Zwei Wochen vor dem Wahltag scheint in den USA, aufgrund des Wahlsystems, alles von der Entscheidung von ein paar tausend Stimmberechtigten in einigen wenigen Bundesstaaten abzuhängen. Sieben Bundesstaaten gelten als Swing-States, das heisst, in diesen Staaten schwankte die Mehrheit schon immer hin und her zwischen Demokraten und Republikanern. So ist dort auch jetzt unklar, ob eine Mehrheit sich für den Republikaner Donald Trump oder die Demokratin Kamala Harris entscheiden wird.
In einigen dieser Swing-States sind es die Angehörigen einer kleinen Minderheit, die den Ausschlag geben können, die Muslime und die US-Amerikaner mit arabischem Background.
Die beiden Gruppen zusammen bilden zwar, auf die ganzen Vereinigten Staaten hochgerechnet, eine Minderheit von nur 1,1 Prozent, aber in Michigan beispielsweise, einem Swing-State, sind es drei Prozent. Bei der Wahl von 2020 stimmten zwei Drittel von ihnen für Joe Biden, aber ob sie sich jetzt für Kamala Harris entscheiden, ist offen. Bei Umfragen sagten viele, die Position der Demokratin zu Israel und zum Nahost-Konflikt sei ihnen zu schwammig: Aufruf zu einem Waffenstillstand im Gaza-Streifen und gegenüber dem libanesischen Hisbollah einerseits, Bekundung von vorbehaltloser Solidarität mit Israel anderseits, das besage letzten Endes nur, dass sie es allen recht machen wolle.
Schwieriges Verhältnis von Harris zu den «Arab-Americans»
Eine Umfrage, die am Montag dieser Woche veröffentlicht wurde, bestätigt die Skepsis: Das Institut Arab News/YouGov will herausgefunden haben, dass in den Swing-States 45 Prozent der Muslime und «Arab Americans» für Donald Trump und nur 43 Prozent für Kamala Harris stimmen werden.
Wieso das? Immerhin hatte Kamala Harris bei Interviews in den letzten Wochen mehrfach erklärt, dass sie sich als Präsidentin für eine Zweistaaten-Lösung (unabhängiger Palästinenserstaat an der Seite Israels) engagieren und den israelischen Regierungschef mit Nachdruck zu einem Waffenstillstand drängen werde. Nur: Solange in Israel Benjamin Netanjahu oder ein anderer Likud-Politiker das Sagen hat, wird es keinen palästinensischen Staat geben. Und ob sie sich, gesetzt den Fall, sie würde gewählt und der Krieg in der Region Nahost würde immer noch andauern, dazu durchringen könnte, kritischen Worten gegen die Art der Kriegführung Israels auch Taten folgen zu lassen, das heisst, die Waffenlieferungen zu reduzieren oder zu stoppen, steht auf einem anderen Blatt.
Joe Biden tat das nie: Er drohte zwar, aber den Ermahnungen und der Kritik folgten keine Taten, im Gegenteil: im Verlauf eines Jahres lieferten die USA Waffen und Bomben im Wert von 17,9 Milliarden Dollar (Recherchen des Brown University’s Costs of War Project).
Trumps Taten und pauschale Versprechungen
Die Widersprüche bei Kamala Harris irritieren in der Gruppe der Muslime und der «Arab Americans» offenkundig mehr als die Eindeutigkeit bei Donald Trump –, der erklärt hat, er werde, als Nochmals-Präsident, dem israelischen Premier freie Hand lassen, «in order to finish the job». Was konkret heisst: keine Kritik mehr zur Kriegsführung, weder im Gaza-Streifen noch in Libanon oder allenfalls gegenüber Iran. Mit grünem Licht gegenüber der israelischen Rechten profilierte er sich ja schon in der Zeit seiner ersten Präsidentschaft, als er beschloss, die amerikanische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, und die Golan-Höhen als Teil Israels anerkannte. In seiner Nahost-Strategie existierten die Palästinenser nicht. Doch Trump beharrt, ohne dafür irgendeinen Beweis zu liefern, darauf, dass er «alle Kriege» (Ukraine und Nahost) beenden werde. Und überhaupt: Während seiner ersten Amtszeit, da habe es ja nirgendwo einen Krieg gegeben, an dem die USA beteiligt gewesen seien.
Jill Stein als Zünglein an der Waage?
Für diejenigen, denen weder die Argumente von Kamala Harris noch die Behauptungen von Donald Trump Eindruck machen, haben nun führende Persönlichkeiten aus dem Umfeld der «Black Muslim Leaders» eine scheinbar salomonische Lösung gefunden: Sie geben den Ratschlag, die Stimme für die grüne Kandidatin, Jill Stein, abzugeben. Nur sie engagiere sich vorbehaltlos für einen doppelten Waffenstillstand in Nahost (im Gaza-Streifen und im Libanon) und ebenso für ein Verbot von Waffenlieferungen an Israel, erklärten sie.
Jill Stein, aus jüdischer Familie stammend, trat schon zwei Mal bei Präsidentschaftswahlen an, 2012 und 2016. Im Jahr 2016 erhielt sie, landesweit, etwas mehr als 1,45 Millionen Stimmen. Das war zwar weniger als ein Prozent, aber in einem der Swing-States, vor allem in Michigan, könnten ein paar tausend Stimmen der Muslime und der «Arab Americans» für Jill Stein zur Niederlage von Kamala Harris führen.
Das gehört zu den Tücken des US-amerikanischen Systems, in dem auch schon winzige Mehrheiten in einigen wenigen Bundesstaaten zur Mehrheit der Elektorenstimmen auf nationaler Ebene führen können.