krieg nicht zu erkennen ist, so muss das nicht bedeuten, dass die beiden Machthaber bei ihren stundenlangen Gesprächen hinter verschlossenen Kreml-Türen nicht über solche Möglichkeiten und über Vorstellungen zu abgestimmten diplomatischen Initiativen diskutiert haben.
Das scheint die Aussage des chinesischen Gastes, er werde seine Bemühungen um eine Entspannung in der Konfrontation um die Ukraine weiter vorantreiben, immerhin anzudeuten. In die gleiche Richtung weisen auch die Signale, die die chinesischen Staatsmedien schon vor Xis Moskau-Reise verbreitet haben und in denen der Pekinger Machthaber als globaler Friedensstifter gefeiert wird.
Doch wenn Peking tatsächlich entschlossen sein sollte, mehr zu unternehmen zur Einleitung eines halbwegs greifbaren Friedensprozesses als bloss die Verkündigung schöner, unverbindlicher Prinzipien, so müsste man annehmen, dass gleichzeitig auch nähere Konsultationen mit der Führung der angegriffenen Ukraine in Gang gesetzt würden. Von solchen Bemühungen ist bisher nichts zu vernehmen, obwohl im Zusammenhang mit Xis Moskau-Besuch Gerüchte zirkulierten, Chinas starker Mann werde nach seinen Gesprächen mit Putin auch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj Kontakt aufnehmen. In amerikanischen Medien wurde weiter verbreitet, der chinesische Aussenminister habe noch vor dem Eintreffen Xis in Russland mit seinem ukrainischen Amtskollegen telefoniert.
Selenskyjs Interesse an Kontakt mit Peking
In Kiew lässt man einiges Interesse an Pekings vielzitierten, aber vorläufig völlig undurchsichtigen Friedensbemühungen erkennen. Präsident Selenskyj hatte schon bei der Publikation von Pekings zwölf Friedensprinzipien im Februar erklärt, er habe die Absicht, mit dem chinesischen Staatschef zu sprechen. Diese offene und flexible Haltung gegenüber der asiatischen Grossmacht ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Peking hat sich bisher konsequent geweigert, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch nur ansatzweise zu kritisieren. Stattdessen stand auch Xis jüngster Besuch bei Putin wieder ganz im Zeichen einer «vertieften» und «unbegrenzten» Freundschaft zwischen Russland und China und persönlich zwischen den beiden Machthabern, die noch lange im Amt zu bleiben gedenken.
Selenskyjs rhetorische Behutsamkeit gegenüber Peking ist trotz Xi Jinpings Rückendeckung für Putin nicht unverständlich. Denn die Überlegung, dass gegenwärtig kein anderer Machthaber auf dieser Welt so viel Einfluss auf den Kremlchef auszuüben vermag wie der chinesische Staatschef, ist durchaus realistisch. Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen und geostrategischen Abhängigkeit Russlands vom grossen asiatischen Nachbarn spricht einiges dafür, dass der Aggressor Putin zu mehr Kompromissbereitschaft gegenüber der Ukraine bereit sein könnte, wenn der mächtige Freund in Peking ihn dazu drängen würde.
Die Frage ist nur, wie weit Xi Jinping, der sich neuerdings so gerne als Friedensbringer darstellt, entschlossen ist, seine ukrainischen «Friedenspläne» über unverbindliche Deklamationen hinaus voranzubringen.