China ist Export-Weltmeister. Zusammen mit Amerika auch Dreckschleudern-Weltmeister. Schliesslich ist China hinter den USA Wirtschafts-Vize-Weltmeister. Im Fussball hingegen liegt China weit abgeschlagen. Doch Fussball-Weltmeister waren die Chinesen schon einmal.
In Extremis erzielten neulich die Chinesen (Fifa-Rangliste vom 15. März: Nummer 83) im Freundschaftsspiel gegen Haiti (Nummer 77) noch ein Tor. 1:1 unentschieden. Der oberste Fussballfan der Nation – Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping – muss aufgeatmet haben. „Muss“ deshalb, weil die Reaktion Xis auf die magere Vorstellung der heimischen Fussballkünstler in Zhongnanhai, dem Zentrum der allmächtigen Kommunistischen Partei, wie vieles andere streng gehütetes Staatsgeheimnis ist. Aber alle Beobachter sind sich einig, der bekennende Fussballliebhaber Xi muss gelitten haben. Wie schon zuvor im Match China gegen Tunesien. Ein dürftiged 2:2-Unentschieden resultierte. Immerhin mag als Trost gelten, dass Tunesien die Nummer 25 der Welt ist und damit fussballerisch sehr viel stärker eingeschätzt wird als das chinesische Nationalteam.
Reform ist Chefsache
Das Leiden des Fussballbegeisterten Xi soll nun aber ein Ende haben. Wenn nicht kurz- so doch mittel- und langfristig. Denn Partei-Supremo Xi ist ein grosser Träumer. Sein Volk hat er mit dem „Chinesischen Traum“ begeistert, der Verjüngung und Wiederauferstehung der chinesischen Nation. Die internationale Gemeinschaft hat er mit seinem Seidenstrassen-Traum überrascht, einer Wiederbelebung der alten Seidenstrassen zu Wasser und zu Lande zum Nutzen von Asien, Europa und darüber hinaus. Als Fussballfan aber träumt Xi, dass China bald einmal die WM ausrichten kann und letztlich einst gar Weltmeister wird.
Träume sind Schäume, das werden wohl westliche Fussball-Trainer, Fans, Funktionäre, Schiedsrichter und Spieler sagen. Allein, in China wird geträumt, dabei aber allsogleich auch konsequent gehandelt. Das gilt für die Politik, die Wirtschaft, aber eben auch für den Fussball. Mit andern Worten, Xi Jinping hat die Fussball-Reform zur Chefsache erklärt. Ein entsprechender Plan ist von der mächtigen nationalen Reformgruppe unter dem persönlichen Vorsitz von Xi entworfen worden. „Guter, erfolgreicher Fussball“, heisst es in einem entsprechenden Papier, „ist auf Chinas Weg zu einer mächtigen Sportnation entscheidend“.
„Helden“ der Nation
Weil die Frauen-Nationalmannschaft bereits ein gutes Niveau erreicht hat, ist die Zielvorgabe des Fussballplans, nämlich Weltklasse zu erreichen, für die Frauenelf mittelfristig angelegt. Für die Fussballer wird dieses Ziel aber erst „auf lange Sicht“ angestrebt. Nicht von ungefähr. Erst einmal, 2002 in Südkorea/Japan, konnte sich die Nationalelf für die WM qualifizieren. Das Ende kam bereits in der Vorrunde: Null Punkte, null Tore, drei Niederlagen. Immerhin geht es derzeit leicht aufwärts. Im Januar erreichte das Nationalteam die Viertel-Finals des Asian Cups. Die Medien packten die ganz grossen Schlagzeilen aus. Die Fans waren begeistert. Die amtliche chinesische Nachrichten-Agentur Xinhua (Neues China) jubelte poetisch von einem „Märchen“. Selbst bei der Halbfinal-Niederlage erhob die Presse die gut bezahlten Kicker noch zu „Helden“.
Doch der Weg zur Weltspitze ist, wie Chef-Träumer Xi Jinping – realistisch wie er ist – wohl weiss, noch lang. Deshalb wurde ein vom Staatsrat, der Regierung, abgesegneter Fussball-Entwicklungsplan in 50 Punkten festgelegt. Der Plan nimmt, politisch korrekt, sogar auf die Theorien von Refrom-Übervater und Revolutionär Deng Xiaoping bezug. Fussball wird zu einer nationalen Priorität. Praktische Konsequenzen hat vor allem der Transfer der obersten Verantwortung von der bürokratisch-planwirtschaftlichen „Allgemeinen Administration für Sport“ zur „Chinesischen Fussball Assoziation“ (CFA). Nach jahrelanger Misswirtschaft und Korruptionsskandalen – der ehemalige Präsident und dessen Vize sitzen unterdessen im Gefängnis – hat die CFA an Professionalität und Statur gewonnen. Die Profiliga macht den Fussballverrückten Chinesinnen und Chinesen wieder Freude.
