Die USA, Russland, Deutschland, Norwegen, Schweden, Belgien und Albanien haben es abgelehnt, die syrischen Chemiewaffen auf ihrem Territorium zu zerstören. Das Teufelszeug in Syrien selbst unschädlich zu machen, scheint derzeit nicht möglich. Damit ist der Plan ernsthaft gefährdet.
Hochtemperatur-Verbrennungsöfen
Syrien ist im September unter internationalem Druck der Konvention über das Verbot des Einsatzes, der Herstellung und der Lagerung chemischer Waffen beigetreten. Der Weltsicherheitsrat erteilte dem Überwachungsorgan des C-Waffen-Verbots (OPCW) den Auftrag, alle syrischen Bestände zu sichern, dann ausser Landes zu bringen und bis zum 30. Juni 2014 zu vernichten.
Zuerst wurden die Lagerstätten von 1290 Tonnen einschlägiger chemischer Substanzen versiegelt, die Produktionsmittel und Abfüllanlagen unbrauchbar gemacht. In einer zweiten Etappe des mit der syrischen Regierung vereinbarten Plans sollen die Nervengifte wie Sarin und VX bis zum Jahresende zur Vernichtung ausser Landes gebracht werden. Die restlichen chemischen Kampfstoffe sollen bis zum 2. Februar 2014 folgen.
Am einfachsten wäre es, die syrischen C-Waffen vor Ort zu zerstören. Der Bau der erforderlichen Hochtemperatur-Verbrennungsöfen würde aber mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Die Kampfstoffe mitsamt ihrer Munition während so langer Zeit herumliegen zu lassen, scheint in den Wirren eines Bürgerkriegs mit unberechenbaren Akteuren nicht ratsam.
USA: Verbotene Einfuhr von Chemiewaffen
Nach dem Gebot der Logik wäre es die Aufgabe der Russen, die mit ihrer Hilfe produzierten syrischen C-Waffen zu beseitigen. Die russische Regierung macht aber geltend, dass sie mit der Zerstörung ihrer eigenen C-Waffen schon drei Jahre im Rückstand ist und keine freien Kapazitäten habe. Gemäss dem 1997 in Kraft getretenen C-Waffen-Verbot hätte Russland seine mit 40.000 Tonnen angegebenen Bestände bis April 2012 vernichten müssen. Bisher wurden aber erst knapp über die Hälfte eliminiert.
Auch die USA könnten den Job übernehmen, denn sie haben bereits 90 Prozent ihrer deklarierten 31.500 Tonnen chemischer Kampfstoffe zerstört. Das Pentagon gab dafür 10,2 Milliarden Dollar aus. Jetzt benötigt das US-Verteidigungsministerium nochmals 1,3 Milliarden Dollar für die Vernichtung der Vernichtungsanlagen.
Drei Hochtemperaturöfen in Umatilla (Oregon), Tooele (Utah) und Pine Bluff (Arkansas) wurden bereits stillgelegt oder stehen kurz vor ihrer Schliessung. Technisch wäre es also für die USA kein Problem, noch schnell die syrischen C-Waffen zu verbrennen. Die Regierung in Washington beruft sich aber auf ein Bundesgesetz, das ihr die Einfuhr chemische Waffen verbietet, und sei es zum Zweck der Vernichtung.
Letzte Hoffnung Albanien
Die OPCW hat eine Reihe anderer Staaten, die das nötige Know-How zur Vernichtung chemischer Waffen besitzen, um Unterstützung gebeten. Sie erhält aber nur Abfuhren. Angela Merkel stellte diese Woche klar: „Wir werden in Deutschland keine Chemiewaffen vernichten.“ Mit einem vagen Satz („Man wird sich in den internationalen Verbund einordnen“) stellt die Bundeskanzlerin bloss finanziellen, logistischen und technischen Beistand in Aussicht.
Ihre letzten Hoffnungen setzte die OPCW auf das kleine und arme Albanien. Der einstige kommunistische Diktator Enver Hodscha hatte im Land der Skipetaren 16,7 Tonnen Senfgas gehortet. 1997 trat Albanien der C-Waffen-Konvention bei und meldete im April 2007 als erster Mitgliedsstaat die Vernichtung seiner gesamten Bestände. Die USA finanzierten diese Abrüstung mit Spenden in der Höhe von 60 Millionen Dollar.
