Rechnen war noch nie meine Stärke. Bei anderen ging das Ergebnis auf, bei mir blieb oft ein Rest, für den ich keine Erklärung fand. Bei der übrigen Klasse war die Differenz zwischen Soll und Haben null, bei mir ergab sich unter dem Strich eher «sollte haben». Dafür klappte es ganz gut mit den Fremdsprachen. Fremd waren sie mir nur so lange, bis ich mich auf sie einliess. Aus fremd wurde vertraut, und überhaupt: Was heisst denn schon «Fremd»sprache? Was für uns fremd klingt, ist in den Ohren jener, die damit aufgewachsen sind, so deutlich wie für uns Deutsch.
„Das sind alles echte Thai“
Darin sind wir Schweizerinnen und Schweizer eigentlich ganz gut, im Adaptieren von Fremdem meine ich. «OMG» für «O My God» tippen Teenager, die kaum Englisch sprechen, in ihre SMS (kurz für Short Message Service), wenn sie ihrem Entzücken oder Entsetzen Ausdruck geben wollen. Längst haben wir begriffen, dass uns die Modeläden mit ihren «Sale»-Aufklebern auf den Schaufensterscheiben nicht etwa umgangssprachlich nett begrüssen, sondern uns für den Ausverkauf in ihre Lokale locken wollen. Beim «Public Viewing» jubeln wir auf öffentlichem Grund einer Horde Fussballer zu, die einander auf Grossleinwand mit bösen Fouls niederstrecken und wie tot liegenbleiben. Was ja dann auch dem eigentlichen Sinn von «Public Viewing» entspricht, wird doch im englischen Sprachraum darunter die öffentliche Aufbahrung eines Toten verstanden.
Die Pasta samt Pomodori kaufen wir gerne beim Italiener, «der importiert das alles direkt aus seinem Heimatdorf in der Toscana!» Im Thai-Restaurant freuen wir uns über die flinken Köchinnen mit exotischem Aussehen, die uns ihre wunderbaren heimischen Spezialitäten mit Orchideen garniert hinzaubern – gleich um die Ecke, mitten in Zürich. Ein Stück Asien direkt vor dem Haus, sozusagen. «Das sind alles echte Thai, die da in der Küche, deshalb sind die Gerichte so authentisch», belehrt der Banker seinen Kunden beim geschäftsfördernden Mittagessen. Er muss es wissen, war schliesslich schon mehrmals in Bangkok.
Schweizer Geschichte mit deutschen Professoren?
Weltoffen, wofür wir uns halten, freuen wir uns über die Touristen aus aller Welt, die unser schönes Land bewundern kommen, dabei unsere Tourismusindustrie tüchtig am Laufen halten – und dann mit erleichtertem Portemonnaie bequemerweise nach zwei Tagen automatisch wieder verschwinden. Wir schwärmen von den Ferien auf den Malediven und in der Karibik, von Kenias Stränden und der Kreuzfahrt nach Alaska. Wir leisten uns Badeferien in den Arabischen Emiraten, trekken durch Nepal und meditieren im Zen Resort auf Bali. Wir sind so etwas wie die Weltmeister im Reisen, im Entdecken von Unbekanntem, und sind stolz darauf, den Horizont erweitert und etwas von der grossen weiten Welt gesehen zu haben.
Und dann kommen wir zurück nach Hause und stimmen ab über Minarettverbot, Masseneinwanderungsinitiative, Ecopop-Initiative, ärgern uns über ausländische Sozialhilfeschmarotzer und darüber, dass jetzt plötzlich eine deutsche Professorin unseren Studenten Schweizer Geschichte beibringen soll. Die kann doch denen nicht im Ernst unseren vom Deutschen Schiller verewigten Nationalhelden erklären wollen?!
„Dabei kommt sie ja aus Albanien“
«Johannes, komm ma hea, deine Mütze sitzt schief», ruft eine Mutter auf dem Spielplatz ihrem Kleinen zu, und zwei andere verdrehen vielsagend die Augen, worauf die eine leise murmelt: «Simmer äigetli im groosse Kanton dihäi?» Und meint damit jenes Land, in dem sie jeweils nahe der Schweizer Grenze einkaufen geht, weil’s so schön billig ist.
«Also mit meiner Putzfrau habe ich wirklich Glück. Sie ist super sauber und total ehrlich. Dabei kommt sie ja aus Albanien, aber sie ist halt schon lange in der Schweiz.» Sagt die gepflegte Dame im Café und beisst in ihr echt französisches Croissant.
Im Wartezimmer des Zahnarztes sitzt Herr Zürcher samt seiner Gattin und liest die NZZ. «Ha», sagt er genüsslich zu ihr, «da isch em Neeger de Schuss aber schön hindenuse!» Damit kommentiert er den vergeblichen Versuch des amerikanischen Präsidenten Obama, den Iran im Kampf gegen den IS mit ins Boot zu holen.
Gleichung mit zwei Unbekannten
Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der Mohrenkopf jetzt Choco-Kuss heisst und auf der Kasperlikassette kein «munggelibruune Neegerhöiptling» mehr sein Unwesen treibt. Ob’s etwas nützt? Herr Zürcher jedenfalls scheint es noch nicht so ganz verinnerlicht zu haben.
Irgendwie verstehe ich diese Widersprüche einfach nicht, so wenig wie eine Gleichung mit zwei Unbekannten. Irgendwie geht bei mir die Rechnung wieder einmal nicht auf. Aber wie gesagt: Rechnen war noch nie meine Stärke.