(Die Fragen stellte Heiner Hug)
Journal21: Herr Spillmann, die Briten wollen sich nicht an einer Militäraktion gegen Syrien beteiligen. Ein Uno-Mandat scheint illusorisch. Wird Obama es wagen, allein einen Militärschlag gegen das Asad-Regime durchzuführen?
Kurt R. Spillmann: Obama ist innerlich gespalten, das Weisse Haus ist gespalten und die amerikanische Nation ist gespalten. Auf welche Seite die Münze dann fällt, ist im Moment unklar. Der Druck auf Obama ist enorm. Er muss jetzt praktisch im Alleingang die Verantwortung übernehmen, nachdem Cameron vom britischen Parlament zurückgepfiffen wurde. Ban Ki Moon, der Uno-Generalsekretär, hat verlangt, dem Uno-Team vor Ort müssten weitere vier Tage für die Auswertung ihrer Untersuchungen gegeben werden. Es ist also unklar, ob in den nächsten vier Tagen etwas geschieht. Ob dann in vier Tagen wirklich etwas geschieht, das ist sehr ungewiss.
Gehen wir davon aus, dass der amerikanische Militärschlag tatsächlich erfolgt. Wie könnte ein solcher Angriff aussehen?
Für Obama ist entscheidend, dass es eine begrenzte Aktion ist und bleibt. Er hat zwei Kriege geerbt und hat absolut kein Interesse, in einen dritten hineinzurutschen. Deshalb wird er auf keinen Fall Fusstruppen nach Syrien bringen, sondern Fernlenkwaffen, Marschflugkörper, einsetzen. Obama wird sich allenfalls auf Bombenangriffe auf Flugplätze, Kommando-Zentralen und Kommunikations-Zentralen konzentrieren.
Und die Anlagen zur Aufbereitung chemischer Kampfstoffe?
Die chemischen Kampfstoffe, um deren Ausschaltung es eigentlich geht, wird er nicht bombardieren können, da er sonst riskiert, dass sie freigesetzt werden. Er würde damit die Zivilbevölkerung, die er schützen will, bedrohen und schädigen.
Da werden also ein paar Cruise Missiles einschlagen, vielleicht werden einige Flugpisten und Kommando-Zentralen zerstört. Und dann?
Das ist das grosse Problem. Auch in den USA besteht keine Langfrist-Strategie. Wieder einmal. Genau wie im Irak und in Afghanistan. Auch jetzt gibt es nur vage, man könnte sagen ‚idealistische Vorstellungen‘ wie Syrien stabilisiert und demokratisiert werden könnte. Die Kräfte, die jetzt in Syrien gegeneinander kämpfen, sind so vielfältig und zum Teil so radikal, dass überhaupt nicht absehbar ist, was nach einem Sturz Asads passieren könnte.
Ist es nicht naiv zu glauben, das Asad-Regime würde durch einen solchen Kurzangriff in die Knie gezwungen?
Das ist es. Vor allem auch deshalb, weil ja der Angriff begrenzt sein soll. Es geht, wie Obama immer wieder gesagt hat, um eine Bestrafung wegen der Anwendung von Giftgas, nicht aber um einen Regime-Wechsel. Es ist zu befürchten, dass Asad nicht gestürzt wird und vielleicht noch radikaler seine Mittel einsetzt als zuvor.
Das heisst, er könnte vermehrt chemische Kampfstoffe einsetzen?
Richtig. Doch man muss heute betonen: Es ist noch keineswegs sicher, dass diese chemischen Kampfstoffe von der Regierung eingesetzt wurden. Der Beweis liegt noch nicht vor.
Könnte es sein, dass Asad sogar gestärkt aus einer solchen Militäroperation hervorgeht? Er könnte sich als Märtyrer aufspielen und sagen: Seht, selbst die USA haben mich nicht besiegen können.
Asad ist nicht der Typ, sich als Märtyrer darzustellen. Aber er könnte gestärkt aus einer Operation hervorgehen, wenn keine schlüssigen Beweise dafür vorgelegt werden können, dass er es war, der dieses Giftgas eingesetzt hat.
