White is Purity: Der Spruch stammt nicht von weissen Suprematisten oder Rechtsrockern, sondern aus der Werbung. Das Kosmetikunternehmen Nivea lancierte 2017 ein Deodorant mit dem Namen «Invisible for Black and White». Die Bezeichnung sollte andeuten, dass das Deo weder auf schwarzen noch weissen Textilien Farbrückstände hinterlässt – eben unsichtbar bleibt. Die Werbung auf Facebook zeigt eine Frau in makellos weisser Kleidung, die mit dem Rücken zum Betrachter auf einem Bett sitzt und über eine Vase mit weissen Orchideen zum Fenster hinausschaut. Darunter der Schriftzug: „WHITE IS PURITY“. Das war ein Lapsus. Die Wortwahl entfachte erwartungsgemäss einen Empörungssturm. Man kann dies natürlich auf den gallopierenden Schwachsinn der Correctness-Bigotterie zurückführen. Dennoch hätten die Werber wohl gut daran getan, die Wortkombination auf ihr toxisches Potenzial zu testen. Stellvertretend nehme ich sie zum Anlass eines kleinen historischen Rundgangs.
«Einen Äthiopier abreiben»
Ich beginne beim griechischen Fabeldichter Aphthonius im 4. Jahrhundert. In einer Geschichte erzählt er von einem Sklavenbesitzer, der günstig einen Äthiopier erworben hat. «Äthiopier» war der gebräuchliche Ausdruck für «Schwarzer»; vom Wortstamm her ein Mensch mit «verbranntem Gesicht». Der Sklavenbesitzer glaubte, die dunkle Hautfarbe rühre von der Unsauberkeit und Nachlässigkeit des Sklaven her, und er versuchte deshalb, die Pigmentierung seiner Neuanschaffung mit Seife und Bädern «wegzuwaschen». Aber erfolglos. Nicht nur wurde der unglückselige Sklave nicht bleicher, sondern erkrankte an den Reinigungsmassnahmen. Daher die sprichwörtliche Redewendung «einen Äthiopier weisswaschen (oder abreiben)», im Europa des 18. Jahrhunderts auch als «Mohrenwäsche» bekannt. In der Regel fungierte sie als Metapher für eine Art von Quadratur des Kreises, eine vergebliche Arbeit oder ein nutzloses Unterfangen: ein widerspenstiges Kind erziehen; einen rückfälligen Kriminellen sozialisieren; eine unreparierbare Uhr flicken. Man findet die Wendung schon in alttestamentarischen Äusserungen wie etwa in der rhetorischen Frage: «Ändert wohl ein Neger seine Hautfarbe, oder ein Leopard seine Flecken?» (Jeremia, 13,23).
Wie die Weissen weiss wurden
Überhaupt ist das so eine kuriose Sache mit «weiss». Im 16. Jahrhundert, nachdem die Europäer auf ihren Seefahrten viele Hautfarben kennengelernt hatten, fehlte ihnen ein Farbbegriff für sich selbst. Häufig benutzten sie «weiss» zur Kennzeichnung von Nicht-Europäern: von Persern, amerikanischen Ureinwohnern, Asiaten – um sie von den Afrikanern abzuheben. Kolumbus beschrieb zum Beispiel die Einwohner Trinidads als «Weisse», mit «langen Haaren», und diese «von gelber Färbung». Entscheidend war aber nicht die natürliche, sondern die kulturelle und politische Pigmetierung der Haut. In den Kolonien der Neuen Welt, wo europäische Siedler neben afrikanische Sklaven lebten, brauchte die Gesetzgebung eine rechtliche Unterscheidung – sprich: Diskriminierung. Afrikaner nannte man «Negros», für die Europäer gab es keinen Begriff. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts versuchte man es mit «Christ» oder «Engländer». Aber «Christ» war zu umfassend – viele Afrikaner hatten sich zum Christentum bekehrt – und «Engländer» war zu – ja: zu eng, lebten in den Kolonien doch auch Schotten, Iren, Dänen, Holländer. Das Pigment «weiss» empfahl sich da als probates und opportunes Label.
Taxonomisch zementiert wurde diese Farbgebung dann in Carl von Linnés «System der Natur», das unsensibel für Abstufungen die Farbkästen bereithielt, in die man hineingehörte: amerikanische Indigene sind rot («rufus»), Asiaten sind gelb («luridus»), Afrikaner sind schwarz («niger») und Europäer weiss («albus»). Damit war nicht nur die Basis für die chromatische Stereotypisierung geschaffen, sondern ebenfalls für die Hierarchisierung. Bei Kant steht weiss zuoberst, es folgen gelb, schwarz und rot.
