Die Uno bräuchte nach eigenen Angaben zurzeit 56 Milliarden Dollar, um den Ärmsten und den Kriegsopfern beizustehen. Doch zur Verfügung stehen nur 30 Milliarden.
Die Zahl der weltweiten Konflikte hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. Das ist der Hauptgrund für die explodierende humanitäre Krise. Laut dem in Genf ansässigen IKRK, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, gibt es weltweit «zurzeit mehr als 100 bewaffnete Konflikte».
Das Heidelberger «Institut für internationale Konfliktforschung» spricht sogar von zurzeit 363 Konflikten. Gezählt werden dabei Kriege, begrenzte Kriege, gewaltlose und gewaltsame Konflikte und Dispute.
Nach Angaben des IKRK wird das Jahr 2023 wegen des durch Konflikte verursachten Leids «zu einem Jahr gewaltiger humanitärer Bedürfnisse». Viele Hilfsprojekte, erklärt die Uno, sind «völlig unterfinanziert».
Traurige Aufgabe
Doch genau diese Bedürfnisse können wegen der dramatischen Zunahme der Kriege und Konflikte nicht mehr gedeckt werden. Bereits müssen empfindliche Abstriche gemacht werden. So hat diese Woche das «World Food Programme» (WFP), das Welternährungsprogramm der Uno, die Hilfe an die vom Krieg betroffenen Syrern und Syrerinnen halbieren müssen. Statt wie bisher 5,5 Millionen kann jetzt nur noch 2,5 Millionen Menschen geholfen werden. Das wird Zehntausende ins Elend treiben.
Ein Experte in Genf erklärt uns: «Die Hilfsorganisationen stehen vor der schwierigen und oft traurigen Aufgabe: Wem hilft man weiter, wen lässt man fallen und sterben?»
Auch dem IKRK, einer der weltweit wichtigsten Hilfsorganisation, fehlt Geld. Die Organisation muss ihr Budget von 2,8 auf 2,4 Milliarden Franken reduzieren und etwa 1500 Stellen abbauen. Mindestens 20 ihrer 350 Einsatzgebiete müssen geschlossen werden. (Das international tätige IKRK ist nicht zu verwechseln mit dem Schweizerischen Roten Kreuz SRK.)
Der Klimawandel treibt Millionen in den Tod
Die Konflikte werden nicht nur zahlreicher, sie werden auch länger. Der Krieg in Syrien zum Beispiel dauert nun schon seit zwölf Jahren. Ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen in vielen afrikanischen Staaten ist nicht abzusehen.
Dazu kommt nun der Klimawandel, der eigentlich erst am Anfang steht und weitere dramatische Folgen haben wird. Dürren, Wassermangel, Krankheiten und Hunger treiben Millionen Menschen zur Verzweiflung und in den Tod.
Die humanitäre Hilfe wächst den Hilfsorganisationen über den Kopf. Vor fast zwanzig Jahren bezifferte die Uno die nötige humanitäre Hilfe auf 5 Milliarden Dollar. Heute sind es über zehn Mal mehr. Und alles wird noch schlimmer. Niemand erwartet, dass die nötigen 56 Milliarden aufgetrieben werden können.
Politische, nicht humanitäre Probleme
Die Ansprüche an die Hilfsorganisationen sind in den letzten Jahren stark gewachsen. Man erwartet von ihnen Dinge, die sich eigentlich nicht in ihrem Aufgabenbereich befinden. Viele humanitäre Krisen, bei denen Hunderttausende leiden und sterben, sind eigentlich keine humanitären Krisen: sondern politische. Es wäre Aufgabe der Politik, die Krise zu lösen. Da viele Machthaber aber nicht fähig und vor allem nicht willens sind, das Elend in den Griff zu bekommen, fordert man von den Hilfsorganisationen, dass sie die Aufgabe übernehmen. Sie also sollten die Fehler der Politik ausbaden und die Wurzeln der Probleme anpacken. Aber «es ist doch nicht unsere Aufgabe, den Kampf gegen den Klimawandel zu führen», sagt ein Experte in Genf. «Das ist ein politisches Problem, solche Probleme können wir nicht lösen.»
