Ari Folmans animierte Dokumentation «Waltz with Bashir» aus dem Jahr 2008 erinnert in traumwandlerischen Bildern an den ersten Libanonkrieg. Und zeugt im Lichte des Jahrestags der Massaker vom 7. Oktober 2023 von der israelischen Fähigkeit zur Selbstkritik.
Eine Rotte apokalyptisch anmutender Hunde jagt durch Tel Aviv, 26 an der Zahl. Sie sind allesamt Wiedergänger, getötet von einem israelischen Soldaten bei der ersten Bodenoffensive im Libanon 1982. Der Traum der Eingangsszene deutet das Trauma bereits an. Die Bluthund-Geschichte wird geschildert von einem Freund des Regisseurs Ari Folman. Sie bringt diesen erst dazu, seine eigenen Kriegserfahrungen aufzuarbeiten. Er realisiert schnell: Die Erinnerung ist weg. Zwanzig Jahre lang hat er sie verdrängt.
«Filme sind doch wie Psychotherapie, oder?», will Boas von Ari wissen, und erhofft sich von seinem ehemaligen Regimentskameraden Klärung. Ari ist überfordert, weiss weder sich noch dem Freund zu helfen. Doch der Dialog konterkariert sich selbst in raffinierter Manier: Die animierte Dokumentation aus dem Jahr 2008 zeigt die Wichtigkeit einer dialogisch orientierten Erinnerungskultur in sphärischer Eindringlichkeit. Träume, Halbwissen, Flashbacks: Alles verschwimmt, alles muss entwirrt werden. Auch als eine Einheit auf einem zur Tarnung gemieteten «Love Boat» in den Krieg fährt, von welchem der junge Soldat durch eine riesenhafte Nymphe gerettet wird. Es war und blieb Wunschdenken. Warum die Illusion?
Verschiedene Horizonte
Dem anderthalbstündigen Film gelingt das Kunststück: Er beruht zwar auch auf Video-Aufnahmen, wurde aber auf eine einheitliche optische Verfremdung eingedampft. Dies, um den verschiedenen Ebenen des Narrativs gleichermassen gerecht zu werden. Der Plot ist dabei so kohärent wie glaubwürdig. Und die Wichtigkeit einer polyperspektivischen Herangehensweise in historischen Belangen zeigt sich spätestens, wenn im Abspann reale TV-Bilder der Massaker aus den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila in Beirut eingeblendet werden. Die christlichen Phalangisten rächten dort den tödlichen Anschlag auf ihren Anführer Bachir Gemayel. Hunderte Menschen wurden ermordet, darunter viele Frauen, Kinder und Alte. Einige israelische Soldaten erahnten die Gräuel. Die Dokumentation ist in ihren Bildern – ob original oder animiert – auch ein Geständnis.
Im Kontext des nunmehr dritten Libanonkriegs kann der preisgekrönte Trickfilm auch einmal mehr aufzeigen, wie vielschichtig und tiefgründig sich Israels Selbstkritik ausserhalb seiner Politik gebärden kann. Dies ganz im Gegensatz zu Iran oder den arabischen Nachbarstaaten, in welchen im Lichte des Konflikts auch nur die Andeutung einer kritischen (Selbst-)Reflexion politisch, religiös und gesellschaftlich verfemt bleibt. Selbst die Vorführung heiterer Filme wie der völkerverbindenden Komödie «The Band’s Visit» (2007) über ein ägyptisches Polizeiorchester, welches im israelischen Outback strandet, bleibt dort undenkbar. Leider. Die Kunst, das Lachen – auch über sich selbst – könnten Brücken bauen.
Stattdessen erlangt dieser Tage die autobiografische Folman-Erzählung, welche auch hierzulande mehr Beachtung verdienen würde, gerade in der Person des Regisseurs traurige Aktualität. Der 1962 in Haifa geborene Filmemacher initiierte kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 das Projekt «Bring them home now». Auf der gleichnamigen Website schildern Angehörige der Geiseln ihren Schmerz. Das verantwortliche Kollektiv will dergestalt – der Appell ist Programm – Druck auf die Regierung Netanjahu ausüben. Der Erfolg des Unterfangens bleibt nach dem Jahrestag der verstörenden Attacke gelinde gesagt überschaubar. Die tagespolitische Agenda hat obsiegt. Der Mehrfrontenkrieg, die dämonischen Drohungen aus allen Himmelsrichtungen, geniessen nachvollziehbarerweise auch im gemässigten Lager der israelischen Öffentlichkeit Priorität. Es geht nun einmal mehr um das Überleben aller.
Aus der Traum
Über die Geschichte lässt sich bekanntlich zweierlei sagen: Erstens, sie wiederholt sich nicht. Aber das Jetzt ist die Summe des Bisherigen und daher darf auch ein mittlerweile sechzehn Jahre alter Dokumentarfilm zumindest Erwähnung finden, wenn es um die Erhellung des Heute geht. Denn dieser zeigt in klugem pädagogischem Duktus das Leid, den Schmerz und das Trauma auf beiden Seiten der Front. Es ist die Realität eines jeden Krieges. Zweitens – so einst Ingeborg Bachmann – lehrt die Historie dauernd, findet aber keine Schüler. An diesem Aphorismus soll sich die Welt getrost abarbeiten, bis sie eines grossen Tages den Gegenbeweis erbringt.
Ari Folman reist in «Waltz with Bashir» auch in die Niederlande, um einen anderen Freund, Carmi, zu besuchen. Aus dem Nebel der Erinnerung und des kreisenden Joints kristallisiert sich stufenweise der Traum als eigentlicher Flaschenöffner heraus. «Wenn es hell wird, sieht man die Zerstörung, die man angerichtet hat», so der ehemalige IDF-Kamerad. Bis sich Ari selbst an die Leuchtraketen erinnert, welche er und andere Soldaten in den Beiruter Nachthimmel schossen, um den Phalangisten ihre «Arbeit» zu erleichtern. Das Hell der Erkenntnis ist unerträglich. Aber es muss sein. Denn das nach aussen getragene Akzeptieren der eigenen Fehlbarkeit ist der erste Schritt hin zum konstruktiven Dialog all jener, welche ebenfalls gewillt sind, die Traumata der Vergangenheit und Gegenwart zu ergründen. Allen Bluthunden und Dämonen zum Trotz.
Der Film läuft zur Zeit im Stadtkino Basel im Zyklus «Filme aus Israel und Palästina».
Vorführungen:
Mittwoch, 23. Oktober, 18.30 h
Sonntag, 10. November, 20.00 h
Freitag, 15. November, 16.15 h