Kennen Sie Jane Austen? Haben Sie vielleicht sogar ihren Roman «Stolz und Vorurteil» gelesen, den die Britin im Alter von erst 20 Jahren geschrieben hat? Dann haben Sie am vergangenen Wochenende definitiv etwas verpasst: das Literaricum in Lech.
Dieses kleine, feine Festival stellt jeweils einen Klassiker der Weltliteratur ins Zentrum, um von ihm ausgehend seinen Echoraum in unserem zeitgenössischen Literaturschaffen zu erkunden. Unter dem Motto «Bildung und Unterhaltung auf hohem Niveau».
Lech-Tourismus setzt auf gehobene Literatur
Die Liste der Autorinnen und Autoren, die dieses Jahr ihre Teilnahme am Literaricum zugesagt hatten, tönte schon im voraus vielversprechend: Alice Schwarzer, Denis Scheck, Veronika Rossbacher, Michael Köhlmeier, Raoul Schrott, Martin Mosebach – um nur einige zu nennen. Nicola Steiner, die ehemalige Moderatorin des SF-Literaturclubs und neue Leiterin des Züricher Literaturhauses, hat sie alle ausgesucht und eingeladen; als Kuratorin des Festivals ist sie seit der Gründung für das Programm verantwortlich. Das Literaricum sei im Reigen der sommerlichen Literatur-Events etwas Besonderes, betont Nicola Steiner, und sie übertreibt dabei nicht. Ausgehend von einem Weltklassiker, der die Tonart vorgibt, wird jeweils in verschiedenen Lesungen und Gesprächen nach Spuren und Prägungen bis in die heutige Zeit gesucht. Sie interessiere die Frage «Wo kommt Literatur her und wohin führt sie uns in der Gegenwart?», fasst Nicola Steiner ihre Ambition zusammen.
Auf Schultern von Riesen
Oder anders formuliert: Alle Literaturschaffenden stehen bekanntlich auf den Schultern von Riesen und Riesinnen, die mit ihren Werken die folgenden Generationen unweigerlich beeinflusst haben. In welcher Art und Weise dieses Erbe in der heutigen Literatur aufscheint, genau dies wird während drei Tagen ausgelotet.
Es ist kein Zufall, dass das Literaricum ausgerechnet in Lech am Arlberg ins Leben gerufen worden ist. Denn hier hatte man schon vor einiger Zeit begriffen, dass niveauvolle Kulturevents sehr wohl das Potential haben, alte und neue Gäste anzulocken und dass sich eine Investition in diesem Bereich langfristig durchaus lohnt. Nicht zwingend in barer Münze, sondern als Beitrag zum gewünschten Alleinstellungs-Merkmal.
Aufbau einer Sommersaison
Zu verdanken ist diese Erkenntnis massgeblich dem CEO der «Lech Zürs Tourismus GmbH», die das Festival finanziell trägt und auch bereit ist, den Preis für die hohe Qualität zu bezahlen. Der Tiroler Hermann Fercher war 2011 in die Gemeinde geholt worden mit dem Auftrag, aus dem mondänen Wintersportort Lech auch ein attraktive Sommer-Destination zu machen. Denn bislang lief das Geschäft in den kalten Monaten derart gut, dass man sich Jahr für Jahr die ausgedehnten Sommerpausen leisten konnte; die meisten Hotels blieben also geschlossen; die Angestellten wurden nach Hause geschickt. Aber die Zeiten ändern sich bekanntlich, gutes Personal ist zunehmend rar, «und auch die Einheimischen wünschten für sich und ihre Kinder ein Dorf, in dem man ganzjährig wohnen und leben kann», sagt Hermann Fercher im Rückblick. Zudem sei es auch aus ökonomischer Sicht problematisch, im Frühling jeweils die ganzen Gastro-Betriebe runterzufahren, um sie dann mit viel Effort ein paar Monate später wieder in Gang zu bringen.
