Als Ministerpräsident wurde er unsanft vor die Tür gesetzt, als möglicher Parteichef wurde er gedemütigt wie kaum ein anderer: Jetzt ist er wieder da.
Nach einer wüsten Intervention des früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi wurde Giuseppe Conte im Januar als Ministerpräsident abserviert. Renzi warf ihm Unfähigkeit vor. Tatsächlich gelang es Conte nicht, einen glaubhaften Vorschlag zu machen, wie die 200 Milliarden EU-Hilfsgelder eingesetzt werden sollen.
Conte hatte schon ein leidiges Politleben hinter sich. Er, der Rechtsprofessor, gehört keiner Partei an. Nach den Parlamentswahlen 2018 rauften sich die Protestpartei Cinque Stelle und die rechtspopulistische Lega zu einer Koalitionsregierung zusammen. Doch die beiden Parteichefs Luigi Di Maio von den Fünf Sternen und Matteo Salvini von der Lega konnten sich nicht einigen, wer von den beiden Regierungschef werden soll. Als Kompromisskandidaten hoben sie schliesslich den wenig profilierten Giuseppe Conte auf den Schild.
Er macht es nicht allzu schlecht
Nachdem die Koalition von Cinque Stelle und Lega im Sommer 2019 auseinander gebrochen war, einigten sich die Sterne und der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) auf eine neue Koalitionsregierung – wieder mit Conte als Ministerpräsident.
Conte hatte es nicht leicht, von allen Seiten wurde gegen ihn geschossen. Dringend notwendige Strukturreformen konnte er nicht durchsetzen. Sowohl die Linke als auch die Rechte legten ihm Steine in den Weg. Vor allem Matteo Salvini wollte sich profilieren und sah sich schon als neuer Ministerpräsident. Trotz dieser ungemütlichen Lage machte Conte seine Sache nicht allzu schlecht.
Renzi schert aus
Doch dann beschloss die EU, Italien 200 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, um das Land endlich aus der Agonie herauszuführen. Brüssel verlangte allerdings einen detaillierten, konkreten Plan. Man wollte verhindern, dass die Gelder verpufften oder, wie so oft, in die Hände der Mafia gelangten. Der Plan, den Conte ausarbeitete, war unausgegoren und wenig konkret. Matteo Renzi, der frühere Ministerpräsident, entzog deshalb Conte seine Unterstützung. Conte stürzte. Neuer Ministerpräsident wurde Mario Draghi.
Doch Conte blieb einer der beliebtesten Politiker Italiens. In Meinungsumfragen schwang er stets obenauf. Davon wollte Beppe Grillo profitieren – er, der charismatische, egozentrische, exaltierte Mitgründer der Protestbewegung Cinque Stelle.
Wüster Streit
Die Fünf Sterne hatten, seit sie an der Regierung beteiligt waren, einen eigentlichen Absturz erlebt. Bei den Wahlen 2018 wurden sie mit 34 Prozent mit Abstand stärkste Partei in Italien. Jetzt liegen sie laut Umfragen nicht einmal bei halb so viel.
Grillo (Foto: Keystone/AP/Alessandra Tarantino) hofft, mit Conte an der Spitze, die Partei, die sich Bewegung nennt, wieder aufrichten zu können. Doch Conte stellte Forderungen. Er wollte nicht nur Stimmenfänger sein und sich nicht von Grillo dirigieren und vereinnahmen lassen. Es kam zu einem wüsten Streit. Grillo versetzte Conte öffentlich Tiefschlag um Tiefschlag und sagte, Conte habe „keine politische Visionen“ und „keine Erfahrung“. „Ich brauche Conte nicht“, sagte Grillo, „aber Conte braucht mich.“
93 Prozent für Conte
Viele waren erstaunt, dass sich Conte das alles gefallen liess und nicht endlich den Stecker zog. Die meisten Kommentatoren prophezeiten ein Verglühen der Fünf-Sterne-Bewegung.
Dann krebste Grillo zurück. In Bibbona südlich von Livorno, wo Grillo ein Sommerhaus hat, versöhnten sich die beiden bei einem Mittagessen.
Und jetzt wurde Conte mit 93 Prozent (62’242 Stimmen) zum neuen Parteiführer der Cinque Stelle gewählt. Bei den Sternen funktioniert das über eine (neue) Internet-Plattform. Nach seiner Wahl erklärte er: „Ich werde mich dafür einsetzen, der Politik ihre Würde zurückzugeben.“
Die Abtrünnigen zurückholen
Bereits hat er eine Stellvertreterin ernannt: Chiara Appendino, die Bürgermeisterin von Turin (Foto: Facebook).
Jetzt muss er der Bewegung, die vor allem als wilder Haufen funktionierte, eine eigentliche Struktur geben. So wird er auch versuchen, jene Fünf-Sterne-Politiker, die die Partei verlassen haben, zurückzugewinnen. Ein Drittel aller Sterne-Parlamentarier hatte der Bewegung den Rücken gekehrt: das sind 120 Abgeordnete und Senatoren.
Im September will Conte sein neues Team vorstellen. Vermutlich wird er fünf Stellvertreter ernennen. Neben der 37-jährigen Appendino werden die Vizepräsidentin des Senats, Paola Taverna, und der ehemalige Staatssekretär, Mario Turco, sowie Alfonso Bonafede, der frühere Justizminister, eine wichtige Rolle spielen.
Nicht dabei in Contes Team ist offenbar die Römer Bürgermeisterin Virginia Raggi. Die Fünf-Sterne-Frau Raggi, „die schönste Bürgermeisterin der Welt“, wie sie genannt wurde, gilt als Versagerin und will im Herbst als Bürgermeisterin Roms wiedergewählt werden. Die Prognosen für ihre Wiederwahl sind eher ungünstig.
Unterstützung für Draghi
Wird es Conte gelingen, die Fünf Sterne wieder aufzurichten? Die italienische Parteienlandschaft wird zurzeit von fast drei gleichstarken Formationen dominiert: Stärkste Partei sind die postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni (20,6 Prozent). An zweiter Stelle folgt Matteo Salvinis Lega mit 20,3 Prozent, und dritte sind die Sozialdemokraten mit 19,0 Prozent. Die Sterne folgen an vierter Stelle mit 15,5 Prozent. (Umfrage: SWG für TG7, 2. August).
Für die Regierung Draghi hat die Wahl Contes zum Parteichef der Sterne vorerst keinen Einfluss. Conte stichelt zwar ständig gegen Draghi, will seine Regierung jedoch – zumindest vorerst – weiterhin unterstützen.
Contes Chancen sind intakt
Gespannt ist man nun auf die ersten Umfragen nach der Ernennung Contes zum Parteichef. Ideologisch gesehen war es bisher schwierig, die Cinque Stelle einzuordnen. Sie waren ein bisschen alles, links und rechts, laut und vor allem auch unkoordiniert und oft unfähig. Bekannt waren ihr Flirt mit Putin und ihre EU-kritische Haltung.
Wird Conte aus dieser Chaos-Truppe eine glaubwürdige politische Kraft bilden können? Die Chance dazu hat er. Vor allem auch deshalb, weil die Lega und die Fratelli d’Italia nicht nur arg populistisch politisieren, sondern auch arg nach rechts abgerutscht sind.