Es handelt sich um das eindrückliche Zeugnis eines jungen, früh verstorbenen Schriftstellers, der im Zweiten Weltkrieg mitkämpfte, mit Hitler-Deutschland aber nichts zu schaffen hatte.
Wolfgang Borchert schrieb sein Stück „Draussen vor der Tür“ Anfang 1947. Es wurde zuerst in einer Hörspielfassung vom Norddeutschen Rundfunk gesendet und dann durch die Hamburger Kammerspiele am 21. November 1947 uraufgeführt. Borchert erlebte die Uraufführung nicht mehr; er verstarb einen Tag zuvor im Alter von 26 Jahren in Basel. Der Autor hatte seinem Werk geringe Erfolgschancen eingeräumt. „Ein Stück“, so seine Prophezeiung, „das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will.“ Doch er täuschte sich. „Draussen vor der Tür“ wurde zusammen mit Zuckmayers „Des Teufels General“ zum erfolgreichsten deutschsprachigen Bühnenstück der Nachkriegszeit. Als Klassenlektüre wurde das Drama in Tausenden von deutschen Schulen gelesen. In den Literaturgeschichten gilt es als Musterbeispiel für die „Trümmerliteratur“ der „Stunde Null“.
Kein Zuhause mehr
Den Inhalt seines Stücks hat Wolfgang Borchert in einer kurzen Vorbemerkung so zusammengefasst: „Ein Mann kommt nach Deutschland... Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draussen vor der Tür.“ Der Mann, von dem hier die Rede ist, kehrt aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hamburg zurück. Beckmann heisst er, hat an der Ostfront als Unteroffizier gekämpft und nach der Niederlage jede Hoffnung in seine Zukunft verloren. Er will sich in der Elbe ertränken, doch die will ihn nicht, spukt ihn wieder aus, schwemmt ihn ans Ufer. Vergeblich will er im Leben Fuss fassen. Er sucht seine Frau auf, doch die lebt mit einem andern zusammen, und sein Kind ist im Krieg umgekommen. Beckmann begegnet seinem Obersten, der den Krieg überlebt und sich behaglich und fett im neuen Leben eingerichtet hat. Er berichtet ihm von seinen Albträumen, von einem blutüberströmten General, der ihm nachts auf einem Xylophon aus Menschenknochen preussische Marschmusik vorspielt. Er will dem Obersten die Verantwortung zurückgeben, die ihm dieser bei einem verlustreichen Spähtruppeneinsatz übertragen hat. Doch der Oberst hat für die traumatischen Fantasien und Schuldgefühle Beckmanns keinerlei Verständnis und lacht ihn aus. Wenig später trifft Beckmann auf den Direktor eines Kabaretts, dem er seine Dienste anbietet. Doch dieser Mann, der positiv und dynamisch in die Zukunft blickt, hat für Beckmanns Jammergestalt keine Verwendung. „Reifen Sie auf dem Schlachtfeld des Lebens, mein Freund“, ruft er ihm zu. „Arbeiten Sie. Machen Sie sich einen Namen, dann bringen wir Sie in grosser Aufmachung raus. Lernen Sie die Welt kennen, dann kommen Sie wieder. Werden Sie jemand!“
Oberst und Direktor haben den Krieg überlebt, ohne Schaden zu nehmen. Beide gehen, als ob nichts geschehen wäre, zur Tagesordnung einer neuen Existenz über. Für Beckmann jedoch, den innerlich Verwundeten, Verstörten, ist allein der Gedanke, in der Gesellschaft solcher Menschen weiterzuleben, unerträglich. Er fühlt sich von jener Gesellschaft, wie der Oberst und der Kabarettdirektor sie vertreten, verraten: „Wie wir noch ganz klein waren“, sagt er, „da haben sie Krieg gemacht. Und als wir grösser waren, da haben sie vom Krieg erzählt. Begeistert. Immer waren sie begeistert. Und als wir dann noch grösser waren, da haben sie sich auch für uns einen Krieg ausgedacht. Und da haben sie uns dann hingeschickt. Und sie waren begeistert. Immer waren sie begeistert. Und keiner hat uns gesagt, ihr geht in die Hölle.“
Überall abgewiesen