In Anbetracht der drastischen Krise stellen sich manchen Hilfsorganisationen die Frage: Welches ist eigentlich unsere Aufgabe? Sind wir da, um im Kriegs- oder Krisenfall Soforthilfe zu leisten und Sterbende, Verletzte, Hungernde vor dem Tod zu retten? Oder sind wir auch da, um Entwicklungshilfe zu leisten, also längerfristig dazu beizutragen, dass sich die Situation verbessert und sich das Land erholt? Auch das IKRK, das bisher auf beiden Gebieten teils vorzügliche Arbeit leistete, stellt sich diese Frage. Sollen wir uns auf die ursprünglichen, klassischen Aufgaben beschränken: Kriegsverletzte betreuen, medizinische Versorgung in Notsituationen vermitteln, gute Dienste anbieten und vor allem: Gefangene besuchen?
Es sind drei Uno-Organisationen, die fast die Hälfte aller Uno-Hilfsgelder einsetzen: Das World Food Programme (WFP), das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und das Uno-Kinderhilfswerk Unicef. Dazu sind neben dem IKRK weltweit hunderte kleine und grosse NGOs im Einsatz, unabhängige, nichtstaatliche und meist international tätige Organisationen, die keinen Gewinn erwirtschaften wollen. Dazu gehören zum Beispiel «Médecins sans frontières», die 1999 den Friedensnobelpreis erhielten, ihren Hauptsitz in Genf haben und mit einem Budget von fast zwei Milliarden Franken helfen.
Vor allem der Westen zahlt
Es sind vor allem westliche Staaten, die Hilfe erbringen, vor allem die USA, Deutschland, die Niederlande, Grossbritannien und die Skandinavischen Länder. Die Schweiz leistete 2022 öffentliche Entwicklungshilfe im Wert von 4,3 Milliarden Franken, 700 Millionen mehr als im Vorjahr. Der Anteil der öffentlichen Hilfe am Bruttonationaleinkommen stieg auf 0,56 Prozent. Das ist der höchste je erreichte Stand.
Doch die Hilfe der westlichen Länder reicht längst nicht mehr aus. Seit längerem versucht die Uno auch andere Länder zu Hilfeleistungen zu bewegen. Zwar halfen Golfstaaten in jüngster Zeit dem kriegsversehrten Jemen, doch das sind nur Tropfen auf den heissen Stein. Die Gefahr besteht, dass Entwicklungshilfe oft ein Mittel ist, um Einfluss auf gewisse Länder zu nehmen. Das chinesische Engagement in Afrika sei ein Beispiel dafür.
Viele im Süden sehen die Probleme global. Ein Grund für das Elend in vielen Ländern, für die Unterentwicklung, seien die vom Westen diktierten globalen Wirtschaftsstrukturen, die es den Ländern der Dritten Welt erschwerten, im internationalen Handel Fuss zu fassen und voranzukommen.
Vermehrter Einbegzug der NGOs
Jetzt versucht die Uno vermehrt mit lokalen NGOs zusammenzuarbeiten und eine Partnerschaft aufzubauen. Die Ergebnisse sind zum Teil erfolgversprechend. So hat zum Beispiel die Uno ihre Zusammenarbeit mit «Ärzte ohne Grenzen» intensiviert.
Die Uno-Organisationen und die NGOs werden oft kritisiert. Es handle sich um aufgeblähte, bürokratische Organisationen, die viel Geld verschwenden, einen überrissenen Beamtenapparat finanzieren und viel Leerlauf produzieren.
Diese Kritik mag oft stimmen. Doch eine Alternative gibt es zurzeit nicht. Die Hilfsorganisationen leisten vielfach wertvolle Arbeit. Millionen und Abermillionen Menschen verdanken ihnen ihr Leben.