Journal21: Gegner der Minder-Initiative gegen die Abzockerei behaupten häufig, die Initiative sei von Neid auf hohe Manager-Gehälter getrieben. Was sagen Sie dazu?
Claudio Kuster: Das ist ein falsches und billiges Argument. Uns geht es mit dieser Initiative im Kern um die Glaubwürdigkeit der Marktwirtschaft, um die Verhinderung von nicht zu rechtfertigenden Lohnexzessen und von Selbstbedienungspraktiken in den Management-Etagen. Wir wollen die Marktwirtschaft reparieren, indem wir die Rechte der Aktionäre – die eigentlichen Besitzer einer börsenkotierten Firma – stärken.
Kein Spielraum für Fortzahlungen an Vasella
Gegen die Initiative wird behauptet, eine fortlaufende Vergütung für eine Konkurrenzklausel, wie sie der abgetretene Novartis-Vorsitzende Daniel Vasella für sich ausgehandelt hat, wäre auch nach Annahme der Minder-Initiative möglich. Stimmt das?
Nein, unserer Meinung nach ist das falsch. Denn im Initiativtext werden ja nicht nur Abgangsentschädigungen untersagt, sondern es heisst wörtlich „Abgangs- und andere Entschädigungen“. Das heisst alle Arten von besonderen Vergütungen – wie sogenannte „goldene Fallschirme“ – beim Verlassen einer Firma, inklusive Abgeltungen im Rahmen eines vertraglichen Konkurrenzverbotes, sind nicht mehr möglich.
Kritiker der Minder-Initiative führen ins Feld, die Entschädigungsfragen für die Unternehmungsführung sollten im Vergütungsreglement festgelegt werden, wie das im Gegenvorschlag vorgesehen ist. Aber sind solche Vergütungsreglement nicht viel undurchsichtiger für die Aktionäre, als konkret bezifferte Summen für Geschäftsleitung und VR, über die abgestimmt werden muss?
Selbstverständlich ist das so. Das ist auch eines unserer Hauptargumente. Sehen Sie, in Grossbritannien haben wir schon seit 2003 die Konsultativabstimmung über genau dieses Vergütungsreglement. Jetzt will das auch die britische Regierung ändern, denn es hat sich gezeigt, dass solche Vergütungsreglemente wenig transparent und auch absichtlich kompliziert formuliert sind, sodass der Aktionär am Ende keine klare Übersicht hat, was die Manager nun tatsächlich bekommen. Das Vergütungsreglement der UBS hat beispielsweise einen Umfang von über 50 Seiten. Herr Biedermann von der Stiftung Ethos versteht das auch nur, weil er zehn Analysten, Finanzbuchhalter und Corporate Governance-Spezialisten um sich hat und sich das ganze Jahr hindurch mit solchen Fragen beschäftigen kann. Deshalb ist es sinnvoll, dass den Aktionären ganz konkrete Zahlen zur Abstimmung vorgelegt werden, genau so wie man es auch bei den Entscheidungen über die Dividendenzahlungen macht.
Weshalb unterstützt die Gewerkschaftsführung – im Gegensatz zur Sozialdemokratischen Partei – die Minder-Initiative nicht?
Ich denke, die Gewerkschaftsführung ist immer noch verärgert, weil die von ihr geforderte Bonussteuer (Löhne über 3 Millionen Franken sollten von den Firmen nicht mehr als Personalaufwand, sondern als Gewinn versteuert werden) im Parlament gescheitert ist. Zu diesem Frust hat weiter beigetragen, dass auch wir vom Initiativkomitee die Idee dieser Bonussteuer nicht mitgetragen haben.
Angstmacherei um jährlicher Wiederwahl
Auch der frühere SP-Nationalrat und Preisüberwacher Rudolf Strahm ist gegen die Abzocker-Initiative. Er behauptet, die vorgeschriebene jährliche Wiederwahl der Verwaltungsräte fördere die Invasion von sogenannten Heuschrecken oder Raidern, die börsenkotierte Firmen überfallartig usurpieren könnten. Ist das stichhaltig?
Dieses Argument ist für mich nur auf den ersten Blick verständlich – auf den zweiten aber überhaupt nicht mehr. Deshalb bin ich auch von Herrn Strahm enttäuscht, weil er als Ökonom eigentlich gründlicher Bescheid wissen sollte. Ein kleines Beispiel: 2009 gab es in der Firma Sulzer eine ausserordentliche Generalversammlung, weil der Investor Viktor Vekselberg über seine Anlageinstrumente eine namhafte Beteiligung hatte aufbauen können. An dieser ausserordentlichen GV liess er bisherige Verwaltungsräte abwählen und eigene Vertreter einsetzen. Man kann mit genügender Unterstützung in jeder Aktionärsfirma innerhalb von drei Wochen eine ausserordentliche GV einberufen. Das heisst, es gibt keine Mandatsgarantie für Verwaltungsräte. Das ist es, was Herr Strahm leider unterschlägt. Natürlich gibt es das Problem von möglichen Raidern, aber das ist im Aktionärsrecht sozusagen inhärent.