Beckmann sucht das Haus auf, in dem er seine Kindheit verlebt hat. Es steht noch, aber eine unbekannte Frau wohnt nun dort. Von dieser Frau erfährt Beckmann, dass sich sein Vater, ein überzeugter Nationalsozialist und Judenhasser, zusammen mit seiner Mutter das Leben genommen hat. „Ja, die alten Herrschaften von Ihnen“, berichtet sie, „hatten nicht mehr die rechte Lust. Eines Morgen lagen sie steif und blau in der Küche. So was Dummes“, sagte mein Alter, „von dem Gas hätten wir einen ganzen Monat kochen können.“
Im Traum begegnet Beckmann einem alten Mann, der sich ihm mit weinerlicher Stimme vorstellt: „Ich bin der liebe Gott, mein Junge, mein armer Junge!“ Beckmann wirft dem lieben Gott vor, den Tod seines unschuldigen Sohnes zugelassen zu haben. „Du hast nicht hingehört, als er schrie und als die Bomben brüllten. Wo warst du eigentlich, als die Bomben brüllten, lieber Gott?“ Den verzweifelt vorgetragenen Vorwürfen Beckmanns begegnet Gott mit dem kläglichen Eingeständnis seines eigenen Unvermögens und seiner Unglaubwürdigkeit: „Meine Kinder haben sich von mir gewandt, nicht ich von ihnen. Ihr von mir, ihr von mir. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt. Ihr habt euch von mir abgewandt.“ Überall wird Beckmann abgewiesen, keine Tür öffnet sich für ihn. „Wir stehen alle draussen“, sinniert er. „Auch Gott steht draussen, und keiner macht ihm mehr eine Tür auf. Nur der Tod, der Tod hat zuletzt doch eine Tür uns. Und dahin bin ich unterwegs.“
"Wohin soll ich denn?"
Borcherts Drama „Draussen vor der Tür“ entlässt den Leser in die Offenheit des Ungewissen. Findet Beckmann den Weg zurück ins Leben? Wir können es mit Sicherheit nicht sagen. Zwar lässt Borchert eine weitere Figur auftreten, den „Anderen“, eine Art vitales Alter Ego zur Hauptfigur. Dieser „Andere“ spricht Beckmann zu, ermuntert ihn, sich der Realität zu stellen, einen Neubeginn zu wagen. Doch zuletzt verflüchtigt sich der „Andere“ genauso wie der ohnmächtige Gott, und Beckmann bleibt auf sich allein zurückgeworfen. Das Stück endet mit lauter Fragen: „Wohin soll ich denn? Wovon soll ich leben? Mit wem? Für was? Wohin sollen wir denn auf dieser Welt? Verraten sind wir, furchtbar verraten.“ Die Fragen bleiben ohne Antwort.
Das Leben Wolfgang Borcherts war kurz und unglücklich. 1921 als Sohn eines Volksschullehrers und einer Schriftstellerin in Hamburg geboren, begann er eine Buchhändlerlehre, nahm Schauspielunterricht und verfasste Gedichte. Im Juli 1941 wurde er als Panzergrenadier eingezogen. Auf den Kasernenhofdrill reagierte er mit ohnmächtiger Erbitterung, und den Einsatz im Winterkrieg vor Moskau erlebte er als grauenvolle Groteske. Unter dem Verdacht, sich selbst eine Verletzung beigebracht zu haben, wurde er inhaftiert und entging knapp der Todesstrafe. Wegen kritischer Äusserungen der „Zersetzung der Wehrkraft“ angeklagt, kam er erneut ins Gefängnis und wurde vorzeitig zur „Feindbewährung“ entlassen. Er nahm an heftigen Kämpfen teil, erkrankte unheilbar an Gelbsucht und wurde in das Seuchenlazarett von Smolensk überführt. Kurz vor der Entlassung aus dem Wehrdienst wurde er wegen einer Goebbels-Parodie, welche er vor Kameraden zum Besten gab, erneut verhaftet. Im Gefängnis von Berlin-Moabit sass er eine fast neunmonatige Untersuchungshaft ab und wurde schliesslich an die Westfront geschickt. Bei Frankfurt am Main geriet er in französische Kriegsgefangenschaft, entfloh jedoch und erreichte nach langen Fussmärschen Hamburg. Dort wandte er sich, obwohl schwer krank, sogleich wieder der Theaterarbeit zu. Zwischen Jahresbeginn und Ostern 1946 musste er hospitalisiert werden. In kurzer Zeit entstanden Erzählungen und Prosaskizzen, darunter der Text „Die Hundeblume“, in dem Borchert seinen Berliner Gefängnisaufenthalt verarbeitete. Und es entstand, in wenigen Tagen niedergeschrieben, sein wichtigstes und erfolgreichstes Werk: „Draussen vor der Tür“.
