Auf Marini, von 2006 bis 2008 Präsident des italienischen Senats, haben sich offenbar am späten Mittwochabend sowohl die Linke als auch die Rechte von Berlusconi geeinigt. Auch der Bürgerblock des bisherigen Ministerpräsidenten Mario Monti unterstützt ihn.
Marini war früher Mitglied der untergegangenen Democrazia Cristiana (DC). Er gehört jetzt dem katholischen Flügel des Partito Democratico an. Er war Generalsekretär des christlichen Gewerkschaftsbundes Cisl.
Innerhalb der Linken ist wenige Stunden vor den Wahlen der Machtkampf eskaliert. Der Bürgermeister von Florenz, Matteo Renzi, hat sich offen gegen Parteichef Pierluigi Bersani aufgelehnt und erklärt, er werde die von Bersani vorgeschlagene Kandidatur Marini nicht unterstützen.
Rasche Wahl?
Die Wahl des Nachfolgers oder der Nachfolgerin des 87-jährigen Saatspräsidenten Giorgio Napolitano beginnt am Donnerstag. Da sich am Mittwochabend die Linke und Rechte auf den Namen Marini geeinigt haben, könnte die Wahl rascher als erwartet vor sich gehen.
Um gewählt zu werden, braucht ein Kandidat in den ersten drei Wahlgängen eine Zwei-Drittels-Mehrheit. Nach dem vierten Wahlgang gilt nur noch das absolute Mehr.
Gewählt wird der Staatspräsident von 1007 Delegierten: alle 630 Mitglieder der italienischen Abgeordnetenkammer und alle 315 Senatoren (inklusive der vier Senatoren auf Lebenszeiten) treffen sich zu einer gemeinsamen Sitzung im Palazzo Montecitorio. Wahlberechtigt sind auch 58 regionale Delegierte.
"Ich bleibe Journalistin"
Beppe Grillo, der frühere Komiker und Anführer der rabiaten Protestbewegung "5 stelle" hatte zwei Tage vor Wahlbeginn für Aufregung gesorgt. Er hatte die 58-jährige Fernsehjournalistin Milena Gabanelli als Kandidatin vorgeschlagen.
Milena Gabanelli arbeitet für den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender RAI und hat eine lange TV-Karriere hinter sich. Grillos Schachzug war clever. Mit Milena Gabanelli wollte er die Linke ködern. Er erklärte offen: Wenn ihr Gabanelli wählt, arbeiten wir mit euch in der Regierung zusammen. Der linke Parteichef Pierluigi Bersani hätte dann endlich einen Regierungspartner und könnte Ministerpräsident werden. Wochenlang hatte er vergebens versucht, die „5 Sterne“-Protestbewegung ins Boot zu holen – bisher vergebens.
"Ich bleibe Journalistin"
Dass Beppe Grillo ausgerechnet eine Journalistin vorschlug, hatte ihn zum Gespött gemacht. Grillo war es, der seit Monaten alle Journalisten unisono als „korrumpierte Faschisten“ und „gefährliche Nichtsnutze“ bezeichnet.
Doch am Mittwochabend kam die kalte Dusche für Grillo: sie will nicht. "Ich will Journalistin bleiben", erklärte Gabanelli.
Chancen hätte sie ohnehin wenig gehabt. Sie gilt zwar als kompetente, seriöse und intelligente Fernsehjournalistin. Doch sie hatte nie ein politisches Amt inne. Wie hätte sie sich da im politischen Machtdschungel Italiens durchsetzen können?
Beppe Grillo hatte zehn Kandidatinnen und Kandidaten zur Wahl vorgeschlagen. Seine Anhänger konnten per Mausklick ihre Favoriten bestimmen. Zwar musste die Wahl wiederholt werden, weil ein Hacker das Resultat verfälschte. Milena Gabanelli erzielte in der Wiederholung offenbar das beste Ergebnis.