Markenkern Kunst und Kultur
Als ehemaliger Tourismus-Direktor von Kitzbühel hatte Hermann Fercher Erfahrung mit innovativem Marketing und machte sich an die Arbeit, Lech für den Sommer fit zu machen. Dieser gediegene Wintersportort – vom Renomée her vergleichbar mit Gstaad, Zermatt oder St. Moritz – spricht eine kaufkräftige, anspruchsvolle Klientele an, mit einem hohen Kunst-und Kulturverständnis.
Deshalb seien Kunst und Kultur auch ein wichtiger Teil des Lecher Markenkerns «Private Luxury Moments», sagt Fercher, «zumal vor Ort ja bereits das Philosophicum durchgeführt wird».
Die beiden Voralberger Schriftsteller und Denker Raoul Schrott und Michael Köhlmeier hatten diesen Anlass vor 26 Jahren gegründet; mittlerweile ist er zum Publikumsmagnet herangewachsen, der jeden September 600 Interessierte in den Alpenraum lockt.
Die Geburtststunde des Literaricums
Noch heute denkt Hermann Fercher gerne an jenen für ihn «historischen Abend» zurück, als er mit den geistigen Vätern des Philosophicums, Michael Köhlmeier und Raoul Schrott, Ideen austauschte, wie man kulturell den Sommer in Lech attraktiver machen könnte; die Herren seien sich einig gewesen, «wir brauchen ein Literaturfestival, das es in dieser Form so noch nicht gibt», und vor diesem Hintergrund sei in gemütlicher, weinseliger Runde das Grobkonzept des Literaricums entwickelt worden: Das Augenmerkt gilt hier nicht wie üblich den Neuerscheinungen, sondern einem Klassiker, der nicht nur aus literarischer, sondern auch aus philosophischer und gesellschaftskritischer Perspektive beleuchtet wird.
Auch die Besetzung einer Programmleiterin stand bereits von Anfang an fest: die innovative und kompetente «Literaturclub»-Moderatorin Nicola Steiner.
Irrungen und Wirrungen der Liebe
Nach dem Start 2021 mit dem Schelmenroman «Simplicius Simplicissimus» von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (erschienen 1668) und im Folgejahr mit der Erzählung «Bartleby, der Schreiber» von Hermann Melville (erschienen 1853) fiel nun also aktuell die Wahl auf «Stolz und Vorurteil» von Jane Austen. Die Britin hatte die erste Fassung mit 20 geschrieben; erschienen ist der Roman aber dann erst 17 Jahre später, 1813, – also nur vier Jahre vor ihrem Tod. Dieses Frühwerk ist bis heute das populärste Buch von Jane Austen geblieben: Rund 30 Millionen Mal wurde es verkauft, in rund 40 Sprachen übersetzt und mehrfach mit Hollywoodgrössen verfilmt; die Fassung mit Keira Knightley in der Hauptrolle brachte der Kinoindustrie Rekordeinnahmen. So gesehen nimmt «Stolz und Vorurteil» auch innerhalb der Weltklassiker eine besondere Stellung ein; die Geschichte über die «Irrungen und Wirrungen der Liebe» bleibt zweifellos ungebrochen aktuell.
Denis Scheck hielt Eröffnungsrede
Auch Denis Scheck, der bekannte deutsche Literaturkritiker mit eigener ARD-Fernsehsendung («Druckfrisch»), gestand in seiner unterhaltsamen Eröffnungsrede des Literaricums, ein «glühender Jane-Austen-Fan und -Verehrer zu sein»; allerdings sei die Britin auch eine Autorin, die mehr als andere die Leserschaft spalte. Mark Twain zum Beispiel soll einmal gesagt haben, wann immer er zu «Stolz und Vorurteil» greife, möchte er Jane Austen am liebsten wieder ausbuddeln «und ihr mit einem ihrer eigenen Schienbeine eins über den Schädel ziehen».
Die Reaktion des Amerikaners zeigt: Jane Austen lässt niemanden kalt. Bis heute nicht. Mit ihrer bissigen Gesellschaftskritik und ihrem gnadenlosen Blick in seelische Abgründe weckt sie unweigerlich Emotionen. Das macht sie auch rätselhaft und schwer fassbar in ihrer Qualität. Kein Wunder hat Virgina Woolf über ihre geschätzte Vorgängerin einmal gesagt: «Of all great writers, she is the most difficult to catch in the act of greatness.»
