Eigentlich generieren Wunder die allerschönsten Nachrichten. Oft auch, wenn sie nur die Bereitschaft zum noch allgegenwärtigen Wunderglauben dokumentieren. Schade immer, wenn ausgerechnet echte Wunder aus gar nicht leicht zu erklärenden Gründen einfach nicht den Weg in die Berichterstattung der Medien finden.
So geschehen bei der während Wochen an sich bis in scheinbar jedes Detail verfolgten Rettungsaktion von 33 chilenischen Mineuren, die Anfangs August 2010 in 700 m Tiefe verschüttet worden waren.
Die Kupfermine in der Atacama-Wüste hielt sie wegen hoffnungslos eingestürzten Schächten auf zunächst unabsehbare Zeit gefangen, aber ihre Lebenszeichen aus einer relativ sicheren Kammer liessen die Rettungsanstrengungen nie erlahmen.
Leider standen nur Bohrer mit zu kleinem Querschnitt zur Verfügung, und die vagen Schätzungen, bis wann diese tapferen Männer das Tageslicht wieder sehen würden, reichten bis in die Weihnachtszeit. Eine dünne Bohrung erlaubte zwar schon bald die Versorgung der Verschütteten mit Lebensnotwendigem von Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Post bis zu Fernsehkameras zum Informationsaustausch mit ihren bangen Angehörigen.
"Mirakulöse" dritte Bohrung
Ihre eigentliche Rettung war aber noch keineswegs gesichert, denn die Bohrung eines für die meisten Mineure vermutlich zu engen Schachtes ging viel zu langsam voran und bedeutete noch keineswegs ein absehbares Ende des Dramas.
Die Meldungen sprachen aber nie deutlich über eine viel später begonnene dritte Bohrung, die mirakulöserweise irgendwo vom Himmel kam und wohl daher ungleich viel rascher vorankam.
Aus den geschätzten Zeiträumen von Monaten bis zur Rettung der Mineure wurden plötzlich nur noch Wochen, aber niemand schien sich darüber zu wundern. Über den Grund des technologischen Quantensprunges bei den Rettungsanstrengungen schien schon gar kein Interesse zu herrschen.
Ganz aufmerksamen Zeitgenossen entging zwar nicht, dass in dubiosem Zusammenhang ganz selten vom Einsatz von «NASA-Knowhow» die Rede war, aber eher im Sinne von psychologischen Ratschlägen für die Betreuung einer isolierten Menschengruppe. Die vagen Formulierungen liessen den Zeitgenossen zu aller letzt auf die Idee kommen, sich darunter sogar sehr konkrete Hardware-Unterstützung vorzustellen.
Plötzlich tauchen luxuriöse NASA-Kapseln auf
Wo aber alle das gleiche denken, denkt gemäss dem längst verstorbenen Kolumnisten Walter Lippman keiner mehr gründlich. So fragte auch niemand, woher noch während der Bohrung plötzlich recht luxuriös anmutende «Liftkapseln» am Unglücksort auftauchten. Ausgestattet mit Sauerstoff-Versorgung, ja einem eigentlichen Lebenserhaltungssystem – wie in einer Raumkapsel!
Man konnte in der Folge auch keinerlei Hinweise auf «NASA-Technologie» mehr finden, egal, wie genau man die Pressemeldungen durchforstete. Eingehende Internet-Recherchen deuteten zwar auf «Firmen in den USA», welche Erfahrungen mit «Fortbewegung unter dem Boden» hatten, aber dafür interessierte sich die Tagesberichterstattung schon gar nicht mehr bei einem Thema, das die Halbwertszeit des Medieninteresses bereits mehrfach überschritten hatte.
Bis dann die eben noch in den Sternen stehende Rettung die Phase «Menschliches Drama mit Happy End» erreicht hatte, war es erst recht nicht mehr opportun, um über so profane Details wie technische Finessen zu sprechen.