Da Gabanelli nicht will, schlägt Grillo jetzt den bald 80-jährigen linken Juristen und Hochschulprofessor Stefano Rodotà vor. Er könnte einige Stimmen auf sich vereinen.
. Insgesamt fünf weibliche Anwärterinnen
Noch ist Marini nicht gewählt, noch sind Überraschungen möglich. Fünf weibliche Namen waren als mögliche Nachfolgerinnen von Giorgio Napolitano ins Spiel gebracht worden.
Häufig genannt wurde Emma Bonino. Die 65-jährige war Handels- und Europaministerin in der Regierung von Romano Prodi. Emma Bonino ist zwar eine resolute Linke, doch sie spricht sich für eine Deregulierung des Arbeitsmarktes und eine Schwächung der Gewerkschaften aus – was nicht allen Linken gefällt.
Eine weitere weibliche Anwärterin war die 58-jährige Anna Finocchiaro. Sie war bis vor einem Monat Fraktionschefin der Linken im Senat und früher Gleichberechtigungsministerin in der Regierung Prodi. Finocchiaro hat sich jetzt mit dem rechten Flügel ihres Partei angelegt.
Zwei weitere Frauen sind immer noch im Rennen:
Paola Severino, die 65-jährige italienische Juristin und Hochschulprofessorin und jetzige Justizministerin im Kabinett von Mario Monti. Sie ist in der Berlusconi-Partei nicht unbeliebt.
Anna Maria Cancellieri. Die bald 70-jährige Politologin ist Innenministerin in der Regierung von Mario Monti. Sie gilt als „die Löserin aller Probleme“.
Die Zeit für eine Frau im höchsten Amt des Staates wäre durchaus reif. Sogar Angelo Bagnasco, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, könne sich eine Frau Staatspräsidentin vorstellen. „Perché no?“ sagte er. Doch offenbar wird es jetzt doch ein Mann sein.
Die Schlachtrösser
Dass sich Pierluigi Bersani, der Chef der Linken, und Silvio Berlusconi auf Marini geeingt haben, ist immerhin eine kleine Überraschung. Der Kompromiss fiel offenbar am Mittwochabend kurz vor Beginn des Wahlprozederes. Marini galt zwar als einer der Kronfavoriten, allerdings nicht als einer in der Pole Position.
Kurz zuvor waren andern altgedienten Schlachtrössern mehr Chancen eingeräumt worden.
Giuliano Amato, 74 Jahre alt, zweimaliger Ministerpräsident von 1992 bis 1993 und 2000 bis 2001. Er, einst Mitglied der Sozialistischen Partei (die es nicht mehr gibt), war auch Wirtschafts- und Innenminister. Amato wird wegen seiner Statur „Dottore Sottile“ genannt – Dr. Dünn(haut). Amato ist zwar ein Linker, doch sein Verhältnis zu Berlusconi ist entkrampft. Die mit Berlusconi verbündete Lega Nord allerdings ist gegen ihn.
Massimo D‘Alema, wird am Samstag 64 Jahre alt, Ex-Ministerpräsident und Ex-Aussenminister. Obwohl er einst der Kommunistischen Partei angehörte, wird er von Berlusconi geschätzt. D'Alema galt als einer der Kronfavoriten.
Piero Grasso, 68 Jahre alt, PD-Mitglied. Bis im letzten Dezember war Grasso nationaler Anti-Mafia-Staatsanwalt. Jetzt amtet er als Präsident des italienischen Senats.
Sabino Cassese, 78 Jahre alt, Hochschulprefessor, Verfassungsrichter. Cassese steht dem PD nahe und war Minister unter Ministerpräsident Carlo Azeglio Ciampi. Er war im letzten Moment als möglicher Kompromisskandidat gehandelt worden.