Asad hätte ja eigentlich kein Motiv gehabt, Giftgas einzusetzen. Er wusste ja, dass er damit einen westlichen Angriff provozieren könnte. Die Rebellen allerdings hätten ein Motiv. Sie können alles Asad in die Schuhe schieben. Gehen wir dennoch davon aus, dass es doch die Regierungstruppen waren. Dafür gibt es offenbar Anzeichen. Könnte es sein, dass der Befehl für den Einsatz von Giftgas nicht von oben, sondern von einem untergeordneten Militär kam?
Es gibt ja innerhalb der Regierung unterschiedliche Stimmen. Man hört, dass Asad erzürnt war, dass der Chef der Chemiewaffen-Truppen offenbar chemische Waffen eingesetzt und freigegeben hat - ohne den allerobersten Segen. Es soll erregte Debatten gegeben haben, die von der NSA abgehört wurden. Das würde heissen, dass nicht von ganz oben, sondern von untergeordneter Stelle der Befehl für den Einsatz solcher Waffen erfolgt ist.
Wenn das stimmt, wären die Regierung und Asad etwas entlastet. Es gibt auch ähnliche Spaltungen im Iran. Rohani sagt, wir wollen eine Entspannung mit dem Westen und der Generalstabchef droht Israel Vernichtung an, wenn ein Angriff auf Syrien erfolgen sollte.
Dem Westen wird ja Konzeptlosigkeit und Schwäche vorgeworfen. Hat ein solcher Militärschlag nicht vor allem symbolischen Charakter. Die USA wollen ihr Gesicht wahren und zeigen, dass sie zu einer harten Haltung fähig ist.
Vermeintliche Konzeptlosigkeit und Schwäche spiegeln die Tatsache, dass auch der militärische Riese Amerika das chaotische Kampfgeschehen am Boden in Syrien nicht mit klassischen militärischen Mitteln aus Distanz unter Kontrolle bringen kann. Da die Öffentlichkeit – und als ihr Ausdruck: die Politiker und die Medien – unbedingt „action“ fordern, sieht sich Obama unter höchstem Druck, durch irgendeine militärische Handlung (die er jetzt als Strafaktion für den Einsatz von Giftgas bezeichnet) sein Gesicht zu wahren. Aber in unserer Zeit der asymmetrischen Kriegführung führt Aktionismus an sich zu nichts, wie Irak und Afghanistan zeigen, und Obama weiss das. Das ist sein grosses Dilemma.
Aber haben die USA als stärkste Militärmacht nicht eine besondere Verpflichtung, gegen den Einsatz von Giftgas und damit gegen die Verletzung von gültigem Völkerrecht einzuschreiten?
Alle Uno-Nationen sollten dafür sorgen, dass die Konvention über die Nichtverwendung chemischer Waffen von 1994 umgesetzt und respektiert wird. Die USA sehen sich als stärkste Nation in erster Linie dafür verantwortlich. Aber eigentlich wäre genau das eine Aufgabe, die gemeinsam angepackt werden müsste. Aber so lange verschiedene Nationen verschiedene Akteure in diesem syrischen Bürgerkrieg unterstützen, ist die UNO machtlos und der Kampf geht weiter.
Steht Obamas Glaubwürdigkeit auf dem Spiel?
Für viele ist es so. Zwei Drittel der Amerikaner sind gegen einen Krieg gegen Syrien. Das heisst aber nur: Sie sind gegen den Einsatz von Fusstruppen. Eine Demonstration amerikanischer Macht mit Fernlenkwaffen würde wahrscheinlich viel mehr Applaus bekommen. Obama steht also sowohl innenpolitisch als auch in der sogenannten Weltöffentlichkeit unter starkem Druck. Wenn er gar nichts unternimmt, könnte seine Glaubwürdigkeit weiter leiden.
Am Schluss ist man immer klüger. Was hätte der Westen anders machen sollen?
