Zum heutigen Wissenschaftsbetrieb gehört schon fast unerlässlich das Posieren, und zwar in einer grassierenden Attitüde: Man hat eine gute Idee, eine kühne Hypothese, eine aufregende Korrelation, und man macht sie möglichst schnell publik, nicht in der Wissenschaftsgemeinde, nein, sondern gleich breiter in den Medien. Man hält Online-Talks, tritt auf YouTube auf, schreibt Bestseller mit Titeln wie „Dein Körper spricht für dich“.
Machtposen
Diesen Titel trägt ein Buch der amerikanischen Sozialpsychologin Amy Cuddy, das 2015 erschien (deutsch 2016) und in den USA für einige virale Erregung sorgte. (1) Aufsehenerregend ist Cuddys Idee kaum, eher trivial: Mit Körpersprache lässt sich sehr effektiv kommunizieren; und vor allem mit Machtposen – „power poses“ - verschafft man sich Ellbogenraum, in Beruf, Sport, Politik, Beziehung. Aufsehenerregend ist eher, wie die Trivialität es schaffte, zu einer der am meisten gehypten wissenschaftlichen Studien der letzten Zeit zu werden. Meine These: Wir haben es hier mit einem exemplarischen Fall von wissenschaftlichem Quickie zu tun.
Verwursten von Forschung, Show und Marketing
Traditionell verbreitet man in der Wissenschaft Ideen durch Fachartikel. Wir kennen im Wesentlichen zwei Arten, den Einfluss – den Impact – eines wissenschaftlichen Papers zu messen. Die eine, interne, zäht die Zitationen bei anderen Wissenschaftern; das führt zum Zitations- und Referenzenindex. Die zweite, externe, orientiert sich am breiteren sozialen Widerhall. Grosse Ideen haben schon immer eine ausserwissenschaftliche Resonanz gefunden, man denke nur an Darwin, Freud, Monod, Einstein oder Feynman. Nur sollte man sich nicht zum Kehrschluss verleiten lassen, Resonanz bedeute Grösse. Dieser Fehlschluss scheint allerdings heute nicht wenigen Wissenschaftern zu unterlaufen, ein Indiz für das zeitgemässe Verwursten von Forschung, Show und Marketing.
„Fake It Until You Make It“
Cuddys Idee der Machtposen weist eine geradezu paradigmatische Karriere auf. Ursprünglich für eine Publikation in der Fachzeitschrift „Psychological Science“ 2010 geplant, wurde die Arbeit schon vorher im Alumni Bulletin der Harvard Business School vorgestellt, unter dem alles sagenden Titel „Fake It Until You Make It.“ (2) Der bekannte Journalist und Autor David Brooks wurde aufmerksam, besuchte Cuddy in ihrem Harvard Decision Science Laboratory, war von ihr sehr angetan und schrieb einen Gastkommentar in der New York Times. (3) Er resümierte in einem aufmunternden Aphorismus: „Wenn du kraftvoll handelst, denkst du auch kraftvoll.“
Solchen Selbsthilfe-Schmäh hört ein auf Ratgeberliteratur konditioniertes Publikum natürlich gern. Der Aufstieg der „Machtpose“ war danach unaufhaltsam. Cuddy wurde an Konferenzen eingeladen, in Gesellschaft von Prominenz aus Wissenschaft und Popkultur. In einer TV-Show 2011 trat die Professorin unter dem bombastischen Gedröhne des Titelsongs auf, der sie präsentierte: „All the world is waiting for you! And the power you possess!“ Im Jahre 2012 erreichten Cuddy und ihre Idee die Klimax in einem TED-Talk („Technology, Entertainment, Design“), einer der beliebtesten Online-Vortragsplattformen. Ihr Bekanntheitsgrad schoss raketenhaft in die Höhe. Um die 30 Millionen Menschen sollen den Talk angehört haben. 2015 erschien ihr Buch „Presence“ – ein Bestseller selbstredend. Cuddy wurde zum gefragten TV-Gast und zur herumgereichten Fachperson in sozialen Medien.