Elizabeth Benet und Fitzwilliam Darcy
Inhaltlich macht es uns Jane Austen schon einfacher: «Stolz und Vorurteil» handelt – gemäss Denis Scheck – «von zweien, die sich im ersten Anlauf verfehlen». Die beiden Hauptfiguren Elizabeth Benet und Fitzwilliam Darcy sind stolz im Charakter und verblendet durch Vorurteile. Erst allmählich erkennen sie, wie falsch ihre gegenseitige Einschätzung gewesen ist – und finden sich dann doch noch im zweiten Anlauf.
«Pride and Prejudice» ist aber weit mehr als eine romantische Liebesgeschichte. Der Roman zeigt die subtile Entwicklung eines wankelmütigen Teenagers zu einer starken Frau, die lernt, frei zu denken und für sich selbst einzustehen; und dies in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Konventionen alles bestimmen; im strengen britischen Klassensystem erst recht.
Ueberholte Rollenmuster
Auch wenn sich in dieser Hinsicht die Sitten stark gelockert haben, hat Jane Austens Werk im Kern noch keine Patina angesetzt. Bis heute gehört die Emanzipation einer Heldin zu den gängigen Themen auf dem Buchmarkt. Mehrere Lesungen und Gespräche am Literaricum drehten sich denn auch im engeren oder weiteren Sinne um die Vielfalt von Frauenbildern. Unter dem Motto «Autonomie und Zwang» sprach Nicola Steiner zum Beispiel mit der Kulturwissenschaftlerin und Sachbuchautorin Sarah Diehl über die Angst vieler Frauen, sich von überholten Rollenmustern zu befreien. Die Titel ihrer Bestseller weisen die Richtung: «Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich» und «Die Freiheit, allein zu sein. Eine Ermutigung»: Undogmatisch und erfrischend locker, ermuntert die Autorin die Leserinnen, mehr auf ihre eigene Stimme zu hören; Elisabeth Benet lässt grüssen …
Die Kraft des Humors
Im Mittelpunkt des Romans «Mon Chéri und unsere demolierten Seelen» – für den Verena Rossbacher letztes Jahr den Österreichischen Buchpreis gewonnen hatte – steht ebenfalls eine suchende Protagonistin, die mehr oder weniger erfolgreich durchs Leben stolpert. Bei der überaus amüsanten Vorlesung wurde für das Publikum aber noch ein anderes Erbe von Jane Austen spürbar: die wunderbare Wirksamkeit von Humor in einem literarischen Text. Auch die Britin hatte bereits im 19. Jahrhundert – mit den Mitteln der Ironie – eine faszinierende Doppelbödigkeit erzielt. Und damals sogar den Mut gehabt, die Geistlichkeit zu karikieren.
Folgen der Geschichtslosigkeit
Selbst zur Schlussveranstaltung mit Alice Schwarzer liess sich ohne weiteres der Bogen aus der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen: Die berühmteste Feministin Europas las Passagen aus ihrer eigenen Biografie vor, die erkennen liessen, woher der ungebrochene Gerechtigkeitssinn der streitbaren Publizistin herrührt. Im anschliessenden Austausch mit dem Publikum wurde sie auf den Backlash bei der jungen Frauengeneration angesprochen, die oft auffallend unpolitisch und narzisstisch unterwegs sei. Alice Schwarzer machte dafür «die Geschichtslosigkeit» stark mitverantwortlich. Wer ignoriere, welche Opfer ihre Mütter und Grossmütter im Kampf für Gleichberechtigung auf sich genommen haben, habe auch kein Verständnis für die Relevanz einer klaren feministischen Haltung.
Wo bleibt die Anknüpfung an den Klassiker?
