Am Dienstag, 26. Mai, wurde das Auto von Ministerpräsident Abdulla al-Thinni von Unbekannten beschossen. Der Fahrer wurde verletzt. Der Regierungschef kam unversehrt davon.
Verübt wurde der Anschlag kurz nachdem teils bewaffnete Demonstranten versucht hatten, das Parlament von Tobruk zu stürmen, was aber die Sicherheitskräfte verhinderten. Die demonstrierende Menge verlangte die Absetzung al-Thinnis.
Armeechef gegen Regierungschef
Vor dem Parlamentsgebäude wurde ein Auto in Brand gesteckt. Die Sitzung des Parlaments wurde aus Sicherheitsgründen abgebrochen. Zuvor hatten einige Parlamentarier dem Ministerpräsidenten vorgeworfen, die Finanzen schlecht zu verwalten und eine wenig effiziente Politik zu führen.
Zwischen Ministerpräsident al-Thinni und General Chalifa Haftar, dem Oberkommandanten des Heeres von Tobruk, herrscht seit längerem Streit. Nach Aussagen von Diplomaten, die das Geschehen verfolgen, sollen die beiden seit dem vergangenen Januar nicht mehr miteinander gesprochen haben.
Missglückte Absetzung al-Thinnis
Libyen verfügt über zwei Regierungen: die international anerkannte in Tobruk und die nicht anerkannte in Tripolis.
Al-Thinni ist, wie auch Haftar, ein ehemaliger General der libyschen Armee. Beide verfügen im Parlament über eine Hausmacht. Schon mehrmals versuchten Haftar-treue Parlamentarier, al-Thinni abzusetzen, was jedesmal misslang.
Vorwürfe an General Haftar
Haftar führt seine eigene "Aussenpolitik", indem er persönlich Verbindungen mit Kairo und Abu Dhabi unterhält. Dort sucht er in erster Linie Unterstützung für "seine" Armee, trotz des bestehenden Waffenembargos des Sicherheitsrates.
Nach den Zwischenfällen vom Dienstag vor dem Parlament richtet ein Sicherheitsberater al-Thinnis, Ahmed Mohee, schwere Vorwürfe an die Adresse General Haftars. Er, Ahmed Mohee und seine Mitarbeiter hätten Haftar ersucht, für die Sicherheit des Parlaments zu sorgen, als dieses angegriffen wurde. Doch Haftar sei nicht zu erreichen gewesen.
Mögliche Täter
All dies muss nicht bedeuten, dass Haftar oder seine Parteifreunde hinter dem Mordanschlag auf al-Thinni stehen. Als mögliche Täter kommen auch die gewalttätigen Islamisten von Derna oder Bengasi in Betracht, gegen welche die Regierung von Tobruk kämpft.
Nicht ausgeschlossen ist auch, dass die Täter im Auftrag der Gegenregierung in Tripolis handelten.
Internationale Anerkennung auf Spiel gesetzt
Die Ereignisse vor dem Parlament in Tobruk werden unvermeidlich das Verhältnis zwischen dem Ministerpräsidenten und seinem Truppenkommandanten weiter belasten.
Der grösste Trumpf der Regierung in Tobruk ist, dass sie – im Gegensatz zur Regierung in Tripolis – international anerkannt ist. Würde General Haftar gegen seine Tobruk-Regierung putschen, würde die internationale Anerkennung aufs Spiel gesetzt.
Selbst wenn der Mordanschlag keine weiteren Folgen hat: Er macht deutlich, dass die Tobruk-Regierung nicht so fest im Sattel sitzt und dass ein tiefer Zwist zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Armeeführer besteht.