In einem Schuhgeschäft in Brescia erhält man 30 Prozent Rabatt, wenn man an der Abstimmung teilnimmt. Auf der Insel Elba wird ein Hotelzimmer für den Spottpreis von 15 Euro angeboten – vorausgesetzt man stimmt gegen Berlusconi.
Die Italiener zeigen einmal mehr, dass sie Humor, Kreativität und Erfindungsgeist haben. Und dass sie sich – trotz allen Unkenrufen vom zersplitterten Land – zusammenraufen können. Geschäftsleute von Nord bis Süd haben sich einer originellen Anti-Berlusconi-Bewegung angeschlossen. Sie verteilen Geschenke und offerieren Rabatte – an jene, die an Pfingsten an der Volksabstimmung teilnehmen.
In Porto Empedocle auf Sizilien erhält man in mehreren Geschäften kleine Schmuckstücke als Geschenk. Auf Elba kann man sich sogar gratis tätowieren lassen. In einer Buchhandlung in Lecce in Apulien gibt es Rabatt auf Comic-Bücher. In neapolitanischen Bars wird ein Gratis-Aperitif serviert. Vorausgesetzt, man hat einen abgestempelten Abstimmungsausweis.
Neuer Mut der Anti-Berlusconi-Kräfte
Nach Berlusconis vernichtenden Wahlniederlagen in Mailand und Neapel schöpfen seine Gegner wieder Mut. Verschenkt werden da und dort auch DVD. Sogar Gratis-Massagen gibt es, Astrologie-Kurse oder Behandlungen im Schönheitssalon werden kostenlos angeboten. Badehäuschen am Meer sind da und dort gratis. Immer vorausgesetzt, dass man abstimmen geht. Jeden Tag nehmen Dutzende weiterer Geschäftsleute an der neuen Bewegung teil. Weit über hundert solcher Angebote gibt es schon.
Doch nicht nur Geschäftsleute sind dabei, auch Künstler. Ein Konzert der römischen Sängerin Pilar ist für Berlusconi-Gegner reserviert. Pilar sagt: „Ich singe nur für Leute, die gegen Berlusconi stimmen“. Überall treten Artisten gratis auf, singen und spielen gegen Berlusconi. So im Caffè letterario von Enna, im Teatro Nuovo von Palermo, im Khorakhané von Grosseto, im Vomero in Neapel. Und so weiter.
Dabei geht es bei der Volksabstimmung am kommenden Sonntag und Montag gar nicht in erster Linie um Berlusconi. Und doch geht es vor allem um ihn. Abgestimmt wird über vier Sachvorlagen: Sollen in Italien Atomkraftwerke gebaut werden? Soll die Wasserversorgung privatisiert werden? Sollen private Firmen mit dem Wasser Profit machen können? Soll jenes Gesetz abgeschafft werden, das die höchsten Politiker des Landes, zum Beispiel Berlusconi, während ihrer Amtszeit vor Strafverfolgung schützen?
Natürlich hat Berlusconi Angst, dass das Gesetz, das ihm Straffreiheit gewährt (legge sul legittimo impedimento), gekippt wird. Zudem hat er sich – vor Fukushima – für den Bau von Atomkraftwerken ins Zeug gelegt. Berlusconi versuchte – nach Fukushima - diese Abstimmung zu verzögern, „bis die Angst verflogen ist“, wie er sagte. Doch das Kassationsgericht lehnte letzte Woche eine Verschiebung ab.
Verloren hat er noch lange nicht
Die Abstimmung ist also – indirekt – eine Abstimmung für oder gegen Berlusconi. Verliert er diese Referenden, ist dies ein weiterer schwerer Schlag für den schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten. Die Absetzungsbewegung seiner einstigen Anhänger wird sich dann noch mehr beschleunigen. Doch verloren hat er noch lange nicht. Denn: Das italienische Gesetz sieht vor, dass eine Abstimmung nur dann gültig ist, wenn mindestens die Hälfte der Stimmberechtigen an die Urnen gegangen sind. Gäbe es in der Schweiz ein solches Gesetz, wären die meisten Abstimmungen ungültig.
Dank diesem „Mindestens 50 Prozent-Gesetz“ wittert Berlusconi Morgenluft. Er arbeitet darauf hin, dass weniger als die Hälfte der Stimmberechtigen zur Urne gehen. Dann werden Atomkraftwerke gebaut, und dann bleibt er vor Strafverfolgung geschützt.