Die Besten der Branche
Erst nach geschlagener Schlacht kamen die Fakten mitsamt den Bergleuten an den Tag. Die Aussage von General Eisenhower nach dem Zweiten Weltkrieg sollte sich zum wiederholten Male bewahrheiten: «Es ist das, was man weiss, wenn man alles weiss, das zählt». Wer die Mineure und deren Angehörige persönlich interviewte, kam endlich näher an die Fakten aus erster Hand heran. Zusätzlich dank einem Jeff Hart, der bei den Betroffenen ganz besondere Hochachtung genoss, der Welt aber unbekannt geblieben war. Endlich liess sich das in ein Puzzle fragmentierte "Wunder" logisch zusammensetzen:
Der Erfinder der Rettungskapsel war tatsächlich ein NASA-Ingenieur gewesen. Der Bohrer war von der Firma Schramm Inc. im US-Staat Pennsylvanien geliefert worden. Ein benachbartes Unternehmen, Center Rock Inc., hatte die in grosser Zahl zerschlissenen Bohrköpfe besorgt.
Jeff Hart und sein Bohrteam sind eigentlich in Denver, Colorado, zu Hause. Meist sind sie allerdings in aller Welt an der Arbeit, um Unmögliches zu erledigen. Sie bohren u.v.a. nach Wasser in Afghanistan. Nach Chile waren sie vom Militär eiligst umbeordert worden. 33 Tage haben sie Tag und Nacht gearbeitet und mit den Angehörigen der Verschütteten mitgefiebert. Sie gelten als die Besten in der Branche, verwenden den Bohrer mit dem grössten Durchmesser auf der Welt und haben hier mit fast übermenschlichem Einsatz geschuftet. Einfach, weil es hier um Menschenleben ging, wie sie sagten.
Wegen mangelhaften Plänen der Mine trafen sie auf Metallstrukturen im Boden. Ihr Bohrer zerbarst und es musste Ersatz aus den USA herbeigeflogen werden. Auch kräftige Magnete wurden herbei geschafft, um die Metalltrümmer aus dem Loch zu holen, bevor man weiterbohren konnte. Der Untergrund einer Gold- und Kupfermine besteht naturgemäss aus dem härtesten Gestein, das die Erdoberfläche zu bieten hat.
Keine Ehrung für die wirklichen Helden
Brandon Fisher, der Präsident von Center Rock, und seine Leute seien praktisch keine Minute zur Ruhe gekommen und nach fast fünf Wochen total erschöpft gewesen. Alle Beteiligten waren sich einig: dieses Projekt war das Schwierigste ihrer Karriere, weil es hier zusätzlich um Menschenleben ging. Keine Materialschlacht durfte gescheut werden. «Wir haben die Schlacht gewonnen, und wir sind glücklich» war ihr Fazit.
Immerhin, diese Helden des Dramas erfuhren wenigstens die Dankbarkeit der Geretteten und ihrer Angehörigen vor Ort aus erster Hand. Derweil erfuhr der Rest der Welt kaum etwas darüber, warum alles plötzlich so schnell gegangen war, warum sämtliche Mineure noch zu Lebzeiten wieder am Tageslicht waren und sich binnen Tagen oder maximal zwei Wochen im Krankenhaus von ihren Strapazen erholen konnten.
Es wird vielleicht nicht leicht sein, ein Foto von Jeff Hart inmitten glücklicher Geretteter zu finden, obwohl es nur fair gewesen wäre, sie auf das Titelbild sämtlicher illustrierten Blätter der Welt zu setzen. Auch in den USA selber fanden es gut Informierte zuviel der Bescheidenheit, dass die verdienten Helfer nicht einmal vom derzeitigen Präsidenten geehrt und der Jugend als Vorbilder in Erinnerung behalten worden sind, so, wie das in Chile selber geschehen ist.
Auch in der Schweiz haben wir in diesem Herbst ein gewaltiges Loch durch die Alpen gebohrt. Wenn der Chefingenieur, Renzo Simoni, nicht bei jeder passenden Gelegenheit darauf hingewiesen hätte, dass den Mineuren aus aller Welt der ganz grosse Dank gehöre, dann wäre sicher vergessen gegangen, dass die Ehre für das Werk höchstens einige wenige Politiker verdient hätten, die beim Durchstich bereits nur noch am Rande dabei waren.
Wie heisst es doch so schön? «Jedes Projekt hat fünf Phasen: Begeisterung, Verwirrung, Suche der Schuldigen, Bestrafung der Unschuldigen, Auszeichnung der Nichtbeteiligten».
So werden echte Wunder der Geschichtsschreibung vorenthalten, und unechte der politischen Opportunität nutzbar gemacht.