„Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Rechtspopulismus“. So betitelte die Heinrich-Böll-Stiftung eine Analyse zum Wiedererstarken rechtspopulistischer Strömungen.
Wie heissen sie alle: Alternative für Deutschland (AfD), Pegida, United Kingdom Indepence Party (UKIP), Lega Nord, Front National, Partij voor de Vrijheid, Dänischen Volkspartei, Wahre Finnen, Schwedendemokraten, SVP und andere.
Alle sind – die einen mehr, die andern etwas weniger (wie die SVP) – nationalkonservativ, rechtsnationalistisch, rechtsradikal. Und vor allem sind sie - populistisch.
Rechtspopulismus
Populismus ist heute ein Mode-Schimpfwort. Alles was man ablehnt und nicht fassen kann, ist populistisch. Populisten sind immer die andern.
Es gibt auch den linken Populismus. Der ist ist zur Zeit wenig erfolgreich. Versuchen wir das Allerweltswort „Rechtspopulismus“ zu erklären und zu fassen. Wie weit rechts stehen diese Bewegungen? Was zeichnet sie aus?
Gegen „Rechtsextreme“
Rechtspopulisten grenzen sich klar von der extremen Rechten ab. Mit Nationalsozialisten und braunen Schlägern wollen sie nichts zu tun haben. Zwar nisten sich immer wieder Nazis in den Bewegungen ein, doch diese werden meist ausgeschlossen. Die Rechtspopulisten wissen: Wenn ihnen der Geruch des Nazitums anhaftet, haben sie keine Chance. Den Begriff „Rechtsextrem“ verteufeln sie. Marine Le Pen hat einen Prozess angestrebt, weil sie von Le Monde als „rechtsextrem“ bezeichnet wurde. Den Prozess hat sie verloren.
Gegen „Antisemitismus“
Die Rechtspopulisten distanzieren sich offiziell klar von jeder Judenfeindlichkeit. Nur so können sie in breitere Wählerschichten vorstossen. Marine Le Pen hat ihren Vater wegen seiner dümmlichen antisemitischen Sprüche und seinen sonstigen Entgleisungen („Gaskammern sind ein Detail des Zweiten Weltkrieges“) von der Partei ausgeschlossen.
Verhöhnung der EU
Ganz oben auf der Agenda der Rechtspopulisten steht die Verhöhnung der EU. Sie wird als bürokratischer Koloss verteufelt. Die satten EU-Diplomaten untergraben unsere Souveränität und rauben uns die Freiheit, heisst es. „Frei bleiben“ heisst der Slogan, mit dem die SVP in die Wahlen zieht. Als ob das Thema EU-Beitritt in der Schweiz zur Diskussion stünde.
Für „direkte Demokratie“
In den Augen der Populisten arbeiten die Politiker gegen das Volk. Deshalb muss das Volk mehr Einfluss haben. Die Rechtspopulisten setzen sich deshalb für möglichst viel direkte Demokratie ein. „Nieder mit der korrupten Polit-Kaste: Das Volk an die Macht!“
Verhöhnung der „politcal corectness“
„Sagen, was Sache ist, und nicht um den Brei herumreden.“ Schlagworte wie dieses gehören zum täglichen Vokabular der Populisten. „Die Mächtigen seifen uns ja nur ein.“ Der Kampf gegen die „classe politique“ gehört zum Stammrepertoire der Populisten: „Die in Bern oben…“.
Gegen Multikulti
Globalisierung ist den Populisten ein Dorn im Auge. Man besinnt sich auf die eigene Kultur. Potentielle Immigranten sollen in ihrer Heimat bleiben. „Wo kämen wir hin, wenn ganz Afrika nach Europa strömt!“ Frauke Petry, die Co-Chefin der „Alternative für Deutschland“ will keine „Integrationsfolklore“. Rechtspopulisten sind meist gegen Zuwanderung und oft auch gegen offene Grenzen und die Einbindung in multinationale Organisationen oder Verträge.