„Vernünftige Erwartungen“
Der Reformplan enthält vor allem praktische Punkte. Der Fussball soll bei den Kindern, der Jugend, an der Basis also weiterentwickelt werden. Deshalb steht der Sport ab sofort auf dem Stundenplan der Primar- und Mittelschulen. Die Zahl der meist von Vereinen im Riesenreich betriebenen Fussballschulen soll von gegenwärtig 5‘000 bis in fünf Jahren auf 20‘000 und in zehn Jahren auf 50‘000 erhöht werden. Die Lokal-Behörden werden in diesem Zusammenhang aufgefordert, Investoren zu finden, um den Fussballclubs langfristig Stabilität zu verleihen. Als flankierende Massnahmen werden Bücher für Trainer und Spieler herausgegeben. Das grösste Problem sind allerdings Fussballplätze. Es gibt zu wenig. Lokal-Behörden nämlich haben in jüngster Vergangenheit oft geeignetes Terrain an Liegenschafts-Generalunternehmer verkauft zwecks Erhöhung des Steueraufkommens. Im Plan ist schliesslich auch die Mahnung enthalten, dass das „Volk vernünftige Erwartungen“ hegen sollte. Beim Ende seiner auf zehn Jahre verangschlagen Herrschaft wird mithin der Traum des Oberträumers Xi, 2022 in Katar Weltmeister zu werden, noch nicht in Erfüllung gehen. Aber vielleicht an der WM 2026 in China, wer weiss....
„Laozi flankt, Konfuzius dribbelt“
Im deutschsprachigen Raum wurde der Plan der Wirtschafts-Grossmacht China, eine Fussball-Schwergewicht zu werden, unter anderem mit einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) verbreitet. Die Agentur-Kollegen schrieben: „China ist keine Fussballnation und hatte nie eine Fussballkultur. Dabei betont Chinas Führung immer weider, der Fussball sei in China erfunden worden“. Mit ein wenig Recherche wäre unschwer festzustellen gewesen, dass die Chinesische Führung recht hat. Anschaulich und mit vielen Beispielen beschreibt das der ehemalige Kurator am Museum Rietberg, Ordinarius für Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Zürich und Zen-Buddhismus-Experte Helmut Brinker in seinem Buch: „Laozi flankt, Konfuzius dribbelt“.* Seit dem 2. Jhd. vor unserer Zeit wird im Reich der Mitte der Ball getreten. Seit dem 7. Jhd. nach Beginn unserer Zeitrechnung war der Ball sogar mit Luft gefüllt. Der Ball wurde mithin nicht mehr flach sondern auch hoch gehalten. Taktik, Spielregeln und Technik veränderten sich grudlegend.
Die Briten, Erfinder des modernen Sports, kreierten dann im 19. Jahrhundert auch den modernen Fussball mit einer Mannschaft von elf, anstatt wie in China üblich mit sechs Spielern. Wie Brinker nachweist, war das Fussballspiel in China schon früh ein echter Volkssport. Aber er war auch „von Anbeginn hoffähig und einige Kaiser waren begeisterte Fans“. Der neue rote Kaiser Xi Jinping befindet sich also, polit-historisch korrekt, in guter Gesellschaft. Mit Blick auf die Geschichte kann somit festgestellt werden, dass China schon zu einer Zeit Fussball-Weltmeister war, als in den Amphitheatern des Römischen Reiches Brot und Gladiatorenspiele populär waren. Auch in Augusta Raurica nahe Basel, also zwei Jahrtausende vor Gründung des FCB.....
Der Ball ist rund in Ost und West
Richtig ist, das mein Schweizer Lieblingsverein, der Fussballclub Basel 1893 (FCB), und mein internationaler Lieblingsverein Futbol Club Barcelona 1899 (FCB) sehr viel älter sind als mein Chinesischer Lieblingverein FC Beijing Guo’an 1992 (FCB). Ebenso richtig ist aber, dass das Fussballspiel in China seinen Anfang nahm. Das weiss sicher sowohl Fifa-Boss Josef „Sepp“ Blatter als auch Uefa-Chef Michel Platini. Sie haben ja wohl als Fachleute „Laozi flankt, Konfuzius dribbelt“ gelesen oder zumindest auf dem Schreibtisch liegen. Zu wünschen wäre das auch den Herren Blocher, Mörgeli und Brunner. Wie Sinologe Brinker mit seinem Fussball-Buch zeigt, sind Geisteswissenschafter durchaus nützlich und praxisnah. Was also soll ein Numerus Clausus für philosophische Fächer?
In Summa und ernsthaft kann eines zweifelsfrei festgestellt werden: Der Ball ist und bleibt rund. Sowohl im Osten als auch im Westen.
*Helmut Brinker: Laozi flankt, Konfuzius dribbelt. China scheinbar abseits – Vom Fussball und seiner heimlichen Wiege. Verlag Peter Lang, Bern 2006.