Die Verbindung all dieser spannenden Gespräche mit dem Pioniergeist von Jane Austen waren augenscheinlich. Und doch hätte ich mir eine stärkere Anknüpfung von «Stolz und Vorurteil» an die heutige Literaturproduktion gewünscht. Was denkt Alice Schwarzer zum Beispiel von Jane Austen? Inwiefern erkennt Verena Rossbacher ihr Schreiben in der Komik einer Jane Austen wieder? Wo sieht der Büchner-Preisträger Martin Mosebach die Verdienste der Britin? Nicola Steiner hat Verständnis für dieses Bedürfnis, findet den Ansatz aber «zu pädagogisch und zu eng», zumal man in Lech ja kein «Jane Austen-Symposium» veranstalte; sie hoffe vielmehr, dass das Publikum diese Linien vom Klassiker zum zeitgenössischen Werk aus sich heraus ziehe, ohne explizit darauf hingewiesen zu werden.
Keine «künstliche Altertümlichkeit»
Mein persönliches Highlight am Literaricum bleibt im Rückblick trotzdem jene amüsante und informative Veranstaltung, die unmittelbar mit Jane Austen verknüpft war: Im Gespräch mit ihrem Verleger und Lektor Horst Lauinger stieg die mehrfach preisgekrönte Austen-Übersetzerin Andrea Ott «in den Maschinenraum der Textenstehung». Anhand von konkreten Beispielen aus ihrer deutschsprachigen Fassung von «Pride and Prejudice» zeigten die beiden auf, welche Herausforderungen bei einem zweihundert Jahre alten Klassiker zu bewältigen sind, und wie sich die Ansprüche ans Übersetzen – je nach Zeitgeist – mehrmals verändert haben. Während man etwa in den 50er-Jahren noch der Meinung war, ein Klassiker müsse zwingend auch nach Klassiker tönen, wird heute kategorisch auf eine «künstliche Altertümlichkeit» verzichtet. Vielmehr gilt als Richtschnur stets «die Intention der Autorin oder des Autors» und «die Nähe zum Original». Heute seien Kürzungen bei Klassikern verpönt, «wenn ein Text Ecken und Kanten hat, bleiben die drin; genauso jene Passagen, die streckenweise langweilig wirken».
Zum Schluss richtete Manesse-Verleger Horst Lauinger noch einen liebevollen Appell ans Publikum, doch vor allem auch den jungen Leuten die Werke von Jane Austen zu schenken, «denn sie sind wertvoll für Herzensbildung und Urteilsbildung». Und so gesehen können zweifellos auch die Erwachsenen noch von dieser Lektüre profitieren.
Fünf Fragen an Denis Scheck zu Jane Austen
Luzia Stettler: Was macht Jane Austen für Sie zur wichtigsten Autorin des 19. Jahrhunderts?
Denis Scheck: Stalin nannte mal Schriftsteller «Ingenieure der Seele», – wenn diese Bezeichnung für irgend jemanden überhaupt zutrifft, dann in meinen Augen tatsächlich für Jane Austen. Sie gibt uns wie kaum jemand sonst darüber Aufschluss, wie Menschen ticken; auch wie ich selber ticke. Das erkenne ich immer wieder beim Lesen ihrer Romane: welchen Irrungen und Wirrungen wir ausgeliefert sind, wenn wir unserem Herzen, unserem Verstand und unseren Gefühlen folgen. Die Lektüre von Jane Austen ist im Grunde genommen eine «éducation sentimentale» – eine Schule des Gefühls.
Wir wissen, dass Jane Austen das Publikum seit 200 Jahren spaltet; die einen bewundern sie grenzenlos; andere können mit ihren Werken rein gar nichts anfangen. Selbst Sie, als bekennender Austen-Fan, erwähnten in Ihrer Eröffnungsrede, dass diese Frau Sie zuweilen auch wütend und rasend macht. Warum?