Italiens Tagesschau meldet ein falsches Datum
So tut er denn alles, um die Abstimmungen unter den Teppich zu wischen. Seine Parteimitglieder ruft er zur Stimmabstinenz auf. Seinen Fernsehanstalten hat er Befehl gegeben, nicht über die Referenden zu berichten. So hofft er, dass die meisten Leute vergessen, dass überhaupt eine Abstimmung stattfindet. Auch seine Zeitungen schweigen die Referenden tot. Und die Haupt-Tagesschau der öffentlich-rechtlichen RAI gab sogar ein falsches Datum für das Referendum an. Laut RAI würde die Volksabstimmung am 13. und 14. Juni stattfinden. Am 14. sind die Urnen schon längst geschlossen, die Befragung findet am 12. und 13. Juni statt. Natürlich denken nur schlechte Charaktere, dass dieser Lapsus mit Absicht geschehen ist…
Es ist schon seltsam, ein Ministerpräsident ruft seine Landsleute auf, nicht abstimmen zu gehen. Gescheitert ist allerdings sein Versuch, die Befragung in den Sommer zu verlegen – dann, wenn die Italiener sich an der Adria oder am tyrrhenischen Meer in der Sonne räkeln anstatt an die Urnen zu gehen.
Auf der andern Seite versuchen die Berlusconi-Gegner die Bevölkerung zu mobilisieren. „Stimmt Ja oder Nein, das ist egal – aber geht an die Urnen“. Das ist der Schlachtruf der Berlusconi-Gegner. Es geht nur darum, das Quorum von 50 Prozent zu erreichen. Auch über Facebook und Twitter werden vor allem junge Italiener mobilisiert. „Jeder soll zehn Freunde an die Urnen bringen“, heisst es in einer Facebook-Message.
Sollte das Quorum erreicht werden, scheint klar, dass das Gesetz, das Berlusconi vor Strafverfolgung schützt, abgeschafft wird. Ebenso klar ist, dass die Atomkraft mit Bausch und Bogen abgelehnt wird. Italien war seit jeher ein Anti-Atomkraft-Land. Fukushima hätte es da gar nicht gebraucht. Es bräuchte auch nicht die jetzigen Aufrufe der Alt-Stars Adriano Celentano oder Gianna Nannini. Beide machen gegen AKW mobil. „Es ist eine Frage von Leben und Tod“, sagt Celentano.
Italien – diese „Idiotokratie“
Gelingt es, die Hälfte der Italiener an die Urnen zu locken? Das ist keineswegs sicher. Wenn nur die Linke stimmen geht, ergibt das keine 50 Prozent. Die Italiener sind Politik-müde, desillusioniert. „Es wird sich ja ohnehin nichts ändern“, gehört zum Vokabular jedes Italieners. Die meisten haben zudem die Tendenz, sich für das, was sie nicht direkt betrifft, nicht zu interessieren. Atomkraftwerke betreffen sie noch lange nicht direkt; die würden erst in 15 Jahren betriebsbereit sein. Und Berlusconis Probleme mit der Justiz? Viele Italiener haben dieses Thema längst satt. „Er wird sicher wieder einen Weg finden“. Dass die Referenden ausgerechnet an Pfingsten stattfinden, könnte ein Plus für Berlusconi sein – denn Pfingsten ist in Italien ein Familienfest, da vergisst man die Politik.
Doch zweifellos hat die Anti-Berlusconi-Bewegung nach seinen Wahlschlappen Auftrieb erhalten. Vielleicht gehen jetzt sogar Berlusconis einstige Freunde an die Urnen, jene der Lega Nord, die den Ministerpräsidenten endlich los haben wollen.
Die „Ent-Berlusconisierung“ des Landes hat an Fahrt gewonnen. „Versetzen wir ihm einen weiteren Schlag“, lautet die Parole. „Befreien wir das Land von diesem Despoten“, heisst es auf Transparenten. „Italien hat besseres verdient“. Italien soll wieder das stolze Land von einst werden, und nicht „diese Idiotokratie“, wie der Fotograf Oliviero Toscani sagt.
„Forza Italia“ nannte Berlusconi seine einst erfolgreiche Partei, mit der er die italienische Parteienlandschaft umpflügte und sich selbst an die Macht brachte. Mit eben diesem Slogan kämpfen jetzt Berlusconis Gegner gegen den Ministerpräsidenten.
„Forza Italia“ steht auf dem Titelbild des linksliberalen Wochenmagazins „L’Espresso“. Darunter sieht man zwei jubelnde linke Frauen. „Es ist ein neues Land, das Nein zu Berlusconi gesagt hat“. Die Demonstranten rufen: „Forza Italia, Italien wach auf, kämpfen wir gegen die Berlusconi-Plage.“