Russische Politiker und Medien haben die kritischen Stimme des Westens in der Krim-Causa mit grossem Unverständnis und einer gewissen Portion Spott und Hohn aufgenommen. Russische Medien verweisen tagtäglich auf die Heuchelei des Westens, welcher geschlossen das Kosovo in seiner Unabhängigkeit im Jahr 2008 unterstützte.
Falsche Vergleiche
Weiter verweist Russland auf das bevorstehende Referendum in Schottland. Dieses soll den Schotten die Möglichkeit geben, über ihre Zukunft selber zu entscheiden. Die russische Föderation zieht nun allzu gerne diese beiden Beispiele heran, um das Vorgehen auf der Krim zu legitimieren. „Wie kommt es, dass niemand das bevorstehende schottische Unabhängigkeitsreferemdum, das im September stattfinden soll, zum vornherein für illegitim erklärt?" fragte die Vorsitzenden des russischen Föderationsrates Valentina Matwijenko.
In den russischen Nachrichtensendungen ist der gleiche Tenor zu vermerken. „Das Kosovo hat das Recht auf Selbstbestimmung, aber die Krim nicht“, ist einer der zentralen sarkastischen Sätze, welcher tagtäglich im russischen Staatsfernsehen zu hören ist. Diese Vergleiche sind nicht überraschend, aber sie hinken.
Das schottische Referendum
Das Schottische Referendum basiert auf einer Reihe von demokratisch gefassten Beschlüssen, die nun im diesjährigen Referendum zur Geltung kommen, damit Schottland möglicherweise das Vereinigte Königreich verlässt. Im Jahr 2011 erlangte die Scottish National Party (SNP), die absolute Mehrheit im Parlament des Landes. Sie kämpft für die Unabhängigkeit Schottlands.
Das schottische Parlament genehmigte daraufhin Rechtsvorschriften, wonach dann ein Referendum über die Sezession folgen soll. Jene Volksabstimmung wurde im Jahr 2012 durch kooperative Verhandlungen zwischen den Ministern von der schottischen und britischen Regierung besiegelt. In anderen Worten, rechtlich tragfähige Gremien haben auf der lokalen (Schottland) und nationalen (United Kingdom) Ebene sich gemeinschaftlich geeinigt. Die Referendumsfrage ist hierbei einfach: Soll Schottland ein Teil des Vereinigten Königreichs bleiben oder unabhängig werden?
Die Unabhängigkeit Kosovos
Als sich das Kosovo im Jahre 2008 als unabhängiger und eigenständiger Staat erklärte, war Russland empört. Moskau behauptete, es gäbe eine Vereinbarung, dass die 1999 unter UN-Kontrolle gestellten Gebiete unter Kontrolle der Vereinten Nationen bleiben sollten, und zwar bis eine Verhandlungslösung erreicht werden könne. Ein unabhängiger kosovarischer Staat stellte für Russland nie eine Verhandlungslösung dar.
Im Vergleich zu der Position vor sechs Jahren scheint Russland seine Meinung in puncto Sezessionen von Autonomiegebieten geändert zu haben. Während das Beispiel Kosovo besser mit der Krim-Krise zu vergleichen ist, als das Beispiel Schottland, gibt es dennoch eine Reihe wichtiger Faktoren, die die Spezifität des Kosovos aufzeigen.
Brutales Vorgehen gegen ethnische Albaner in Kosovo
Moskau behauptet hartnäckig, dass ethnische Russen auf der Krim die Verfolgung durch die ukrainische Mehrheit drohe, insbesondere durch den stärker werdenden nationalistischen Einfluss in Kiew.
Für ein konkrete und akute Bedrohung der russischen Minderheit gibt es aber bis dato keine Hinweise. Das gleiche könnte für das Kosovo damals nicht gesagt werden. Ein brutales Vorgehen gegen ethnische Albaner von jugoslawischen Streitkräften im Jahr 1999 führte zu den dreimonatigen NATO-Bombardements gegen Serbien. Sie waren von Russland strikt verurteilt worden. Der damalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic, der rücksichtslos die ethnischen Spaltungen in der Region in den 1990er Jahren forciert hatte, war durch den westlichen Druck gezwungen, sich einem internationalen Friedensplan zu beugen.
Keine Bedrohung der Krim-Russen
90% der Bevölkerung des Kosovos sind ethnische Albanern, deren Existenz massiv durch die Belgrader Machtpolitik der neunziger Jahre bedroht war. Fast ein Jahrzehnt nach dem brutalen ethnischen Konflikt stimmte das demokratisch gewählte Parlament des Kosovo offiziell für die Unabhängigkeit. Dieser Sachverhalt steht im Kontrast zu der aktuellen Situation auf der Krim.
Die Krim wird seit Ende Februar von mindestens 14‘000 russischen Soldaten besetzt. Nun ist Sergej Aksjonow Chef der Regionalregierung, der den Anschluss an Russland massiv vorantreibt. Jener Aksjonow, auch „Goblin“ genannt, war vorher ein unbedeutender pro-russischer Politiker, dessen separatistische Partei nur 4 Prozent der Stimmen bei den letzten Wahlen auf der Krim erhielt. Ethnische Russen bilden die Mehrheit der Bevölkerung der Krim, ethnische Ukrainer und Krimtataren machen zusammen fast 40 Prozent der restlichen Bevölkerung aus. Aufgrund dieser ethnischen Dominanz, scheinen die Russen nicht gefährdet zu sein. Berechtigten Anlass zur Sorge können dagegen die Krim-Tataren haben. Hunderttausende jener Minderheit wurden aus der Region von Josef Stalin 1944 deportiert.
Kosovo - ein Vorwand
Es ist weniger als ein Monat vergangen, zwischen dem Kiewer Regierungswechsel, der Unabhängigkeitserklärung der Krim und der Volksabstimmung über die mögliche Vereinigung mit Russland. Vergleiche mit dem Kosovo legitimieren zwar auf den ersten Blick das Vorgehen Russlands. Die Blitzgeschwindigkeit mit der der Anschluss der Krim an Russland vollzogen wird, zeigt jedoch, dass der Vergleich mit dem Kosovo hinkt und dass er nur ein Vorwand zur Annexion ist.