In der globalisierten Weltwirtschaft tun alle mehr oder weniger das Gleiche. Wer gross genug ist, um weltumspannend zu produzieren und zu distribuieren, steht vor den für alle gleichen Herausforderungen. Wo entwickle ich am kostengünstigsten neue Produkte, wo stelle ich sie her, wie kriege ich sie in virtuelle oder reale Verkaufsregale, wo und wie verwalte ich das Ganze.
Kompliziert und knifflig
Ist es sinnvoll, IT-Dienstleistungen nach Indien auszulagern, weil dort die Lohnkosten spottbillig sind? Und wie rechne ich das mit anderen Faktoren auf, Stabilität des Standorts, Probleme bei der Infrastruktur bis hin zur Stromversorgung, Mentalitätsunterschiede, Rechtssicherheit? Wie messe ich ein potenzielles Reputationsrisiko, wenn ich meine Markenkleider in brutalen Sweatshops in Bangladesch nähen lasse und in den Trümmern einer Fabrik neben Hunderten von Toten auch das Logo meines Produkts fotografiert wird? Soll ich massiv in einen Maschinenpark investieren, wenn die Gefahr besteht, dass von einem Tag auf den anderen neue Gesetze erlassen werden oder meine Investition schlichtweg enteignet wird, bevor sie amortisiert ist?
Wie gehe ich mit Unvorhersehbarem um, also wenn ich beispielsweise im Wachstumsmarkt Tourismus in Hotels auf der Krim investiert hatte? Das alles und viel mehr führt zu rauchenden Köpfen in riesigen Abteilungen multinationaler Konzerne, die zukünftige Businesspläne entwickeln müssen. In einem brutalen Wettbewerb mit der Konkurrenz, die mit gleicher Energie Gewinnschöpfungsketten analysiert und optimiert. Dabei es gibt einen Kostenfaktor, der von gewaltiger Bedeutung ist und an dem kräftig geschraubt werden kann: die anfallenden Steuern.
Simpel und einfach
Indirekte Steuern sind unveränderbar, unausweichlich und für alle gleich. In jedem Markt werden, innerhalb der Staats- und Fiskalgrenzen, für alle Marktteilnehmer die gleichen Steuern auf Produkte erhoben. Sei das eine allgemeine Mehrwertsteuer oder spezifische Abgaben wie eine Tabak- oder Benzinsteuer. Mit legalen Mitteln ist daran nicht zu rütteln.
Ganz anders sieht es aber bei Gewinnsteuern aus. Welchen Namen die auch immer tragen, sie hängen, simpel und logisch, von der Höhe des ausgewiesenen Profits ab – und werden nach Massgabe des dafür infrage kommenden Steuerdomizils mit Abgaben belegt, nach den dort territorial gültigen Gesetzen. Nun gibt es zwischen dem individuellen Steuersubjekt, vulgo Steuerzahler oder Mensch, und einem Konzern einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied. Der Mensch besitzt als wichtigstes Körperteil, wie das schon Brecht nannte, einen Pass, eine Staatsbürgerschaft.
Daran wird er von seinem Staat gepackt, zunehmend unabhängig davon, wo er sein Lager aufschlägt oder wo er seine Vermögenswerte aufbewahrt. Der Mensch muss schon ziemlich viel Geld und sehr gute Berater haben, wenn er dem Zugriff seines Fiskalstaats entgehen will. