Zu den endemischen Konfliktherden Afrikas wie der Demokratischen Republik Kongo, der Darfur-Region, Somalia und den Norden von Mali haben sich zum Jahreswechsel zwei weitere „gescheiterte Staaten“ gesellt: der Südsudan und die Zentralafrikanische Republik.
Kein Waffenstillstand
Im erst 2012 unabhängig gewordenen Südsudan befinden sich nach den Angaben der UNO derzeit 230.000 Menschen auf der Flucht vor den Kämpfen zwischen den grossen Volksgruppen der Dinka und der Nuer. Deren Anführer, Staatschef Salva Kiir und Vizepräsident Riek Machar, ringen ums Öl und um die Macht. Beide haben ihre eigenen Streitkräfte. Laut der UNO-Mission im Südsudan wurden bisher weit über tausend Menschen getötet. Die „International Crisis Group“ spricht sogar von 10.000 Todesopfern. Für die nächsten drei Monate benötigen die humanitären Hilfswerke zusätzliche 166 Millionen Dollar, um 628.000 vom Bürgerkrieg in Mitleidenschaft gezogene Zivilisten mit Nahrung, Wasser und Unterkünften zu versorgen.
Zum Schutz der Zivilbevölkerung im Südsudan hat der Weltsicherheitsrat Ende Dezember eine Aufstockung der Blauhelmtruppe von 7000 auf 12.500 Mann beschlossen. Doch ein Ende des Blutvergiessens ist nicht in Sicht. Die Kriegsparteien konnten sich bei Verhandlungen in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba vor einer Woche nicht auf einen Waffenstillstand einigen.
Blutige Abrechnungen
In der Zentralafrikanischen Republik hat eine französische Militärintervention die Kämpfe zwischen islamischen Freischärlern („Séléka“) und christlichen Milizen („Anti-Balaka“) eingedämmt. Der Anführer der Séléka, Michel Djotodia, der im März vergangenen Jahres Staatschef François Bozizé stürzte und sich selbst auf den Präsidentenstuhl hievte, trat am Freitag auf Druck Frankreichs und des Tschads zurück und flüchtete nach Bénin, wo seine Familie residiert. Er hinterliess fast eine Million entwurzelter Menschen, von denen 86.400 ins benachbarte Ausland flohen. 2,2 Millionen, rund die Hälfte der Gesamtbevölkerung, sind jetzt von internationaler Hilfe abhängig.
Die 135 Abgeordneten des provisorischen Parlaments sollen nunmehr innert zwei Wochen einen neuen Präsidenten wählen. Aber das Land ist noch nicht befriedet. Die französische Militäroperation „Sangaris“ – benannt nach einer in Zentralafrika heimischen Schmetterlingsart – kontrolliert bloss den Flughafensektor der Hauptstadt Bangui, in den 100.000 Menschen geflüchtet sind. In anderen Gegenden gehen die blutigen Abrechnungen zwischen Christen und Muslimen weiter, begleitet von systematischen Plünderungen.
Die Massaker von "Boko Haram"
Die Christen, die 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, üben jetzt Rache für die Übergriffe der muslimischen Freischärler, die nach dem Putsch Djotodias die Regierungstruppen stellten. Die in die Defensive gedrängten „Séléka“ widersetzen sich aus verständlichen Gründen ihrer Entwaffnung. Umstritten ist die Rolle der 1200 Soldaten des Tschad, die gemeinsam mit den Franzosen für Ordnung sorgen sollen. Die Christen werfen ihnen vor, für die Muslime Partei zu ergreifen, was die tschadische Regierung vehement bestreitet.
Neben dem Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik ist der Norden Nigerias zu einem neuen Kriegsschauplatz geworden. Dort begeht eine Islamsekte namens „Boko Haram“, die sich an den afghanischen Taliban orientiert, laufend Massaker an Christen und gemässigten Muslimen. In den vergangenen Monaten hat „Boko Haram“ ihre Aktionen auf die Nachbarstaaten Niger und Kamerun ausgedehnt.
Fatale Grenzziehungen
Die neuen bewaffneten Auseinandersetzungen bleiben vorerst regional begrenzt. Ihre Ursachen sind vielfältig. Am Anfang stand die Aufteilung Afrikas durch die Kolonialmächte mit dem Lineal auf der Landkarte, ohne Rücksicht auf die Lebensräume der verschiedenen einheimischen Völker. Die Ausbeutung der Ressourcen ging nach der „Entkolonialisierung“ weiter. Sowohl die neuen Eliten wie die ausländischen Drahtzieher nutzen die ethnischen und religiösen Rivalitäten aus, um ihre Herrschaft zu festigen. Seit einiger Zeit heizen evangelikale Kirchen aus den USA und von Saudi-Arabien bezahlte islamistische Hassprediger die Konflikte an.
Die 1600 französischen Soldaten, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung in die Zentralafrikanischen Republik abkommandiert wurden, mussten nicht eigens aus der Metropole eingeflogen werden. Sie waren zuvor bei der „Opération Serval“ (Wildkatze) in Mali im Einsatz, wo sie gemeinsam mit tschadischen Truppen die Tuareg-Rebellen und die mit Al-Kaida vernetzten Dschihadisten vertrieben.
Europäische Zurückhaltung
François Hollande erntete für die Entsendung von Truppen nach Mali viel Beifall. Die Mehrheit der französischen Bevölkerung (63 Prozent) begrüsste die Intervention. Das militärische Eingreifen in der Zentralafrikanischen Republik stösst hingegen auf breite Ablehnung. Nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop sind bloss neun Prozent der Franzosen vom Sinn der Operation überzeugt. 59 Prozent können darin keinen Nutzen erkennen.
Angesichts der finanziellen und politischen Kosten des Abenteuers mit ungewissem Ausgang sucht die französische Regierung Unterstützung auf dem internationalen Parkett. Ihr Vorschlag, die „Stabilisierungsmission“ der Afrikanischen Union in der Zentralafrikanischen Republik (Misca) in eine UNO-Friedensoperation umzuwandeln, wurde zwar am 5. Dezember vom Weltsicherheitsrat einstimmig angenommen. Doch bei der Umsetzung der Resolution halten sich die USA und massgebliche EU-Staaten zurück.
Unter den Europäern herrscht die Meinung vor, dass die EU in Zentralafrika nichts zu suchen hat und die Franzosen dort vorrangig ihre wirtschaftlichen Interessen verteidigen. Die Militärhilfe Deutschlands beschränkt sich auf symbolische Gesten. Den USA geht es vor allem darum, weitere finanzielle Verpflichtungen zu vermeiden. Nach dem festgelegten Beitragsschlüssel trägt Washington 28,4 Prozent der Kosten von Blauhelmeinsätzen. An zweiter Stelle folgt Japan mit fast elf Prozent.
Zahlungsmüdigkeit
Derzeit stehen weltweit bereits 120.000 Soldaten im Dienst der UNO. Von den 16 Friedensoperationen in vier Kontinenten finden acht in Afrika statt. Die Gesamtkosten belaufen sich im laufenden Haushaltsjahr auf 7,54 Milliarden Dollar. Doch der Schuldenberg der Beitragszahler hat die Höhe von 3,32 Milliarden Dollar erreicht. Woher soll also das Geld für zusätzliche Blauhelmeinsätze kommen? Der Zahlungsmüdigkeit ihrer Mitglieder stellt die UNO die Rechnung entgegen, dass die Kosten der Friedenseinsätze weniger als ein halbes Prozent der Weltrüstungsausgaben (1753 Milliarden Dollar) ausmachen.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon fordert eine „vollständische und rasche Wiederherstellung der Institutionen“ in Zentralafrika. Er drängt vor allem die Afrikanische Union, endlich die versprochenen 6000 Soldaten zu entsenden. Der Sicherheitsrat hat Ban Ki-Moon beauftragt, bis Anfang März einen Bericht über die mögliche Umwandlung der Misca in eine UNO-Operation zu liefern. Nach Ansicht von Diplomaten wird aber der Sommer ins Land ziehen, bis dieser Plan Gestalt annimmt. Eile sieht anders aus.
Ein Grund für dieses Spiel auf Zeit ist der mangelnde Druck der Öffentlichkeit. Die Bürger der wohlhabenden Länder sind von den ständigen Berichten über Massenelend und Gewalt in Afrika abgestumpft. Alle Medienschaffenden kennen den zynischen Spruch: Zehn Tote sind eine Tragödie – zehntausend Tote eine Statistik.