Doch diesmal würden wir hart bleiben. Sechs Monate hielten wir’s ohne Strom aus, dank der einen Phase, die noch von der Bauzeit zugeschaltet war. Doch dann stand Besuch ins Haus, mit Kindern, und wir konnten die stundenlangen Unterbrüche jeden Tag nicht mehr verantworten. Wir streckten die Waffen. Es wurde noch ein bisschen gefeilscht, der lokale ‚Linesman‘ kam, klagte, er erhalte sowieso nichts, das Geld gehe an ein halbes Dutzend Leute auf der Hierarchieleiter hinauf bis zum ‚Area Manager‘. Wir hatten Mitleid mit ihm, wir hatten Mitleid mit uns, das half, um der Transaktion das leicht Anrüchige (und Beschämende) zu nehmen.
Heute würde ich vielleicht die Website www.ipaidabribe.com aufschalten, um mein schlechtes Gewissen zu erleichtern. Seitdem die Seite vor einigen Monaten ins Netz kam, wurde sie von Zehntausenden von Opfern/Tätern genutzt, die damit ihre Hilflosigkeit loswerden wollten. Genau dies hatte die Zivilorganisation Janaagraha beabsichtigt, als sie die Initiative vor einigen Monaten startete: Den Tausenden von Leuten, die jeden Tag Schmiergeldforderungen des allgegenwärtigen Staats gegenüberstanden, eine öffentliche Plattform zu geben, um sich und dem ganzen Land den Spiegel der allgegenwärtigen Realität der Korruption vorzuhalten.
Das K-Wort fällt durchaus
Es ist nicht so, dass das K-Wort in Indien nie fällt. Die Zeitungen sind voll davon, die Fernsehkanäle schreien es in die Stuben und Hütten des Landes. Aber, so Janaagraha, solange wir es nur bei den Grossen und Mächtigen festmachen in Delhi und Mumbai, bleibt es ‚Reality TV‘, ein Theatererlebnis mit einem Hauch von Katharsis. Vielleicht wird das Öffentlichmachen dieser beschämenden Gesten endlich den demokratischen Raum schaffen, der das Übel an der Wurzel packt.
Das grosse Polittheater in Indien bietet dafür in diesen Tagen einen idealen Resonanzraum. In Delhi wurden die ersten Verhaftungen vorgenommen, um der massiven Geldverschwendung auf die Spur zu kommen, die bei der Organisation der Commonwealth-Spiele aufgeflogen ist. In Mumbai ist die Provinzregierung gefallen, als bekannt wurde, wie für den Bau eines Hochhauses im Quartier für Marineangehörige alle Regeln umgangen wurden. Wie dies möglich war, zeigte die Liste der Wohnungsbesitzer: Generäle, Admiräle, Politiker, Spitzenbeamte – bzw. ihre Söhne, Ehefrauen, oder gar Chauffeure. Denn das Projekt hatte alle Hürden genommen, weil es für "die Helden und Witwen des Kargilkriegs" gedacht war, mit einem Monatseinkommen von maximal 300 Franken. In Bangalore hatte der lokale Chefminister Regierungsland verstaatlicht und seinen Söhnen dessen Kauf erleichtert.
Und nun wurden diese Skandale von einem noch grösseren in den Schatten gestellt. Der Telekom-Minister A.Raja aus Tamil Nadu, seit Jahren schon im Gerede, musste seinen Hut nehmen. Die nationale Geschäftsprüfungsbehörde, deren Berichte sonst unter den Pulten der Parlamentarier verschwinden und in den Ministerialbüros verstauben, nutzte die Gunst der Stunde, um seinen Bericht über den Verkauf von Sende-Konzessionen im riesigen und dynamischen Mobilfunkmarkt im Jahr 2008 öffentlich zu machen.
Der Vorwurf: Statt, wie dies der Premierminister selber vorgeschlagen hatte, die Konzession unter den zahlreichen Bietern in einem transparenten Verfahren zu versteigern, hatte das Ministerium auf Befehl von Raja den Preis von 2001 als Basis genommen, hatte die Anmeldefrist auf eine Woche gekürzt, und schliesslich die Hinterlegung eines Schutzdepots auf einen Tag, sodass am Schluss gerade noch sechs (vorgewarnte) Firmen dreiviertel Stunden Zeit hatten, um in die Ränge kamen. Darunter waren, oh Wunder, Namen die noch nie im Telekombereich tätig gewesen waren – Bauunternehmen und Briefkastenfirmen mit einem Kapital von 2500 Franken. Nur Monate danach verkauften sie ihre Lizenzen zu einem Vielfachen des Preises an internationale Telekomfirmen wie Telenor, Singtel und Etisalat. Der nationale Verlust für die entgangenen Einnahmen, laut oberstem Geschaeftsprüfer: 1,7 Billionen Rupien, rund 40 Milliarden Franken, das Siebenfache des jährlichen Erziehungsbudgets des Landes.
Das war zu viel
Nicht nur die Grössenordnung dieser Summen hat aus der Resignation des Volks über Nacht helle Empörung gemacht. Die schiere Frechheit und Leichtigkeit, mit der Raja die komplexen Vorschriften, die Einwände des Premierministers, den Widerstand der Kontrollbehörde vom Tisch gewischt hatte, brachten selbst zynische Geister in Wallung. Manmohan Singh, der Politiker mit der reinen Weste, mundtot gemacht, weil Koalitionszwang und Wahlkalkül – Raja gehoert einer Regionalpartei an – ihn zum Schweigen verurteilen; die Anti-Korruptionsbehörde ein Papiertiger; und nur der vereinte Kraftakt von Parlamentsopposition und Medien fähig, den dreisten Mann vom Stuhl zu kippen.
Werden www.ipaidabribe.com, Mediensturm und die frommen Proteste der Oppositionspolitiker der Nation einen Ruck geben, um diesem "Krebsgeschwür" beizukommen? Alle Leute, die ich darauf anspreche, sind erleichtert über das reinigende Gewitter, das dieser Tage über Indien hinwegfegt. Aber niemand glaubt, dass es dieses komplexe Geflecht von Geschäft und Politik, von Gier und Geld auflösen wird. Denn es gibt Schätzungen, die die Schwarzwirtschaft auf 50 Prozent des Sozialprodukts schätzen, und Schwarzgeld ist ihr Sauerstoff. „Come on“, meinte mein Freund Dipankar Gupta. „Korruption ist das zweitälteste Gewerbe der Welt. Und ebensowenig wie das Älteste wird es auszurotten sein“.
Vielleicht hat er Recht, mal sehen. Wir warten seit einem Jahr auf den Breitbandanschluss für unser Telefon. „Der Kunde ist Gott“, sagte uns der Area Manager der Telefonbehörde, als wir ihn kürzlich wieder einmal aufsuchten. „...das hat schon Mahatma Gandhi gesagt. Es wird gemacht, ich verspreche es Euch“. Gute Nachrichten. Doch halt, er ist noch nicht fertig: „Aber es fehlt uns das Kabel, wir haben keine Leute, um den Graben zu ziehen. Es kommt natürlich nicht in Frage, dass Sie das bezahlen. Aber wenn Sie eine kleine Spende machen wollen, dann wäre das sehr zuvorkommend von Ihnen. Aber wie gesagt, es ist Ihr Entscheid“.