Feindbilder
Neben der EU haben die Populisten längst die Muslime als Feindbilder entdeckt. Meldungen über Greueltaten des "Islamischen Staats" beflügeln sie. Differenziert wird kaum. Alle Muslime werden in den gleichen Topf geworfen. Die fast täglichen Meldungen von oft muslimischen Immigranten werden nicht nur von der italienischen Lega Nord instrumentalisiert. Frauke Petry will Volksabstimmungen über Moscheen.
Anti-Amerikanismus
Neuerding haben die Populisten den Anti-Amerikanismus wieder entdeckt. Geschürt wird ein teils grotesker und undifferenzierter Hass auf die USA. Die Enthüllungen über Spionage- und Hackerangriffe sind Wasser auf die Mühlen der Amerika-Hasser. Die USA, das Monster in Washington und im Wilden Westen, bedrohen heute den Frieden in Europa, heisst es. Putin, der zwar die Krim völkerrechtswidrig annektiert hat und in der Ostukraine Krieg führt, wird als Opfer dargestellt. Es gehört zur Ironie der Zeit, dass die Rechte, die ihr Kritiker früher nach Moskau spedieren wollte („Dann geht doch nach Moskau!“) sich plötzlich mit dem einstigen KGB-Offizier verbandelt fühlt.
Gegen die „Lügenpresse“
Die Medien und das „Staatsfernsehen“ stehen im Solde der Mächtigen und manipulieren die öffentliche Meinung. „Glaubt keinem Journalisten“, heisst es in einer Mail an „Journal21“. Alles falsch, alles gelogen. Das Fernsehen fälscht Bilder, die Presse ist korrupt und hängt an der Leine der CIA und der Wallstreet. Verschwörungstheorien überall.
Für die Unterdrückten
Die Populisten erklären, sie wollten der „unterdrückten Mehrheit der Bevölkerung eine Stimme geben“. „Ihr seid das Volk, ab jetzt regiert ihr und nicht die Mächtigen“, sagten schon Juan Perón und seine Frau Evita.
Und der Rassismus?
Das Berner Obergericht muss nun entscheiden, ob der Satz „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“ rassistisch ist oder zur freien Meinungsäusserung gehören darf. Einige der rechtspopulistischen Bewegungen - oder Mitglieder dieser Bewegungen - sind zumindest latent rassistisch. „Rassismus ist in unserer Gesellschaft nach wie vor fest verwurzelt und droht, sich in Zeiten von Globalisierung und Krise sogar zu verstärken“, schreibt die Heinrich-Böll-Stiftung.
Generell hängen die rechten Populisten traditionellen Moralvorstellungen nach. Solide Wirtschaftskonzepte haben die Populisten allerdings kaum; wirtschaftspolitisch sind sie meist unbedarft.
Die Rechten und die Netten
Die Rechtspopulisten beginnen, sich in der europäischen Politlandschaft langsam zu integrieren. Die jüngsten Europawahlen und auch nationale Wahlen machen dies deutlich. Sie als Eintagsfliegen zu betrachten, könnte sich rächen.
Sie haben ihre Taktik geändert. Sie treten nicht mehr laut brüllend auf, wie einst Jean-Marie Le Pen. Sie geben sich kompromisswillig, sogar koalitionsfähig. Die Rhetorik ist leiser geworden. Früher sprach die SVP von den „Linken und Netten“. Heute sind die Rechten die Netten. Abgesehen von einigen aus der Zeit gefallenen Pöbel.
Salonfähig?
Langsam etablieren sie sich in den Parlamenten und bauen ihre Netzwerke auf. Sie geben sich als Super-Demokraten, kämpfen für Freiheit und gegen Unterdrückung, loben die nationale Identität und die nationale Kultur – wer ist schon dagegen.
Vielleicht sind diese netten, fast schon salonfähigen Populisten viel gefährlicher als die radikalen, rechtsextremen Parteien.