Es gibt ja verschiedene Firmen in der Schweiz, die bereits das einjährige Mandat für Verwaltungsräte in den Statuten festgelegt haben.
Richtig, und zwar sind das sehr unterschiedliche Unternehmungen, von der kleinen Thurella AG bis zu Blochers Ems Chemie, UBS, ABB, dem Luxusgüter-Konzern Richemond oder Adecco.
“Blocher hat sein Wort gebrochen“
Warum hat Christoph Blocher die ursprünglich vereinbarte Zusammenarbeit mit der Minder-Initiative wieder aufgekündigt?
Ich vermute, dass Blocher materiell gar nie hinter unserer Abzocker-Initiative gestanden hat. Sein alleiniges Ziel dürfte es von Anfang an gewesen sein, uns dazu zu bewegen, die Initiative zurückzuziehen. Dabei hatte er uns zugesichert, dass er unsere Initiative unterstützen würde, wenn eine Einigungslösung auf der Stufe Aktienrecht eben nicht durchs Parlament kommen sollte
Kann man da also von einem Wortbruch Blochers gegenüber dem Minder-Komitee sprechen?
Ja, hundertprozentig. Und bei den Arbeitssitzungen für diese Einigungslösung waren übrigens auch der SVP-Präsident Toni Brunner, der damalige Fraktionschef Caspar Baader und der Generalsekretär Martin Baltisser dabei. Also es war die ganze Parteispitze der SVP, die diesen Wortbruch begangen hat.
Sie haben es schon erwähnt: Auch der Direktor der Stiftung Ethos, Dominique Biedermann, kämpft gegen die Minder-Initiative. Was sind seine Motive, abgesehen von dem Argument, dass die Aktionäre nicht über konkrete Entschädigungssummen für die Unternehmensführung entscheiden sollen, sondern nur über komplexe Vergütungsreglemente?
Bei den konsultativen Aktionärsabstimmungen über solche Vergütungsreglemente war Herr Biedermann bisher stets federführend. Er war gewissermassen der Experte für die Beurteilung solcher Vergütungsreglemente. Bei Annahme der Volksinitiative würde dieses Expertentum jedoch eine geringere Rolle spielen, denn über konkrete Vergütungszahlen kann jeder Aktionär sich ohne nähere Erläuterungen seine Meinung bilden.
Was müsste geschehen, dass ein Manager einer börsenkotierten Firma bis zu drei Jahren ins Gefängnis muss, wie das die Minder-Initiative als Höchststrafe vorschreibt?
Man kann das, wenn man will, mit Zechprellerei vergleichen. Auch dort ist vom Strafgesetzbuch eine Höchststrafe von drei Jahren vorgesehen. Das genaue Strafmass müsste je nach Gewicht des Verstosses gegen die Bestimmungen des Anti-Abzocker-Gesetzes ein Gericht festlegen. Ich könnte mir vorstellen, dass etwa im krassen Fall von Percy Barnevik bei ABB, als über 200 Millionen Franken via Rentenbezüge aus der Firma hinausgeschleust worden sind, eine Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis möglich wäre.
Ab März 2014 würden die Eckpunkte in Kraft treten
Wann könnten die Bestimmungen der Minder-Initiativer bei Annahme durch das Volk am 3. März in Kraft treten?
Da muss man differenzieren zwischen dem Gesetz und der Verordnung durch den Bundesrat. Das Gesetz muss vom Parlament mit seinen beiden Kammern beschlossen werden, das könnte länger dauern. Doch nach dem Initiativ-Text muss der Bundesrat eine Verordnung über die Eckpfeiler zur Inkraftsetzung der Initiative erlassen. Spätestens ab 4. März 2014 könnte man also an Aktionärsversammlungen aufgrund dieser Verordnung über Boni und andere Bezüge von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat verbindlich abstimmen.
Die Kritiker der Minder-Initiative führen ins Feld, deren Annahme würde den Wirtschaftsstandort Schweiz schwächen. Man könne dann zum Beispiel nicht mehr hochqualifizierte Manager für Schweizer Unternehmungen gewinnen.
Zum einen ist ja fraglich, ob wir in der Vergangenheit immer die besten Manager gehabt haben – man denke nur an die Beispiele in der Finanzbranche. Wenn finanzielle Anreize der einzige oder alles entscheidende Grund sind für einen Manager, eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe zu übernehmen, so bleibt zweifelhaft, ob damit wirklich die für eine solche Aufgabe qualifiziertesten Kräfte gewonnen werden.
