Der minutenlange Applaus machte die 32 jährige Journalistin Julia Friedrichs sichtlich verlegen - aber auch stolz. In ihrer „Rede zur Lage des Journalismus“ am Jahrestreffen des „Netzwerk Recherche“ in Hamburg hatte die freie Journalistin offensichtlich bei vielen KollegInnen einen Nerv getroffen. Zuerst machte Friedrichs eine Liebeserklärung an den Journalismus: „Wir Journalisten dürfen das Wichtige vom Unwichtigen trennen…Wir müssen nicht immer mitmachen. Wir dürfen widersprechen. Könnte es einen grossartigeren Beruf geben ? Es gibt etwas zu verteidigen.“
Journalismus wurde Wirtschaftsgut namens „content“
Weniger „grossartig“ sieht Friedrichs ihren Berufsalltag: „Wenn eine meiner Dokumentationen im Fernsehen ausgestrahlt wurde, warte ich am nächsten Morgen nervös auf die Mail um neun Uhr. Die Mail mit den Minutenverläufen, den Umschaltpunkten und am Ende der Zahl: Die Quote, in deren Takt der Sender tickt. Klickraten, Quoten, Verkaufsauflagen.“ Ernüchtert zitiert Friedrichs Sonia Mickich (Leiterin der WDR-Inlandredaktionen): „Wir haben einfach verpennt, dass aus unseren Artikeln und Filmen „Produkte“ oder „Stücke“ wurden, aus dem Kulturgut Journalismus ein Wirtschaftsgut namens „content“ geworden ist.“
Fast 40 Prozent der freien Journalisten verdienten 2008 weniger als 1000 Euro brutto im Monat. Kein Wunder werde die Grenze zwischen Journalismus und PR immer durchlässiger. Für Friedrichs ist Tatsache: „Journalist ist das, was man gerne wäre. PR ist das, was einen letztendlich ernährt.“
Unsere Probleme…
Die zweitägige Journalisten Konferenz (www.netzwerkrecherche.de) diskutierte Fragen, die den Berufsstand umtreiben: Wie prägt das Internet den Journalismus von heute (Recherche jenseits von googeln und mogeln). Braucht es Quoten gegen Machos ( Aufstand der Frauen in den Redaktionen). Gehört BILD eigentlich zum Journalismus oder ist das Boulevardblatt auszugrenzen ? Was macht eine gute Geschichte aus ? Oder: Kann der Journalismus unter prekären Bedingungen als Ich-AG überleben ? Abgesagt wurde die Podiumsdiskussion „Toller Job, mieses Image – Warum mag uns keiner ? “. Warum ? Vielleicht fand sich einfach niemand, der darüber reden wollte…
…und jene eines mexikanischen Journalisten
In Hamburg erinnerte ich mich an Pedro Matias Arrazola. Der mexikanische Journalist verbrachte in dieser Stadt ein Stipendien-Jahr auf Einladung einer deutschen Stiftung. Was hätte wohl Pedro Matias zur „Lage des Journalismus“ in seinem Land, aber auch bei uns sagen können ?
Entführt und gefoltert
Der Reporter der Zeitung „Noticias de Oaxaca“ war 2008 im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca von Kidnappern entführt und gefoltert worden. Die Entführer hatten sich als Mitglieder einer Drogenmafia zu erkennen gegeben. Der Journalist vermutet aber, die Regierung sei der wahre Auftraggeber der Entführung. Denn Pedro Matias hat nie über die Machenschaften der Drogenmafia geschrieben, berichtete aber für die regierungskritische Zeitschrift „Proceso“ über Menschenrechtsverletzungen und Verstösse gegen die Pressefreiheit in Oaxaca.
Ich traf Pedro Matias in Oaxaca. Begeistert erzählte der Journalist, wie er nach seinem „Europa-Aufenthalt“ gestärkt wieder journalistisch tätig sein wolle. Inzwischen publiziert Pedro Matias eine Internet-Zeitung. Er arbeitet weiter für die Zeitschrift „Proceso“, die im April eine prominente Mitarbeiterin verloren hat. Sie wurde in Veracruz ermordet.
