Ganze Heerscharen von Analysten verdienen weltweit Multimillionen damit, dass sie in die Zukunft schauen. Steigt der Wert einer Aktie oder fällt er? Wie wird sich der Markt für Soja oder IT-Produkte entwickeln? Wo versprechen Emerging Markets zukünftige Extraprofite? Und wie entwickeln sich ganze Volkswirtschaften, USA, China, EU?
Nachweislich falsch
Es wäre unsinnig, sich über den Versuch als solchen, das morgige Wetter oder die konjunkturelle Zukunft Griechenlands zu prognostizieren, einfach lustig zu machen. Der Versuch macht Sinn, bildet die Basis dafür, ob man am Morgen den Regenschirm einpackt oder wirtschaftlich Hoffnung für die Hellenen schöpft.
Nun weist aber der Wirtschaftskolumnist Wolfgang Münchau im «Spiegel» ein fast überflüssiges weiteres Mal darauf hin, dass beispielsweise Konjunkturprognosen für Euro-Länder selbst bei der Beantwortung der binären Frage – rauf oder runter – nicht mal die statistisch zu erwartende Trefferquote von 50:50 erreichen, sondern in den letzten Jahren immer und ohne Ausnahme falsch waren.
Münchau nimmt als ein Beispiel die Vorhersagen der Konjunkturentwicklung Griechenlands durch den IWF, immerhin eine der weltweit obersten Instanzen für Know how. Nur drei Prognosen (in Klammern jeweils die reale Entwicklung): für 2011 plus 0,45 Prozent (minus 7,1 Prozent), für 2012 plus 1,1 Prozent (minus 6,9 Prozent), für 2013 plus 1,5 Prozent (minus 3,9 Prozent).
Fatal falsch
Bekannt ist das real ausgetestete Beispiel, dass ein paar Affen mit Pfeilen auf eine Farbscheibe werfen. Je nach getroffener Farbe wurde ein Geldbetrag in verschiedene Anlagen investiert. Und die Affen schnitten erfolgreicher ab als ein Team von hochqualifizierten Anlagespezialisten, die mit Hochleistungscomputern und ellenlangen Algorithmen hantierten. Wirtschaftliche Zukunftsprognosen damit als Pipifax und ihre Herstellung als reine Geldverschwendung abzutun, wäre aber dennoch falsch.
Der Fehler liegt jedoch viel tiefer und ist deswegen fatal. Dass die Zukunft das Wörtchen unvorhersehbar enthält, ist trivial. Die Extrapolierung von Daten aus der Vergangenheit in die Zukunft ist sowohl bei der Wetterprognose wie bei Wirtschaftsvorhersagen im Prinzip nicht falsch. Aber man muss inzwischen konstatieren, dass wir über Meteorologie mehr wissen als über Ökonomie. Obwohl Wirtschaft für jeden Teilnehmer an einer Gesellschaft viel wichtiger ist. Sein persönliches kleines Glück wie auch der Zustand seiner Nation hängen schliesslich davon ab. Wer auf die Vorhersage Sonnenschein vertraut, wird im schlimmsten Fall nass. Wer auf einen Konjunkturaufschwung vertraut, der nicht eintritt, hat ein viel gröberes Problem.
Nix verstan
Wieso wird Neugeld wie Heu hergestellt, aber es gibt keine galoppierende Inflation? Wieso hat Japan eine viel höhere Staatsverschuldung als Griechenland, ist aber viel weiter von einem Bankrott entfernt? Ist ein Exportüberschuss wirklich besser als mehr Importe? Sitzt der Schuldner am längeren Hebel oder der Gläubiger? Oder ganz banal: Wovon hängt der Wohlstand der Nationen nun ab? Eine Frage, die schon 1776 von Adam Smith gestellt wurde – und mit der das begann, was man als modernes Verständnis der Wirtschaft bezeichnen kann.
Rund 250 Jahre später müssen wir zugeben: keine gültige Antwort gefunden. Dass man sich an einer fundamentalen Frage jahrhundertelang abarbeitet, ohne zu einem Resultat zu kommen, ist kein seltenes Phänomen. Aber in der sogenannten Wirtschaftswissenschaft findet etwas viel Schlimmeres statt. Während die Gewissheit, die Wirtschaft zunehmend im Griff zu haben, in den letzten Jahrzehnten grundlos zugenommen hat, nimmt diese Fähigkeit in Wirklichkeit beweisbar ab.
Indem die Erstellung von Modellen, Thesen, Theorien, also letztlich die Verwendung von Gehirnschmalz abnahm und reine Empirie, Big Data, das Durchpflügen von unendlichen Datenmeeren mit Algorithmen zunahm, wurde die wissenschaftliche Methode auf den Kopf gestellt. Wer konstatiert, dass ein Stein meistens nach unten fliegt, wenn man ihn loslässt und dieses Experiment häufig wiederholt, hat eine empirische Feststellung gemacht. Aber noch nicht mehr.
Neustart
Wer vermutet, dass es da eine Kraft geben muss, die auf den Stein einwirkt und vielleicht etwas mit Masse zu tun hat, stellt eine Theorie, ein Modell auf. Anschliessend muss es verifiziert und bewiesen werden. Niemand käme auf die Idee, dass allein mit einer schier unendlichen Wiederholung des Experiments eine Theorie fraglos bewiesen wäre und somit auch unfehlbare Aussagen über eine zukünftige Wiederholung – der Stein wird immer nach unten fallen – möglich seien.
In der Wirtschaftswissenschaft, und deswegen ist sie keine, heute weniger denn je, fehlt kurz gesagt Karl Popper. Wie funktioniert Erkenntnis, wenn sie überhaupt funktioniert? Und es ist noch schlimmer: Wie am Beispiel Griechenland gezeigt, schaffen die Prognosen nicht mal die normale Trefferquote in der Verteilung auf richtig oder falsch. Sondern sie sind immer zu optimistisch falsch. Das ist bedenklich.
Mehr als das, es ist bedenkenswert. Offensichtlich versteht man das dynamische System Wirtschaft immer noch nicht richtig. Müsste man nicht vielleicht moderne Methoden wie Chaostheorie, Fraktale, andere Erkenntnismethoden anwenden? Wo doch offensichtlich Big Data und Algorithmen nicht funktionieren. Dazu bräuchte es aber mehr Intelligenz, als den Analystenheeren eigen ist. Also hat Wirtschaftskolumnist Münchau mit seiner nur vermeintlich radikalen Forderung völlig Recht: «Feuert die Volkswirte!»