Sergio Mattarella, 72 Jahre alt, Jurist, Verfassungsrichter, war politisch auf dem linken Flügel der untergegangenen Democrazia Cristiana zu Hause. Der Sizilianer war stellvertretender Ministerpräsident unter Massimo d’Alema und Verteidigungsminister
Auch Romano Prodi wurde immer wieder genannt. Da er der Erzfeind der Berlusconi-Partei ist, hat er wohl keine Chancen. Er ist 73 Jahre alt, Wirtschaftswissenschaftler, war von 1999 bis 2004 Präsident der Europäischen Kommission und zweimaliger Ministerpräsident. Berlusconi erklärte, wenn Prodi gewählt wird, „müssen wir alle auswandern“.
Baldige Neuwahlen?
Seit Italien eine parlamentarische Republik ist gab es elf Staatspräsidenten. Nur drei von ihnen wurden im ersten Wahlgang gewählt: Enrico De Nicola, Francesco Cossiga und Carlo Azeglio Ciampi. Der Sozialdemokrat Giuseppe Saragat brauchte 21 Wahlgänge und Giovanni Leone gar 23.
Eine der ersten Aufgaben des neuen Staatsoberhauptes könnte es sein, Neuwahlen anzusetzen. Die Wahlen im Februar hatten zu einem Patt geführt. Wenn sich die grossen Parteien nicht bald zu einer tragfähigen Regierung zusammenraufen, wären Neuwahlen wohl unumgänglich.
Berlusconis Position ist seit Tagen klar: Wenn ein „Linker“ Staatspräsident wird, müsse es im Sommer oder Herbst Neuwahlen geben. Er selbst will dann als Ministerpräsident kandidieren. Vor den Wahlen im Februar hatte er noch gesagt, er wolle „nur“ Wirtschaftsminister werden. Doch die Wahlumfragen, die ihm günstig gesinnt sind, haben ihn umgestimmt.
Das Mitte-Rechts-Bündnis liegt inzwischen hauchdünn vor der Linken. Dies geht aus der jüngsten Umfrage des Instituts ISPO für den Corriere della sera hervor. Das Berlusconi-Lager käme jetzt auf 31,7 Prozent der Stimmen. Dies bedeutet im Vergleich zu den Wahlen im Februar ein Plus von 2,5 Prozent. Die Links-Allianz käme auf 31,4 Prozent (+1,8 Prozent). Beppe Grillos „5 Sterne“-Bewegung hat 1,9 Prozent verloren.
Gespaltene Linke
Die Linke hat sich im Gerangel der letzten Tage nicht von ihrer besten Seite gezeigt. Wieder einmal tut sie das, was sie in kritischen Situationen am besten kann: sie streitet sich.
Matteo Renzi, der 38-jährige Bürgermeister von Florenz, hat Parteichef Bersani frontal angegriffen. Er wirft ihm vor, die Niederlage bei den Wahlen im Februar nicht einzugestehen. Renzi setzt sich – im Gegensatz zu Bersani – für rasche Neuwahlen ein. Renzis "Putsch" wird von manchen jüngeren Parteimitgliedern gutgeheissen. Nicht aber von den älteren. Anna Finocchiaro nannte Renzi einen „miserabile“, der nicht das Zeug zum Staatsmann habe.
Renzi hat sich am Vorabend der Wahl schon wieder aufgelehnt und erklärt, er werde nicht für Marini stimmen. "Stellen sie sich Marini mit Obama vor", erklärte er. Offenbar will Renzi den Beppe Grillo-Kandidaten Stefano Rodotà wählen.
Renzi sieht seine Zeit gekommen. Bei den Primärwahlen im vergangenen Herbst hatte er noch klar gegen Bersani verloren. Jetzt allerdings ist er der beliebteste Politiker Italiens. Laut einer Umfrage des Instituts Swg haben 56 Prozent der Italiener Vertrauen in ihn. Bersani, Berlusconi und Grillo kommen auf je 27 Prozent – nicht einmal halb so viel wie Renzi.
Gäbe es Neuwahlen, müsste sich die Linke überlegen, ob sie Bersani nicht durch Renzi als Spitzenkandidaten austauschen soll. Dann würden die Karten neu gemischt. Dann hätte auch Berlusconi noch längst nicht gewonnen. Und Bersani würde als tragische Figur enden.