Ursprünglich sind wir alle weiss
Natürlich hat die Genetik solche Farbtheorien längst über Bord geworfen. Aber Stereotypen kommt man nicht so leicht wissenschaftlich bei. Sie wurzeln tief in mythologischem Urgrund. Und einer dieser Mythen ist die ursprüngliche Reinheit, sprich: Weissheit des Menschen. Dunkel wird er aufgrund kontingenter geographischer und klimatischer Gegebenheiten – wie eben der sprichwörtliche Äthiopier. Die ganze Anthropologie der Aufklärung war gebannt von einem vermeintlichen Paradox: Viele Menschen sind nicht weiss, aber alle Menschen sollten doch «an sich» weiss sein. Philosophen, Naturforscher, Ärzte suchten die – aus heutiger Sicht – hahnebüchensten Erklärungen dafür. Comte de Buffon, der grosse Naturhistoriker, stellte die Hypothese auf, der «schönste, weisseste, wohlgeformteste» Menschentyp stamme aus einer Zone, die sich von Nordspanien über das Mittelmeer, den Kaukasus bis Nordindien erstreckt. Als die Menschen sich ausserhalb dieser Zone niederliessen, begannen sie auch einzudunkeln. Der «Keim der Schwärze» übertrug sich auf die folgenden Generationen.
Solche Phantasmen des pigmentierten Niedergangs erfreuten sich grosser Beliebtheit unter «aufgeklärten» Anthropologen. Sie führten auch folgerichtig zur Pathologisierung. Der amerikanische Arzt Benjamin Rush – ansonsten ein aufgeschlossener progressiver Geist – beschrieb 1799 die schwarze Hautfarbe als Erbkrankheit (leprösen Ursprungs). Daraus leitete Rush eine «humanitäre» Haltung gegenüber Schwarzen ab: Die Weissen «sollten die Schwarzen nicht tyrannisieren, ihrer Krankheit wegen sollten diese eine doppelte Portion Humanität erhalten. Trotzdem sollten sich Weisse nicht mit ihnen vermählen, weil sonst die Nachkommenschaft mit der Krankheit infiziert würde (…) es müssen Versuche unternommen werden, diese Krankheit zu heilen».
Hygienischer Kolonialismus
Der Historiker Georges Vigarello weist in seiner «Geschichte der Körperhygiene» darauf hin, dass im 17. und 18. Jahrhundert die Europäer ziemlich schmutzige Menschen waren – im Vergleich etwa zu Asiaten, Polynesiern oder Afrikanern. Wasser und Baden galten sogar unter der Ärzteschaft als körperlich schädlich. Die wohlhabenderen Schichten bekundeten ihre «Sauberkeit» durch das pudernde «Weissen» ihrer Gesichter oder Haare und durch das Tragen weisser Unterwäsche. Der französische Märchenautor Charles Perrault prahlte: «Wir baden nicht, aber die Sauberkeit unserer Leintücher und ihre Überfülle sind mehr wert als alle Bäder der Welt.»
Das änderte sich mit dem Fortschritt der Hygiene. Der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts erhob auch die weisse Reinlichkeit zur Norm und imperialen Aufgabe. Das Mittel: Seife. Seife macht aus Schwarzen nahezu Weisse. In einer Reklame für die Seifenmarke Pears aus den 1880er Jahren sieht man zwei Bilder. Auf dem ersten sitzt ein schwarzer Junge in der Badewanne, neben ihm steht ein weisser Junge und hält ihm ein Stück Seife hin. Auf dem zweiten Bild ist der schwarze Junge vom Kopf abwärts weiss geworden, wie sein Kumpan, der ihm als Bestätigung der erfolgreichen «Kur» einen Spiegel vorhält. Die Mohrenwäsche ist nun doch endlich (fast) gelungen.
Wir sind alle Persons of Colour
Womit wir auf unserer Tour wieder zu Nivea zurückgekehrt sind. Mensch und Pigment gehören zusammen. Beschreibt man einen Menschen, beschreibt man immer auch seine Hautfarbe. Farben sind nie neutral, sondern «intrinsisch» mit Bedeutung geladen, seit den Höhlenmalereien. Wie der Kunsthistoriker James Fox, aus dessen schönem und lehrreichem Buch die hier angeführten Beispiele stammen, schreibt: «Farbe ist ein Pigment unserer Imagination, mit dem wir die Welt überall bemalen.» [1] In diesem Sinn sind wir im Grunde alle Persons of Colour. Eine kritische Anthropologie der Pigmentierung sollte uns allerdings auch lehren, wie viel Unheil, Unsinn und Ungerechtigkeit wir mit dieser kolorierenden Imagination anrichten können. Auch das ist Wokeness. Und sie ist nicht nur ein Appell an Weisse.
[1] James Fox: The World According to Colour. A Cultural History; Allan Lane, 2021.