Sie hat uns überholt. Was im 20. Jahrhundert noch eine Übertreibung schien, ist mittlerweile mehrfach wahr geworden: Die Politwerbung macht mit uns, was sie will. Wir stimmen nicht so ab, wie es uns am nützlichsten wäre, sondern wie es diejenigen wollen, die uns schaden.
Wenn wir demnächst zum Beispiel über zwei Initiativen gegen Pestizide und für einen Schutz des Trinkwassers abstimmen, ist es keineswegs sicher, dass das legitime Interesse der Bevölkerung gewinnt.
Wer kann uns so manipulieren? Primär müssen es jene sein, die davon profitieren. In diesem Fall hat es jemand den «Speckgürtel der Agrarwirtschaft» genannt, also Futtermittel- und Pestizid-Hersteller. Doch allein wären sie viel zu schwach, denn wenn man den Absender kennt, ist man ein Stück weit gewarnt. Dass sich die Wirtschaft die Politik gefügig machen möchte, ist kein Wunder. Kürzlich war zu lesen, dass Schweizer Wirtschaftsexponenten den Rahmenvertrag mit der EU zu Fall bringen wollen, um ihre Macht über die Politik in der Schweiz nicht zu verlieren. Eine steile, aber einleuchtende These.
Die Schweiz erlaubt es der Wirtschaft, locker und legal Einfluss auf die Politik zu nehmen. Entweder lassen sie direkt ihre VertreterInnen ins Parlament wählen oder ihre Lobbys sind immer ausgeklügelter ausgerüstet und perfekt an den Entscheidungsstellen platziert. Dass VertreterInnen einer bestimmten Branche im Bundesrat oder an der Spitze von Parteien sitzen, nimmt man als Teil der Milizpolitik in Kauf, sogar wenn sich diese klar für ihre Gruppe und manchmal sichtbar gegen das öffentliche Interesse einsetzen.
Der Einfluss wird aber laufend gezielter und unverhohlener. Die verblüffend deutliche Parteinahme gewählter PolitikerInnen im letzten Herbst für die Konzerne, gegen eine Initiative aus der Bevölkerung, lässt für die Zukunft befürchten, dass sie bei einem Konflikt zwischen der Allgemeinheit und ihrer Wirtschaftsbranche immer diese vertreten.
Dazu kam im genannten Beispiel der Schulterschluss fast der gesamten Wirtschaft zugunsten jener Konzerne, die Menschenrechtsverletzungen begehen. Zu erwarten wäre doch, dass sie dem guten Ruf der Schweizer Wirtschaft zuliebe eine Haftung befürworten und sich damit von dubiosen und gar verbrecherischen Aktivitäten einzelner Konzerne distanzierten.
Bedrückend ist nun auch, dass sich ganz unterschiedliche Gruppen zusammenschliessen, um für einander Abstimmungen ohne Bezug zu den eigenen Mitgliedern zu gewinnen.
Dass also der Bauernverband die Konzernverantwortung zur Ablehnung empfahl, einzig um die Hilfe der Wirtschaft für die Agrarabstimmungen zu erkaufen. Das sind Machtspiele, deren Verlierer diejenigen sind, welche «frei» abstimmen sollen.
Die allergefährlichste Entwicklung ist jedoch die schleichende Einflussnahme in bisher als unabhängig geltenden Tageszeitungen. Diese recht neue Erscheinung ist wahrscheinlich geeignet, unsere demokratische Entscheidungsfindung in eine Gehorsamkeitsübung zu verkehren.
Nicht nur wurde recht unverschämt als Information getarnte Werbung eingesetzt (der Informationslink zur Konzernverantwortung führte auf die Seite der Gegenkampagne), sondern in scheinbar neutralen Artikeln werden vor Abstimmungen massiv die rechtsbürgerliche oder wirtschaftsfreundliche Seite gestärkt. Beispiele aus den letzten Monaten: Die Diffamierung der Initianten als mächtige Untergrundorganisation mit geheimen Geldquellen. Ein Umfrageergebnis weit vor der Diskussion über die Verhüllungsinitiative, gefolgt von prominent platzierten Artikeln gegen die Unterdrückung der Frau im Islam und eine Dämonisierung der «schweigenden» Burkaträgerinnen. – Und nun erscheinen für die Abstimmungen im Juni warnende Artikel, welche scheinbar objektiv vorrechnen, dass die Initiativen direkt das Gegenteil des Erhofften bewirkten und nur Schaden anrichten würden. Dies ist ungleich viel wirksamer als ein Gastbeitrag aus der Agrochemie, doch zusammen entsteht das gefährliche Gemisch aus Argumenten und Bestätigung, welches wie Objektivität aussieht.
Es scheint ziemlich offensichtlich, dass hier eine raffinierte Werbestrategie Eingang gefunden hat, auch wenn das Vorgehen noch nicht sichtbar ist – sind es einzelne JournalistInnen mit einem Auftrag? Das müsste dringend untersucht und beendet werden. Die Konzentration der Tageszeitungen in wenigen Händen – soeben wieder beim Berner Bund und BZ erschreckend sichtbar – bietet dieser kalkulierten Beeinflussung zudem immer grössere Reichweite.
Damit könnten wir wieder auf ein Abstimmungsergebnis zusteuern, das man mit vernünftigen Gründen nicht erklären kann. Wollen wir unser Trinkwasser und unsere Gesundheit den Profiteuren einer unzeitgemässen Landwirtschaft (das sind übrigens nicht etwa die Bauern selbst) opfern und das über Subventionen selber bezahlen? Ja? – Das macht mir Sorgen.
Es wurde als Kuhhandel bezeichnet, wie der Bauernverband mit den Wirtschaftsvertretern ein Päckchen schnürte, um die Initiativen abzulehnen – aber ob wir uns dafür als «Stimmvieh» hergeben, ist immer noch freiwillig.