Firmenabwanderung nur mit Zustimmung der Aktionäre
Es wird auch behauptet, dass die Annahme der Minder-Initiative zu einer Abwanderung von Firmen aus der Schweiz führen könnte.
Es gibt in der Schweiz viele andere Standortvorteile, die wahrscheinlich mehr Gewicht haben für den Entscheid einer Unternehmung, in unserem Land zu bleiben, als die Frage einer verstärkten Mitbestimmung der Aktionäre bei der Festsetzung von Spitzensalären.
Ausserdem könnte ja ein Firmensitz nicht ohne Zustimmung der Aktionäre ins Ausland verlegt werden.
Richtig, dazu ist eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln aller Aktionärsstimmen notwendig. Dieses Quorum ist zwingend für sogenannt wichtige Beschlüsse in einer Aktiengesellschaft.
Keine Überforderung von Pensionskassen
In der Propaganda-Zeitung „Bonus“, die von den Gegnern der Minder-Initiative jetzt in alle Haushalte verschickt wurde, wird argumentiert, die Abzocker-Initiative überfordere viele Pensionskassen - weil diese im Falle einer Annahme offenlegen müssten, wie sie bei Aktionärsversammlungen von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht haben. Ist das stichhaltig?
Nein, die Forderung nach Transparenz für die Pensionskassen bezüglich ihrer Stimmrechte bei Aktionärsversammlung gilt ja auch für den Gegenvorschlag. Was unsere Forderung nach obligatorischer Beteiligung der Pensionskassen an solchen Abstimmungen betrifft, muss betont werden, dass es sehr effiziente Mittel gibt, diese Pflicht zu erfüllen: Beispielsweise über den unabhängigen Stimmrechtsvertreter, zweitens über elektronische Fernabstimmungen via Internet oder drittens via einen sogenannten Proxy Adviser wie die Stiftung Ethos. Über das Abstimmungsverhalten kann dann die Pensionskasse wiederum auf ihrer Internetplattform oder im jährlichen Bericht die Mitglieder informieren.
Der in der gegnerischen „Bonus“-Zeitung angekündigte Kurzfilm von Michael Steiner gegen die Minder-Initiative war bisher im Internet nicht zu sehen. Haben Sie eine Erklärung?
Der Film heisst „Grounding 2026“ und soll ziemlich apokalyptische Schreckensvisionen zeigen. Vielleicht hat man im Lager der Initiativ-Gegner doch Zweifel bekommen, ob übertriebene Angstmacherei und durchsichtige Panikmache bei den Stimmbürgern nicht eher kontraproduktive Reaktionen fördern könnten.
Die UBS hat dieser Tage in der Jahresrechnung 2012 einen Verlust von 2,5 Milliarden Franken ausgewiesen. Gleichzeitig werden die Boni für dieses Jahr mit 2,5 Milliarden Franken beziffert. Ist das für den Normalbürger nachvollziehbar?
Nein, ich glaube, das ist für viele Bürger sehr stossend. Solche Nachrichten können die Diskussion um die Minder-Initiative zumindest zusätzlich intensivieren.
“Es könnte knapp werden“
Wagen Sie eine Prognose über den Ausgang der Abstimmung vom 3. März zu stellen?
Ich denke, das Ergebnis wird knapp. Sicher werden nicht 65 Prozent für die Initiative herauskommen, wie das Claude Longchamps bei seinen Umfragen Ende Januar ermittelt hat. Die Ja-Stimmen für die Initiative werden eher abnehmen, das ist bei vielen Volksinitiativen im Endspurt so. Beim notwendigen Ständemehr sehe ich hingegen kaum in Risiko. In den romanischen Kantonen ist nach unsern Informationen die Zustimmung zur Minder-Initiative breiter als in der Deutschschweiz.
Welche Signalwirkung könnte ein Ja zur Abzocker-Initiative im Ausland haben?
Ich bin überzeugt, dass die Annahme im Ausland stark beachtet würde. Denn der Grosstrend geht ja bei den Aktionärsrechten von konsultativen zu bindenden Abstimmungen, von der Mitbestimmung bei schwer durchschaubaren Vergütungsreglementen zu Entscheidungen über konkrete Zahlen. Man kann das in verschiedenen Ländern beobachten. Norwegen ist da schon einen Schritt voraus, dort stimmen die Aktionäre über die Bezüge der Geschäftsleitung bindend ab. Die Schweiz würde bei diesem Trend zu mehr Aktionärsdemokratie mit einem Ja zur Abzocker-Initiative in diesem Bereich eine Art Vorbildfunktion übernehmen.