Gastkommentar von Gret Haller, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitk SGA
Noch selten durchlief eine Volksinitiative schon vor der Lancierung so viele widersprüchliche Stadien. Da hiess es zunächst einmal «Landesrecht statt Völkerrecht», bis den Erfindern des Konstrukts endlich klar wurde, dass es auch zwingendes Völkerrecht gibt. Dann wollte man die «fremden Richter» in die Initiative packen, und schliesslich setzte man auf das Pferd des irreführenden Begriffes der «Selbstbestimmung».
Erstaunlich ist das Schlingern der SVP in der Begründung ihrer Initiative. Zunächst das grosse Feindbild Europäische Menschenrechtskonvention und die Richterinnen und Richter in Strassburg, welche diese Konvention auslegen. Jetzt soll die Konvention plötzlich nicht mehr so schlimm sein, und die Initianten sagen, man hoffe um die Kündigung herumzukommen. Weil es nach der lautstarken Propagierung des Initiativ-Projektes kein «retour» mehr gab, hat die Partei kurz vor Einreichung der Initiative einen Radwechsel am fahrenden Zug vorgenommen und das Feindbild ausgewechselt. Jetzt sitzen die feindlichen Richter nicht mehr in Strassburg, sondern in Luxemburg, und man attackiert lautstark das geplante Rahmenabkommen mit der Europäischen Union über institutionelle Fragen. Bekanntlich ist die EU ohne Abschluss eines solchen nicht bereit, mit der Schweiz weitere bilaterale Verträge einzugehen.
Nur schade für die SVP, dass auch hier das mit den fremden Richtern längst nicht so klar ist. Die Schweiz kann neues EU-Recht nur unter dem Vorbehalt des Referendums übernehmen, auch wenn sie einem bilateralen Vertrag bereits zugestimmt hat. Der EU-Gerichtshof entscheidet also nur über die Auslegung des EU-Rechtes, und das ist bekanntlich seine ureigenste Aufgabe. Wie es der frühere Bundesrichter und Ständerat Thomas Pfisterer feststellt, haben danach immer die Schweizer Stimmberechtigten das letzte Wort.*) Man kann gespannt sein, auf welches nochmals neue Feindbild die SVP umsteigen wird, falls diese Lösung Fahrt aufnimmt.
Die grosssprecherischen Ankündigungen dieser Partei sind in letzter Zeit leiser geworden, was nicht verwunderlich ist. Nicht nur die Slalomfahrt in der Begründung, auch die Taufe ihres neuesten Konstrukts auf den Namen «Selbstbestimmungsinitiative» zeigt die Hilflosigkeit, mit welcher diese Partei neuerdings ihr altbackenes Geschäft der Abschottung und Isolation unseres Landes betreibt. Selbstbestimmung bedeutet dort mitzureden, wo die Dinge entschieden werden. Für die Schweiz ist das in vielen Fragen die Europäische Union. Die neueste Initiative der SVP hat demgegenüber das Ziel, die Schweiz von wichtigen Entscheidungen fernzuhalten. Es ist eine eigentliche «Entmündigungs-Initiative».
*) Thomas Pfisterer «Für ein gutes institutionelles Abkommen mit der EU»
Dieser Text ist als Editorial auf der Webseite der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik SGA-ASPE erschienen: www.sga-aspe.ch