Die albanische Regierung zeigte sich anfangs geneigt, gegen angemessenes Entgelt auch die syrischen C-Waffen zu verbrennen. Die grösstenteils in Fässer abgefüllten Kampfstoffe hätten dann nur übers östliche Mittelmeer verschifft werden müssen. Doch die Bevölkerung legte sich quer. Nach mehrtägigen Protesten im ganzen Land erklärte Ministerpräsident Edi Rama vor einer Woche auf einer vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz, es sei Albanien nicht möglich, „an dieser Operation teilzunehmen“. Auf dem grossen Platz der Hauptstadt Tirana applaudierten Tausende Demonstranten.
Die geheime Stadt Schichany
Man macht erneut die Erfahrung, dass es wesentlich leichter ist, chemische Waffen zu produzieren, als sie wieder loszuwerden. Selbst die USA und die damalige Sowjetunion standen während der 25 Jahre dauernden Verhandlungen über die C-Waffen-Konvention vor schwer lösbaren technischen Problemen. Als Probelauf begannen sie in den achtziger Jahren, zuerst ihre obsolet gewordene Munition auszumustern.
1987 lud die sowjetische Regierung Delegierte der Genfer Abrüstungskonferenz, denen sich der Schreiber dieser Zeilen anschliessen konnte, zum Besuch einer auf der offiziellen Landkarte nicht existierenden Stadt namens Schichany ein. In diesem Ort im Bezirk Saratow an der Wolga war nach dem Ersten Weltkrieg mit Hilfe deutscher Reichswehroffiziere die erste russische Giftgasfabrik gebaut worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sortiment auf industriellem Massstab um die modernen Kampfstoffe Tabun, Soman und VX erweitert.
Die Verbrennungsanlage in Utah
Die Offenlegung dieser Produktionsanlage war ein politischer Durchbruch. Vor Gorbatschows „Glasnost“ hatten die sowjetischen Militärs stets den Besitz chemischer Waffen abgestritten. Der internationalen Besuchergruppe wurden in Schichany 19 verschiedene Munitionstypen gezeigt, darunter Geschosse, wie sie im August nach dem Giftgasangriff auf Vororte von Damaskus gefunden wurden. Im Unterschied zu gewöhnlichen Artilleriegranaten, die mit Sprengstoff gefüllt sind, enthalten C-Waffen-Träger einen Zerstäubermechanismus für das eingefüllte flüssige Nervengift.
Die Russen entledigten sich in Schichany ihrer unsicher gewordenen chemischen Munition mit Hilfe mobiler Öfen, in denen jeweils zwei Bomben oder Artilleriegeschosse zerstört wurden. Die Amerikaner besassen zu dieser Zeit bereits eine automatisierte Verbrennungsanlage in Tooele, in einer unbewohnten Wüstengegend von Utah. Die US-Agentur für Rüstungskontrolle und Abrüstung lud in- und ausländische Journalisten zur Besichtigung dieses Pilotprojekts ein. Wir sahen, wie hinter Glas auf einer endlosen Kette schwere Artilleriegeschosse vorbeigezogen, von Robotern auseinandergeschraubt und ihres Inhalts entleert wurden. Dann ging das Ganze in den Hochtemperaturofen.
Kosten und Risiken
Ein einziger ausgetretener Tropfen dieser hochtoxischen Stoffe genügt, um einen Menschen zu töten. Der Fluch der chemischen Waffen lastet somit auch auf ihren Besitzern. Mittlerweile gibt es modernere Verfahren, die tödlichen Substanzen unschädlich zu machen, aber alle sind mit Risiken behaftet und sehr kostspielig.
Im Vergleich zu den 90.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe und den 8,7 Millionen Stück Munition, die die übrigen Mitglieder der C-Waffen-Konvention deklarierten, sind die syrischen Bestände bescheiden. Es wäre eine Schande, wenn sich kein Staat fände, der ihre Vernichtung übernimmt.