Ein wissenschaftliches Erfolgsrezept
Das Buch selbst ist als wissenschaftssoziologisches Phänomen bemerkenswert. Aus ihm lassen sich drei zeitgeistige Rezeptpunkte zum Erfolg auflisten. Erstens, finde eine Idee mit grossem öffentlichem Resonanzraum – „clickbait science“, „Blickfang-Wissenschaft“ wurde das auch schon genannt. Zweitens, mache eine wirkungsvolle Promotion für deine Idee, optimal durch einen bekannten Ausrufer in den Medien. Drittens, untermauere die Idee, vor allem wenn du in der Psychologie oder Soziologie arbeitest, mit Evidenz aus einer Hardcore-Wissenschaft, vorzugsweise aus der Neurophysiologie.
Zum ersten Punkt: Die Idee der Machtpositur ist natürlich wie geschaffen für die Arenen der Alphatiere, Draufgänger, Hazardeure; allerdings auch für die Hinterhöfe dieser Arenen, wo sich immer mehr Verlierer, Abgehängte, Frustrierte sammeln, denen sehnlichst nach einer Frohbotschaft dürstet. „Fake it until you make it“ ist das Evangelium unserer Zeit. Zum zweiten Punkt: Die Karriere von „Machtposen“ zeigt, welche Hubkraft in Online-Plattformen steckt; wie ein Talk am richtigen Ort und zur richtigen Zeit eine Forscherin aus stillen akademischen Gefilden ins Getöse öffentlicher Aufmerksamkeit katapultieren kann. Drittens gilt das Schibboleth „It’s the brain, stupid!“ – Frau Cuddy fand heraus, dass Gut-drauf-sein auch den Hormonhaushalt günstig beeinflusst. Nur für zwei Minuten den Helden markieren, und schon hebt man den Testosteronspiegel und senkt den Cortisolspiegel. Testosteron bringt man in (komplizierten) Zusammenhang mit Durchsetzungsvermögen und Risikobereitschaft; Cortisol mit Stressabbau. Aufs Ganze gesehen präsentiert sich folgender hypothetischer Kausalnexus: Die Machtpose beeinflusst den Hormonhaushalt, was wiederum dazu führt, dass man selbstsicherer und befehlsgewohnter auftritt. Das ist das Herzstück von Frau Cuddys Idee.
Zu gut, um wahr zu sein
Die Idee ist zu gut, um wahr zu sein. Ironischerweise publizierte im Erscheinungsjahr von Cuddys „Presence“ ein Team um die Verhaltensökonomin Eva Ranehill von der Universität Zürich eine Replikationsstudie, die den Zusammenhang von Machtpose und Hormonhaushalt nicht bestätigte. Ein falsch positives Resultat, wie die Statistiker sagen. Im Besonderen wurde die Studie mit 200 Probanden durchgeführt, dem Vierfachen der Probandenzahl von Cuddy. Eine Mitautorin von Cuddys Studie, Dana Carney, postete zudem auf ihrer Website einen (selbst-)kritischen Kommentar: „Ich glaube nicht, dass Machtposen einen realen Effekt haben“ (sie meinte damit die Wirkung auf Hormone). (5) Sie fährt in ihrem Eingeständnis fort, dass das Team die Studie zwar im guten Glauben begonnen hätte, aber die Daten „dünn“ und das Versuchsdesign und die statistische Analyse wenig solid gewesen seien.
Wie man Widerlegungen zurechtbiegt
Wenn empirische Evidenz einer Idee widerspricht, dann wirft man die Idee über Bord, lehrte Karl Popper. Weit gefehlt. Wenn empirische Evidenz einer Idee, die schon TED-Talk-Luft geschnuppert hat, widerspricht, biegt man die Widerlegung zurecht, bis sie wie eine Bestätigung ausschaut. Frau Cuddy wählte diese Taktik. In Erwiderung auf die Resultate der Zürchergruppe bekräftigte sie, im Grunde handle es sich um Bestätigungen ihrer Idee, denn die Ergebnisse würden ja zeigen, dass die Probanden häufig von einem verstärkten Machtgefühl berichteten, nachdem sie die Machtpositur eingenommen hatten. Das stimmt, nur muss man genau hinhören: Der Einfluss von Machtposen auf Emotionen, welche Probanden berichten, ist das eine, und ziemlich trivial; zudem sind Probandenberichte über eigene Gefühle nicht gerade die härteste empirische Evidenz.
