„Wäre Federica ein Mann“, sagt eine Journalistin der Römer Zeitung La Repubblica, „so würde man sagen, toll, endlich eine neue, unverbrauchte Kraft.“ Da sie eine Frau ist, sagt man, „wie schrecklich unerfahren sie doch ist“.
Federica Mogherini, die 41-jährige italienische Aussenministerin, war am Samstag nach langem Hin und Her in Brüssel zur EU-„Aussenministerin“ erkoren worden.
Vor einem halben Jahr kannte sie auch in Italien kaum jemand. Jetzt gehört sie zum Spitzenteam in der EU-Führungsriege. Sie ist nicht nur EU-Aussenbeauftragte, sie ist zugleich auch Stellvertreterin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Eine Karriere wie eine Rakete.
Am Anfang sah es schlecht aus
Federica Mogherini, studierte Politikwissenschaftlerin, die perfekt Französisch und gut Englisch spricht, folgt auf die blasse Britin Catherine Ashton, die der EU wenig Lorbeeren eintrug.
Auch in der EU – und vor allem in der EU – werden Spitzenämter nicht nur nach Fähigkeiten vergeben. Eine entscheidende Rolle spielt der Proporz. Die Posten müssen auf den Osten und den Westen verteilt werden, auf den Süden und den Norden, auf die Linken und die Rechten. Und natürlich braucht es einige Frauen.
Der stürmische italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hatte die Sozialdemokratin Federica Mogherini ins Spiel gebracht. Am Anfang sah es schlecht aus für sie. Die Polen und die Balten wehrten sich gegen sie, weil sie angeblich Russland-freundlich eingestellt sei. Auch die Deutschen waren nicht begeistert.
Aussenpolitisch spielte Italien nie eine prägende Rolle
Schliesslich fand man einen Kompromiss. Da der liberal-konservative Pole Donald Tusk nun EU-Ratspräsident wird, schluckte Osteuropa auch die Italienerin.
Die Wahl Federica Mogherinis ist Balsam auf die geschundene italienische Seele. Die Italiener wissen, dass sie im Ausland eher belächelt denn ernst genommen werden. Italien spielte im EU-Europa nie eine prägende Rolle.
Jetzt jubeln nicht nur Renzi, sondern auch die italienischen Medien. „Italien leitet die europäische Aussenpolitik“ lautet der Tenor. Italien werde wieder wichtig, neben Draghi jetzt auch Federica Mogherini. Der im Belpaese wenig geliebten Angela Merkel werde jetzt eine kraftvolle, junge Frau entgegengesetzt, eine neue Generation.
Ein Spielball der EU-Elefanten?
Kraftvoll? Bevor man Federica Mogherini zerzaust, wie dies bereits einige Medien tun, sollte man ihr vielleicht eine Chance geben.
Ihr grösstes Handicap ist sicher ihre Unerfahrenheit. Erst seit dem 22. Februar ist sie italienische Aussenministerin. Jetzt muss sie ein 800 Millionen-Jahresbudget verwalten und 3‘400 EU-Angestellte führen.
Böse Zungen behaupten, Mogherini sei gerade deshalb gewählt worden, weil sie unerfahren sei und sich deshalb als Spielball der EU-Elefanten eigne. So wie sich Catherine Ashton eignete. Doch aussenpolitisch unbefleckt ist Mogherini keineswegs.
Riesige Herausforderungen
Sie gilt als zäh und fleissig. Selbst das wirft man ihr heute vor. Sie habe wenig eigene Visionen, vieles, was sie verbreite, sei angelesen und kopiert.
Kann sie sich gegenüber den Starken dieser Welt behaupten oder gar durchsetzen? Überzeugen muss sie ja nicht nur die Russen und die Amerikaner, sondern zuerst einmal die EU-Staats- und Regierungschefs. Denn vor allem sie bestimmen die EU-Aussenpolitik. In der kommenden Woche will die EU über härtere Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland entscheiden; Mogherini ist dann noch nicht im Amt.
