Es gibt viele Sprachgebräuche. Und darunter kommt ein scheinbar belangloser Unterschied vor, der mich zu einem kleinen sprachphilosophischen Ausflug inspiriert. In der angelsächsischen Philosophie spricht man von «use» (Gebrauch) und «mention» (Erwähnung) eines Wortes. Wenn ich zum Beispiel sage: «Früher bezeichnete man Italiener oft als ‘Maiser’», dann rede ich primär über Sprache, nicht über Italiener. Das Wort «Maiser» hat in diesem Kontext keine abschätzige Bedeutung. Es wird nicht gebraucht, bloss erwähnt.
Toxischer «moretto»
So weit, so einleuchtend. Aber der Kontext besteht aus Leuten, und diese Leute gebrauchen möglicherweise ein Wort anders als ich. Das erweist sich im Zeitalter der «Wokeness» – der «Gewecktheit» – als zunehmend tückischer. Ich erlebte das kürzlich am eigenen Leib. Am Geburtstagsapéro meiner Tochter in ihrer Wohngemeinschaft unterhielt ich mich mit ihrem Freund über eine Kaffeemarke aus dem Tessin, namens «moretto». Dabei kam ich in Fahrt, denn das Bild auf der Packung zeigt – und nun beging ich den «Fehler», das italienische Wort zu übersetzen – ein «Negerlein».
Und schon passierte es. Ein Teil der Gesellschaft – darunter eine Freundin meiner Tochter, mit schwarzem Vater und weisser Mutter – schnappte ein und hörte die rassistische Äusserung eines «unterirdischen» alten weissen Mannes. Dabei wollte ich ja gerade über die Packung und das Bild herziehen, das heisst, über das unselige kolonialistische Erbgut, welches es evoziert. Zu spät. Der Schaden war angerichtet, eine Familienkrise folgte stante pede.
Wie eine entsicherte Pistole
Übersetzen ist ein typischer Fall von Erwähnen. Ich nenne zwei Wörter – «moretto» und «Negerlein» – und verbinde ihren Gebrauch in den jeweiligen Sprachen. Damit will ich nicht meinen verbalen Fauxpas entschuldigen. Ich war zu wenig kontextbewusst, hätte wissen müssen, dass in der «geweckten» Gesellschaft die Reizschwelle für bestimmte Wörter tief liegt. Was mich nachträglich nun doch irritiert, und was ich – selbst hellhörig geworden – fast schon täglich aus den Medien erfahre, ist die Art und Weise, wie man offenbar bestimmte Wörter auf eine Bedeutung, und damit auf eine Reizschwelle, festnagelt. Kontextabhängigkeit, Ambivalenz, Ironie – geschenkt.
Man kann mir jetzt erwidern, ich zöge mich mit semantischen Fisimatenten aus der Affäre, der «rauchende Colt» sei doch der Gebrauch eines Wortes mit evidentem rassistischem Bedeutungsstammbaum. Und wer, bitte, definiert diese «Evidenz»? Ich gebe gern zu, dass man sich unter gegebenen Umständen durchaus zweimal überlegen sollte, ein bestimmtes Wort zu gebrauchen. Trotzdem zeichnet sich hier eine bedenkliche Tendenz ab. Das heisst, in «geweckten» Kreisen pfeift man auf die Unterscheidung von Gebrauch und Erwähnung, und reagiert reflexartig nur schon beim Hören eines für anrüchig befundenen Wortes. Man trägt das Beleidigtsein wie eine entsicherte Pistole durch die Welt und wartet darauf, bei jedem passenden Anlass abzudrücken: Schock! Skandal! Shit! Dieses Dispositiv fördert bloss Reflexe, keine Reflexion, erst recht keine Selbstreflexion.
«Wokeness» als Flachheit
Sprache ist ein Werkzeug des Geistes. Um sie lebendig zu erhalten, braucht es viele Sprachgebräuche, die einander durchdringen, Grenzen aufheben, und ja: Grenzen verletzen. Und das verlangt nach einer ganz anderen Sensibilität als jener der «Wokeness», nämlich Sensibilität für Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. «Wokeness» ist Wachheit als Flachheit.
Flachheit begreife ich buchstäblich. Das Bügeleisen der politischen Korrektheit glättet den Sprachgebrauch. Übrig bleiben die politische Plattitüde, das unanstössige Wort, Sprachpurismus, Ironiedefizienz. Ich hätte «moretto» auch duckmäuserisch mit «kleiner Schwarzer» übersetzen können, und mir damit keinen Stunk eingehandelt. An der Oberfläche, wohlgemerkt. Darunter aber besteht das Problem weiter: Könnte der Espresso, den ich mir genehmige, aus Plantagen mit ausgebeuteten kleinen Schwarzen – oder wie man sie auch nennen mag – stammen? Sprachregelungen geben keine Antwort, wiegen uns bloss in faulem Frieden.
Mehr noch: Sprachregelungen üben immer auch strukturelle Gewalt aus, indem sie neue Fronten aufreissen zwischen den «Geweckten» und dem in vorauseilender Empörung «identifizierten» Gesocks von Rassisten, Sexisten, Antisemiten, Homophoben, Klimaleugnern. Deshalb plädiere ich für das politisch inkorrekte Wort, weil es sich – in aufklärerischer Mission – zwischen die Fronten wagt.
Ganz im Sinn eines Vorgängers von Wittgenstein, Georg Christoph Lichtenberg: «Man muss zuweilen wieder die Wörter untersuchen, denn die Welt kann wegrücken und die Wörter bleiben stehen. Also immer Sachen und keine Wörter!»