Tödlicher Kampf für Pressefreiheit
Seit 2002 sind in Mexiko mehr als 80 Journalisten getötet worden, was das Land zum gefährlichsten für Journalisten in ganz Lateinamerika macht. Dafür einfach die Drogenmafia verantwortlich zu machen, greift zu kurz, denn Armee, Polizei, Justiz, welche die Angriffe auf die Pressefreiheit ahnden sollten, sind selber vom Drogenhandel unterwandert.
„Vierte Gewalt“ mehr als nur Nostalgie
Pedro Matias und seine Kollegen in Honduras, Russland, Aegypten oder Tunesien betreiben „anwaltschaftlichen Journalismus“ im eigentlichen Sinn des Wortes. Sie nehmen Partei für Menschenrechte, Demokratie und sind bereit, für die Verteidigung der „Vierten Gewalt“ ihr Leben zu opfern. In den Ländern des Südens und Ostens wirkt der Journalismus als gesellschaftliche Kraft, als „Demokratietreiber“ (Message 1/2012). Das sind Begriffe und Ziele, die bei uns im Norden von vielen nur noch als Nostalgie von gestern belächelt werden.
Zur Sorge gibt es ja offenbar auch keinen Grund. Zusammen mit den skandinavischen Ländern ist die Schweiz bei der Pressefreiheit weiterhin Spitze. Die schamlosen Machenschaften um die „Basler Zeitung“ mit den politisch bedingten Entlassungen und Abgängen hat sich im diesjährigen Rating von „Reporter ohne Grenzen“ nicht spürbar ausgewirkt.
Wir zeichnen sie mit Preisen aus
Natürlich werfen wir gerne weiterhin einen Blick auf die „unfreie Welt“ und dokumentieren, wie mutige Journalistinnen in Kuba, Iran und China zu Helden der Pressefreiheit werden. Wenn es gut geht, zeichnen wir sie mit einem Preis aus, laden sie - wie Pedro Matias - nach Europa ein, wo sie sich vom Stress erholen und erfahren können, wie Pressefreiheit in einer Demokratie funktioniert.
Ein unbequemer Spiegel
Die unbeugsamen Journalisten im Süden und im Osten halten uns aber auch einen Spiegel vor Augen, der aufzeigt, was bei uns wirklich vor sich geht oder eben nicht mehr stattfindet. Bei uns werden keine Journalisten ermordet, sie verschwinden einfach - lautlos. Die Massenentlassungen der letzten Jahre haben viele qualifizierte Journalisten aus dem „Markt geworfen“ und mit ihnen fehlen jetzt Erfahrungen und Kenntnisse, die für das Funktionieren der Demokratie entscheidend wären.
Für „die schönen Seiten des Lebens“
Welche publizistischen Produkte sind neu auf den Markt gekommen ? Wir werden mit Luxus-Beilagen überschwemmt, die uns „die schönen Seiten des Lebens“ (Z - NZZ) näher bringen wollen. In Deutschland heisst die publizistische Erfolgsstory der letzten Jahre „Landlust“. Das Hochglanzmagazin ist 2005 erstmals erschienen und hat eine sagenhafte Auflage von 800 000 erreicht.
Diese Art von Publizistik bestärkt den Eindruck einer von den Krisen der Welt umbrandeten aber verschonten Wohlstandsinsel (Gemma Pörzgen, Message 1/2012). Es herrscht eine „Occupy Blumenbeet“ – Stimmung (Süddeutsche Zeitung, 16./17. Juni). An der teuren Auslandsberichterstattung kann ruhig weiter gespart werden. Für politische Nachrichten braucht es noch weniger Platz, sie werden unpolitischer und farbiger. Auf den geschrumpften Kernredaktionen geben Event-Manager den Takt an. Der Anpassungsdruck im Journalismus wächst in dem Masse, wie die Arbeitsplätze unsicherer werden.
Wir bewundern die Demokratie-Bewegungen im Süden und Osten. Die mutigen „Demokratietreiber“ in diesen Ländern sollten uns aber auch zwingen, die Rolle des Journalismus in den „alten“ Demokratien zu überdenken. In Hamburg gab Julia Friedrichs ihren KollegInnen zu bedenken: „Es gibt etwas zu verteidigen.“ Sicher dachte sie dabei nicht nur an Löhne und Arbeitsplätze.