Mogherini muss als „Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Aussen- und Sicherheitspolitik“, wie das Amt offiziell heisst, noch vom EU-Parlament bestätigt werden. Wird sie das, steht sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit vor riesigen Herausforderungen.
Hilfe für die Kurden
Wie verhält sich die EU gegenüber Putins Provokationen in der Ostukraine? Ist Mogherini dem mit allen Wassern gewaschenen russischen Aussenminister Lawrow gewachsen? Nach anfänglichem Zögern setzte sie sich in den letzten Wochen für eine härtere Gangart gegenüber Russland ein.
Und der Nahe Osten? Italien war das erste Land, das den kurdischen Peshmerga-Kämpfern Waffen im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) lieferte. Zwar sind es ausgediente, aber immer noch einsatzfähige Waffen. Mutig behauptete Mogherini, Italien sei der einzige Staat, der der IS-Terrormiliz konkret die Stirn biete. Jetzt zittert Italien, weil es im eigenen Land Racheakte in Form von Attentaten befürchtet.
Und der „Islamische Staat“?
Stark engagierte sich Federica Mogherini als italienische Aussenministerin für einen Waffenstillstand im Gaza-Krieg und reiste in den Nahen Osten. Zu ihren Prioritäten gehörte auch der Kampf gegen das Ebola-Virus.
Welchen Kurs als EU-Aussenministerin wird Mogherini gegenüber dem „Islamischen Staat“ steuern? Lässt man den IS gewähren mit dem Argument, das geht uns alles nichts an? Das könnte auch Europa teuer zu stehen kommen. Die europäischen Staaten haben wenig Lust, in einen Krieg im fernen Nahen Osten gezogen zu werden. Hat Mogherini die Kraft, die 28 EU-Staaten zu einem Engagement zu bewegen, wie sie angedeutet hat?
Wichtig für die Schweiz
Mogherini wird auch Einfluss auf die Beziehungen der EU zur Schweiz haben – direkt oder indirekt. Unter anderem muss die Personenfreizügigkeit verhandelt werden.
Bisher führte der irische EU-Sonderbeauftragte David O’Sullivan die Gespräche mit der Schweiz. O’Sullivan, der als eher Schweiz-freundlich gilt, wird den Posten Ende Jahr verlassen. Wem wird Mogherini das Dossier anvertrauen? Diese Frage ist für die Schweiz von grosser Bedeutung.
Bei 98 Prozent aller Sitzungen dabei
Federica Mogherini wurde am 16. Juni 1973 in Rom geboren. Wird sie vom Europäischen Parlament bestätigt, wird sie ihr neues Amt am 1. November antreten. Sie ist die Tochter des Filmregisseurs Flavio Mogherini, der über hundert Filme realisierte und unter anderem mit Pier Paolo Pasolini zusammenarbeitete.
Federica Mogherini studierte an der Römer Universität La Sapienza, wo sie mit einem Glanzergebnis den Doktortitel erwarb. Sie ist verheiratet und hat eine neunjährige und eine fünfjährige Tochter.
Früh engagierte sie sich bei der gemässigten Linken. Und schon sehr früh beschäftigte sie sich mit Aussenpolitik, vor allem mit dem Irak, Afghanistan und dem Friedensprozess im Nahen Osten. 2008 wurde sie in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt. Seither sass sie in mehreren Kommissionen, die sich mit aussenpolitischen Fragen befassen. Vor gut einem Jahr wurde sie Vorsitzende der italienischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Dass sie sehr engagiert und sehr fleissig ist, zeigt ihre Präsenz im Parlament: Bei 98,2 Prozent aller Sitzungen war sie dabei – ein Spitzenwert.
Die Wahl Mogherinis, des „neuen Gesichts der EU“, ist vor allem für Matteo Renzi innenpolitisch von Bedeutung. Er kann den Italienern zeigen, dass er in Europa gehört wird. Doch längerfristig wird ihm das wenig bringen. Das einzige, was in Italien zählt, sind die Wirtschaftszahlen. Und die sind schlecht.