Naja, schauen wir mal, was für nachhaltige historische Ereignisse während Jane Austen’s Lebenszeit zwischen 1775 bis 1817 stattgefunden haben: Die französische Revolution verändert die Welt; gekrönte Häupter verlieren ihre Köpfe, landen auf der Guillotine, ihr eigener König wird wahnsinnig, Napoleon fordert das Britische Empire heraus – auf Leben und Tod … und, und, und. Aber von all dem spürt man nichts in ihren Werken; es kommt mir vor, als lebte Jane Austen mit dem Rücken zu ihrer Zeit. Das macht mich zuweilen wütend. Ich gebe es zu. Allerdings ist sie psychologisch derart kompetent, dass sie ihren eigenen literarischen Kosmos erschaffen hat. So soll sie mal gesagt haben, dass ihr drei, vier Familien und deren Geschichten als künstlerisches Material genügen; «mehr braucht es nicht, um einen Roman unglaublich spannend zu machen.»
Jane Austen hat nie geheiratet, man weiss auch nichts von Liebesbeziehungen. Wie erklären Sie sich, dass eine alleinstehende Frau trotzdem derart differenziert über Liebe und über all die damit verbundenen Emotionen Bescheid weiss?
Jane Austen schreibt über die beiden Grundthemen der Literatur: Liebe und Tod. Aber wenn man genau hinschaut, schreibt sie hauptsächlich über Geld. Geld spielte für sie eine ganz zentrale Rolle: nicht nur in ihrer Literatur, sondern auch in ihrem Leben. Nach dem Tod ihres Vaters ist Jane Austen auf Gedeih und Verderb auf die Almosen und Zuwendungen ihrer Verwandtschaft angewiesen; und diese fliessen überaus spärlich. Die Schriftstellerin hat den sozialen Abstieg am eigenen Leib kennengelernt; sie hat erlebt, was es bedeutet, prekär zu leben; eigentlich fand ihr Leben insofern nur ein ganz kurzes Happyend, als dann doch noch einmal ein Mann um ihre Hand angehalten hat, der ihr einen materiell guten Alltag gewährleistet hätte; sie hat den Antrag am Abend angenommen, um ihn am nächsten Morgen doch wieder zurückzuweisen. Offenbar spürte sie, dass sie diesen Mann nicht wirklich liebte.
Aber es ist doch schon sehr erstaunlich, dass eine Frau derart genau weiss, wie unterschiedlich sich Liebe anfühlt und wie variabel auch die Motive sein können für eine Heirat – als eine, die das nie praktiziert hat.
Sie hat es vielleicht nicht praktiziert, aber sie hat es sich vorstellen können: im Roman «Stolz und Vorurteil» gibt es die Liebesheirat zwischen Elisabeth und Darcy, und es gibt eben auch die Heirat der Entfremdung - wie sie sie am Beispiel ihrer Freundin Charlotte erlebt, die von sich selber sagt: «Ich bin keine Romantikerin».
Für Elisabeth Benet kommt es einem Verrat gleich, den Heiratsantrag von einem Mann anzunehmen, den man gar nicht liebt. Aber für die Freundin war es die einzige Chance auf ein einigermassen erträgliches materielles Dasein. So gesehen schildert die Schriftstellerin schon beide Varianten von Liebe. Und vergessen wir nicht: Jane Austen ging mit hellwachen Augen durchs Leben und realisierte sehr wohl, was es bedeutete, wenn man innerhalb dieses privilegierten Standes leben wollte; und zu welchen Kompromissen man als Frau da bereit sein musste.
Sie haben Jane Austen als «Trösterin» bezeichnet und gesagt: wenn es in der Weltliteratur ein Heilmittel gegen Liebeskummer gibt, dann sind es die Romane von Jane Austen. Warum?
Ich halte nichts von Literatur-Apotheken; das ist eine Vereinnahmung der Kunst. Ich muss aber sagen, dass mir – jedenfalls als Leser – Jane Austen in wirklich extremen Lebenssituationen immer ein Beistand war, ein Trost, dass man sein eigenes Lebens-und Liebesunglück relativieren konnte am Glück oder Unglück der beteiligten Figuren – ähnlich übrigens wie Theodor Fontane. Und die Erkenntnis, «mein Gott, Du bist nicht der erste, dem so etwas geschieht und du wirst auch nicht der letzte sein, sondern vermutlich wird es seit Homers’ Zeiten so zugegangen sein», die bietet einem doch einen relativierenden Trost; den suche ich und finde ich gerne bei Jane Austen und bei Theodor Fontane.