"Sie haben noch viel zu tun"
Im September 1947 ermöglichten Freunde dem Schriftsteller einen Kuraufenthalt in Basel. Doch dem Todkranken war nicht mehr zu helfen. Er erfuhr noch von der günstigen Aufnahme seines Stücks in Deutschland, und er erhielt einen aufmunternden Brief Carl Zuckmayers: „Ihre Welt ist wirklich bis ins Unheimliche, Ihr Talent ist echt. Ich schreibe nicht oft solche Briefe, aber ich muss Ihnen das sagen und hoffe, dass es Sie freut. Werden Sie nur gesund – Sie haben noch viel zu tun.“ Die Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Schriftsteller verstarb am 20. November 1947 im Clara-Spital zu Basel.
„Draussen vor der Tür“ enthält eine Absage an Hitler-Deutschland, wie sie radikaler kaum vorstellbar ist. Der Autor stellt keine Nationalsozialisten auf die Bühne, aber er zeigt am Beispiel des Heimkehrers Beckmann, in welche Abgründe die Diktatur den Menschen führte. Während es für Beckmann keinen Neubeginn zu geben scheint, geht aus andern Arbeiten des Schriftstellers, die unmittelbar nach Kriegsende gedruckt wurden, hervor, wie sehr Borchert die deutsche Katastrophe als Katharsis, als Chance zur Erneuerung, begriffen hat. In seinem letzten, kurz vor dem Tod verfassten Essay „Das ist unser Manifest“, wird dies deutlich spürbar. Es ist zuerst ein resolut pazifistischer Text. „Wir werden nie mehr“, schreibt Borchert, “Jawohl sagen auf ein Gebrüll. Die Kanonen und die Feldwebel brüllen nicht mehr. Wir werden weinen, scheissen und singen, wann wir wollen“. Doch Borchert gibt sich nicht mit solcher Ablehnung zufrieden. „Denn wir müssen“, heisst es weiter, „in das Nichts hinein wieder ein Ja bauen. Häuser müssen wir bauen in die freie Luft unseres Neins, über den Schlünden, den Trichtern und den offenen Mündern der Toten...“ Und dann, so Borchert, werde vielleicht wieder ein ganz neuartiges Bekenntnis zu Deutschland möglich: „Denn wir lieben diese gigantische Wüste, die Deutschland heisst. Dies Deutschland lieben wir nun. Und jetzt am meisten. Und um Deutschland willen wollen wir nicht sterben. Um Deutschland willen wollen wir leben.“
Keine grosse Literatur
„Draussen vor der Tür“ ist eines der eindrücklichsten Zeugnisse, die wir aus der unmittelbaren deutschen Nachkriegszeit besitzen. Die Diskussion um die Frage, wie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit umzugehen sei, beherrschte damals die Öffentlichkeit besonders intensiv. Historiker und Philosophen wie Friedrich Meinecke, Eugen Kogon und Karl Jaspers befassten sich mit der deutschen Schuld und forderten eine grundlegende Neubesinnung. Die Entnazifizierungspolitik der alliierten Besatzungsmächte bemühte sich, zu solcher Erneuerung beizutragen. Täter und Mitläufer der Diktatur erprobten ihrerseits Strategien der Vergangenheitsbewältigung und versuchten, sich in der Nachkriegsgesellschaft des Wirtschaftswunders günstig zu positionieren. In dieser aufgewühlten geistigen Stimmung wirkte Borcherts „Draussen vor der Tür“ wie ein Aufschrei, der nicht überhört werden konnte. Es waren vor allem jene jüngeren Deutschen, die unter Hitler gekämpft und gelitten, ihm aber nicht zur Macht verholfen hatten, die sich mit dem Stück identifizieren konnten.
Wolfgang Borcherts schmales, fragmentarisches Werk mit seinen Anklängen an das Pathos des Expressionismus ist keine grosse Literatur. Der Kritiker Hans Egon Holthusen hatte Recht, wenn er 1951 in seinem weit verbreiteten Buch „Der unbehauste Mensch“ schrieb, das Stück sei bewegend als Dokument einer „sinnlos geopferten Generation, aber künstlerisch nicht befriedigend“. Fragen darf man sich allerdings, ob einem Holthusen, der seine Zugehörigkeit zu den Nazis und zur Waffen-SS nach 1945 schlau zu verheimlichen wusste, ein Urteil über Wolfgang Borcherts tragisches Schicksal überhaupt zustand.