Von Anfang an viel mehr auf diplomatische Kooperation setzen. Der Westen hätte beispielsweise eine Syrien-Konferenz unter Mitwirkung aller Nachbarstaaten, inklusive Iran und Israel, anstreben sollen. Auch Russland und China hätte man einbeziehen müssen. Das scheint im Moment unmöglich. Die geplante Genfer Konferenz kam ja nicht zustande, sie soll jetzt im Oktober stattfinden. Aber die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ist unter den in Syrien kämpfenden Gruppierungen nicht vorhanden – ebenso wenig bei allen Grossmächten.
Hätte der Westen den Rebellen Waffen liefern sollen?
Das halte ich für fatal. Das wäre eine Parteinahme in einem Bürgerkrieg.
Amerikanische Zeitungen spekulieren, amerikanische Kampfflugzeuge könnten gleichzeitig auch al-Qaida-Stellungen in Syrien angreifen. Ist das glaubhaft?
Das halte ich für Phantasie. Die Positionen dieser Kämpfer wechseln laufend. Man kann nicht das gleiche Denken und die gleiche militärische Planung anwenden, die man bei Drohnen-Angriffen auf al-Qaida-Kämpfer anwendet. Die Zahl der Opfer unter Unbeteiligten (die sog. Kollateralschäden) würde ein solches Vorgehen verbieten.
Vor zwei Jahren glaubte man noch, ein Sturz Asads würde Syrien auf den richtigen Weg bringen. Jetzt weiss man, auch ein Sturz Asads wäre verheerend. Wird Syrien zu einem zweiten Afghanistan, in dem sich Dutzende Gruppen bekämpfen?
Das ist leider sehr wohl möglich. Syrien ist der Inbegriff eines Flicken-Teppichs mit verschiedensten ethnischen und religiösen Gruppierungen. Mittlerweile haben die Gemässigten eine sehr schwache Position. Jene Kreise, die die Revolution angestossen haben, sind in der Zwischenzeit an den Rand gedrängt worden. Die Radikalen hingegen haben sich nach vorne gedrängt. Es ist deshalb zu befürchten, dass nach einem Ausscheiden Asads radikale Gruppierungen eine dominante Rolle spielen.
Es wird auch davon gesprochen, dass das Land in verschiedene Teile mit Militär- und Gewaltherrschern von regionaler Bedeutung zerbrechen könnte.
Also gibt es keine Lösung?
Es gibt im Augenblick keine Lösung. Eine Lösung würde voraussetzen, dass die Grossen dieser Welt, vor allem die USA und Russland, im Rahmen des UNO-Sicherheitsrates einem Uno- Schutzmandat zustimmen würden. Im Rahmen dieses Mandats müsste eine starke Uno-Schutztruppe in Syrien stationiert werden. Ihre Aufgabe wäre es, alle kämpfenden Gruppierungen zur Beendigung der Kämpfe zu zwingen. Aber noch handeln sie im umgekehrten Sinn: sie unterstützen verschiedene Seiten in diesem Krieg und fachen ihn dadurch weiter an. Der Punkt ist noch nicht erreicht, an dem die verschiedenen Gruppen eingesehen haben, dass durch Fortsetzung des Blutvergiessens nichts mehr zu gewinnen ist.
Ein solches Schutzmandat ist illusorisch
Es ist zur Zeit illusorisch.
Welche Auswirkungen wird das syrische Chaos auf die ganze Region, inklusive Iran haben?
Niemand ist an einem grösseren Krieg interessiert. Iran ist wegen der westlichen Boykotte mit gewaltigen inneren Problemen konfrontiert. Ich glaube nicht, dass der oberste iranische Religionswächter, Chamenei, einen Angriff gegen Israel plant – als Vergeltung für einen amerikanischen Angriff auf Syrien.
Was geschieht nach der Militäroperation. Ist es nicht vermessen, eine solche Operation durchzuführen und kein Konzept für die Zeit danach zu haben?
Es wiederholt sich leider die Tragik der Situation im Irak. Damals wurde der Militärschlag mit fingierten Informationen gerechtfertigt. Es wurde behauptet, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen.
Wenn jetzt ein Angriff auf Syrien durchgeführt wird, könnte dieser wieder mit sehr unsicheren Informationen legitimiert werden. Ziel muss es sein, der Bevölkerung Frieden und Sicherheit zu bringen. Eine einfache militärische Lösung führt nicht zum Ziel.