Der Einfluss von Machtposen auf Hormone ist das andere, der Hardcore-Teil: nämlich genau der behauptete neurophysiologische Schlüsseleffekt, den Frau Cuddy immer wieder hervorgehoben hatte. Was tut sie, nachdem er nicht bestätigt wurde? Sie erklärt ihn einfach als „sekundär“. „Ich bin zuversichtlich, was den Schlüsseleffekt der Machtpose auf Machtgefühle betrifft (..) und ich weiss nichts über die Effekte, die eine Machtpose auf Hormone ausübt.“ Wie war das noch mal? Verkündete Frau Cuddy nicht anfänglich, das entscheidend Neue ihrer Studie seien gerade diese zweiten Effekte? „Das Urteil steht noch aus,“ schreibt sie jetzt, „wir haben widerstreitende Evidenz, die fasziniert und in beide Richtungen weisen kann.“ (6) Was nicht gerade nach einem umwerfenden Resultat klingt. Vor allem stellt man fest, dass Frau Cuddy die Schlüsseleffekte unter der Hand einfach rochiert hat.
Von „scientific“ zu „sciency“
Es wäre unfair, Frau Cuddy einfach unlautere oder marktschreierische Absichten zu unterstellen. Aber es erscheint doch etwas blauäugig, eine Idee von einer öffentlichen Grundwelle der Zustimmung derart hochtragen zu lassen, ehe man sie wiederholten robusten Tests unterzogen hat. Umso mehr als Psychologie und Sozialwissenschaften sich zurzeit in einer Phase der methodologischen Selbstkritik befinden. Eine beträchtliche Zahl von Studien auf diesem Gebiet, so hört man, sei nicht replizierbar – man spricht sogar von einer „Replikationskrise“. (7)
Eine Beschäftigung mit ihr kann der Wissenschaft nur zum Vorteil gereichen. Aber dann sollte man zugleich im Auge behalten, dass Studien wie jene von Frau Cuddy in der Öffentlichkeit Erwartungen wecken, die, falls nicht erfüllt, in Unglauben, Ablehung oder Spott umschlagen können. Die Replikationskrise ist ohnehin Ausdruck eines Glaubwürdigkeitsproblems, nicht nur der Psychologie und Soziologie, und Studien, die übers Ziel hinausschiessen, verstärken es. Symptom dafür ist, dass man im Amerikanischen statt von „truth“ und „scientific“ nun von „truthy“ und „sciency“ zu sprechen beginnt, also etwa: mit dem Anstrich von Wahrheit und Wissenschaftlichkeit. „Sciency“: das klingt ja auch mehr nach „sexy“. – Eine neue Ära der Forschung?
(1) Amy Cuddy: Presence. Bringing your Boldest Self to your Biggest Challenges, New York, 2015; deutsch: Dein Körper spricht für dich. Von innen wirken, überzeugen, ausstrahlen, München, 2016.
(2) http://hbswk.hbs.edu/item/power-posing-fake-it-until-you-make-it
(3) David Brooks: Matter over Mind, 20.4.2011. http://brooks.blogs.nytimes.com/2011/04/20/matter-over-mind/?_r=0
(4) Eva Ranehill et. al.: Assessing the Robustness of Power Posing: No Effect on Hormones and Risk Tolerance in a Large Sample of Men and Women, Psychological Science, 25. 3.2015, S. 1-4.
(5)http://faculty.haas.berkeley.edu/dana_carney/pdf_my%20position%20on%20power%20poses.pdf
(6) http://nymag.com/scienceofus/2016/09/read-amy-cuddys-response-to-power-posing-critiques.html
(7) Einen rezenten Einblick in die Debatte liefert Jesse Singal im Science-of-Us-Blog der New York Times: Inside Psychology’s ‘Methodological Terrorism’ Debate, 12.10.2016. http://nymag.com/scienceofus/2016/10/inside-psychologys-methodological-terrorism-debate.html