Zur Lösung des Syrienkonflikts hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seltener Einstimmigkeit gleich vier Arbeitsgruppen eingesetzt. Eine davon soll dem Vernehmen nach vom Schweizer Völkerrechtsprofessor und früheren hohen UNO-Beamten Nicolas Michel geleitet werden. In der Sache hat sich aber nichts geändert. Die Verhandlungen stehen am toten Punkt.
In der öffentlichen Wahrnehmung überlagert die dramatische Massenflucht von Syrern quer durch Europa die Ursache des Dramas: der bereits mehr als vier Jahre dauernde Krieg. Die Kämpfe zwischen den syrischen Konfliktparteien mit ihren ausländischen Paten im Hintergrund haben bereits eine Viertelmillion Todesopfer gefordert. Fast acht Millionen Syrer sind Flüchtlinge im eigenen Land. Viele von ihnen mussten je nach Kriegsverlauf mehrmals ihre Wohnorte wechseln. Vier Millionen suchten Schutz in den Nachbarstaaten Türkei, Libanon und Jordanien.
Risiko einer Konfrontation der Grossmächte
Weder die Aufrüstung der syrischen Regierungstruppen durch Russland noch die Ankündigung des französischen Präsidenten François Hollande, in Syrien Aufklärungs- und eventuelle Kampfeinsätze gegen den „Islamischen Staat“ zu fliegen, besitzen die Qualität, den Frieden näher zu bringen. Im Gegenteil: Sie erhöhen das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen den Grossmächten.
UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon sieht „drei Schichten von Spaltungen“, die eine Verhandlungslösung für Syrien verunmöglichen. Erstens ist die syrische Gesellschaft selber tief gespalten. Dazu kommen die Rivalitäten zwischen den regionalen Mächten wie Saudi-Arabien, Iran und der Türkei. Schliesslich prallen im Weltsicherheitsrat die geostrategischen Interessen der fünf ständigen Mitglieder aufeinander, die jeden Beschluss mit ihrem Veto behindern können.
Starrsinn
Zwei UNO-Vermittler haben sich an der Syrienkrise bereits ihre Zähne ausgebissen: der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan und der algerische Ex-Aussenminister Lakhdar Brahimi. Der jetzige Sonderbeauftragte Staffan de Mistura hat seit Mai mit 216 Personen gesprochen, die im Syrienkonflikt verstrickt sind oder eine künftige Rolle spielen könnten: Regierungsbeamte, Militärs und Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter die Führer von Religionsgemeinschaften. Das Ergebnis ist ernüchternd. Alle Differenzen blieben bestehen.
Die vier Arbeitsgruppen, die das höchste UNO-Organ im August ins Leben gerufen hat, sollen sich mit folgenden Themen beschäftigen: 1. Sicherheit und Schutz für alle; 2. politische und konstitutionelle Fragen; 3. militärische Belange und der Kampf gegen den Terrorismus; 4. öffentliche Institutionen, Wiederaufbau und Entwicklung. Es sind die gleichen Themen, die bereits an der ersten Genfer Syrienkonferenz im Juni 2012 behandelt wurden. Das Schlussdokument dieses Treffens blieb aber toter Buchstabe und die zweite Genfer Syrienkonferenz scheiterte im Frühjahr 2014 kläglich am Starrsinn aller Teilnehmer.
Beschäftigungstherapie?
Laut Ban Ki-Moon sollen die vom Sicherheitsrat beschlossenen Arbeitsgruppen noch im September operationell werden. Iran ist als Gesprächspartner eingeplant, nicht aber der „Islamische Staat“, den die UNO als Terroristengruppe einstuft und der auch kein Interesse an Verhandlungen bekundet. Alle vier designierten Vorsitzenden – neben dem Schweizer Michel die Schwedin Brigitta Al-Anai, der Deutsche Volker Perthes und der Norweger Jan Egeland – sind zwar ausgewiesene Fachleute. Sie sind aber ausnahmslos Westeuropäer, was auf Widerstand anderer Lager stösst. Das eigentliche Problem liegt im Zweifel am Nutzen neuer Verhandlungsgremien. Viele Beobachter sehen darin nur eine Beschäftigungstherapie, mit der die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats ihre Zerrissenheit verschleiern wollen.
Die Hoffnungslosigkeit der Lage schreckt den schwedisch-italienischen Doppelbürger de Mistura nicht vor diplomatischen Höhenflügen ab. Sein Plan sieht zunächst einen Waffenstillstand und die Bildung einer Übergangsregierung in Syrien vor. Am Ende sollen die Syrer in freien Wahlen unter Aufsicht der UNO einen Präsidenten und ein Parlament erküren.
Russlands schützende Hand
Damit hält sich de Mistura genau an das Schlusskommuniqué der Syrienkonferenz von 2012. Neu ist der Vorschlag des UNO-Vermittlers, einen gemeinsamen Militärrat aus Regime und Opposition zu bilden, der den Sicherheitsapparat reformieren soll. Zudem sollten sich beide Seite auf eine Liste mit den Namen von 120 Personen einigen, die wegen ihrer Rolle im Bürgerkrieg während der Übergangszeit keine Ämter bekleiden dürfen.
Präsident Baschar al-Assad wird in dem vertraulichen Papier nicht erwähnt. Ein vom Menschenrechtsrat der UNO eingesetzter Untersuchungsausschuss hat aber eine Liste von Kriegsverbrechern erstellt, die sich im New Yorker Hauptquartier der Weltorganisation unter Verschluss befindet. Man darf annehmen, dass darauf auch al-Assad steht. Doch so lange Russland seine schützende Hand über den angeschlagenen Machthaber hält, wird der Krieg weitergehen.