Wuzhen. Wo ist das schon wieder…? Sagen wir mal: in der Nähe von Shanghai, von der Schweiz aus gesehen. Wuzhen ist ein Museumsdorf im Baustil des 19. Jahrhunderts in China. Kanäle durchziehen den Ort ein bisschen so wie in Venedig. Gleichzeitig ist es eine Art Ballenberg nach chinesischer Art, wo man den Lebensstil von anno dazumal präsentiert bekommt.
Eine Abenteuerreise
Wuzhen will sich nun aber auch als Theater-Festival positionieren. Bereits zum dritten Mal sind soeben internationale und chinesische Theaterproduktionen dort gezeigt worden. Unter anderen „Die Physiker“, mit denen das Schauspielhaus Zürich die Ehre hatte, das Festival zu eröffnen.
Und nun sind alle wieder zurück. Der jetlag steckt noch etwas in den Knochen, aber die Begeisterung über diese Abenteuerreise ist gross. Lisa-Katrina Mayer sitzt jetzt in der Kantine des Schiffbaus. In den „Physikern“ spielt sie die Rolle der Krankenschwester Monika Stettler. Fast unwirklich kommt es ihr vor, dass sie nun schon wieder hier, in heimischer Umgebung, ist.
Und sie erzählt. „Gleich am ersten Tag, nachdem wir von Shanghai nach Wuzhen gekommen sind, gab es eine ‚Bühnenbegehung‘, also man sieht sich die Grösse der Bühne an, die ja nicht genau gleich ist wie in Zürich.“ Das Bühnenbild wurde ganz leicht angepasst. Das hätte bedeuten können, dass manche Gänge auf der Bühne etwas länger würden. Aber es gab am nächsten Tage ohnehin noch einmal eine Probe mit Regisseur Herbert Fritsch, bei der letzte Unklarheiten bereinigt werden konnten.
Völkerverbindendes Theater
Unterdessen sorgte Carsten Grigo mit ein paar wenigen Technikern aus Zürich und einer Grosszahl von Helfern aus China dafür, dass die Bühne in Wuzhen auch den Ansprüchen des Schauspielhauses entspricht. Carsten Grigo ist sozusagen der Gastspiel-Spezialist des Schauspielhauses. Er weiss, wie man ein Bühnenbild einpackt und auf die Reise schickt und vor allem auch, wie man es vor Ort auf die fremde Bühne stellt. Vor zwei Monaten hat er die „Physiker“ in einen 40-Fuss-Container verladen, der dann vierzig Tage auf hoher See war, unterwegs nach Shanghai.
Das grösste Problem mit seinen chinesischen Bühnenarbeitern war dann aber die sprachliche Verständigung. „Zum Glück waren aber auch einige aus Taiwan eingeflogen worden, mit denen konnten wir englisch sprechen“. Die Taiwanesen hatten auch mehr Erfahrung mit Gastspielen. „Es gab daher weniger Reibungsverlust“, so Grigo. Und dass China und Taiwan sich immer noch spinnefeind sind, war das denn kein Problem unter den Bühnenarbeitern aus beiden Lagern? „Nein! Das Theater hat hier völkerverbindend gewirkt“, lacht Grigo.
Und dieses Völkerverbindende war durchaus auch für die Chinesen beider Seiten von Vorteil, weil sie bei den Zürchern – die Technik betreffend - ein bisschen was abgucken konnten. Das grösste Problem betraf allerdings das Licht. „Ich wusste, dass das schwierig werden würde. Die Bühnenbeleuchtung ist im Schauspielhaus für sämtliche ‚Physiker‘-Vorstellungen genau programmiert, aber in China musste das alles neu für den Einmal-Betrieb eingerichtet werden. Das braucht Zeit.“ Gab es irgendetwas, das ihn bei der Arbeit mit seiner chinesischen Mannschaft am meisten überrascht hat? „Ja, die vielen Hände, dieser Überfluss an Arbeitskräften. Das kennen wir hier bei uns überhaupt nicht.“
Alle drei Vorstellungen ausverkauft
Drei Vorstellungen der „Physiker“ standen in Wuzhen auf dem Programm. Alle drei waren ausverkauft. Und dies in einem Theater, das mit seinen 1‘200 Plätzen bedeutend grösser ist als das Zürcher Schauspielhaus. „Da hat man direkt ein ehrfürchtiges Gefühl, wenn man von der Bühne in diesen grossen Zuschauerraum blickt“, sagt Lisa-Katrina Mayer.
Und was war sonst noch anders als in Zürich? "Während der ersten Vorstellung hatten wir das Gefühl, dass wenig Reaktionen aus dem Zuschauerraum kamen, kaum Lacher oder Szenenapplaus, was teilweise mit der simultanen Übersetzung auf Bildschirmen zum Mitlesen ins Chinesische und Englische zusammenhing, in der - egal wie gut gemacht - immer gewisse Wortspiele und der Humor der zwischen den Zeilen steht, auf der Strecke bleiben. Am Schluss gab es dann aber bombastischen Applaus und von der Bühne blickte man in hunderte von Handys, die Aufnahmen von uns machten, das war überwältigend und befremdlich zugleich."
Riesige Begeisterung
Eindrücklich fand sie auch die grosse Freundlichkeit, mit der die Zürcher in China empfangen wurden und auch die Aufmerksamkeit, die sie als Europäer auf der Strasse erregten. Mit ihren langen blonden Haaren ist Lisa-Katrina Mayer natürlich bei den Chinesen ganz besonders aufgefallen und entsprechend oft fotografiert worden.
Es gab aber auch noch einen anderen Kontakt, erzählt Lisa-Katrina Mayer. „Im Bus von Shanghai nach Wuzhen konnte ich mit einer jungen chinesischen Studentin sprechen, die sozusagen vom anderen Ende Chinas angereist war, mit Flugzeug und Bus, um die ‚Physiker‘ zu sehen. Sie war ganz außer sich, als sie bemerkte, dass einige der Schauspieler im selben Bus waren", so Lisa-Katrina Mayer. „Das hat natürlich auch uns gefreut, diese Begeisterung ist schon toll.“ Für Junge sei dieses Gastspiel wohl so eine Art Fenster zur Welt gewesen, meint sie, Theater, so wie sie es in China nicht kennen.
Einen weiteren Effekt hat diese Gastspielreise auch noch gehabt. "In Erinnerung bleiben wird mir neben den vielen Eindrücken im Zusammenhang mit den Vorstellungen auch die schöne Zeit, die man auf so einer tollen Reise mit den Kollegen verbringen durfte." Lisa-Katrina Mayer sagt es mit einem Hauch von Wehmut und freut sich gleichzeitig, dass es war, wie es war: Einfach schön.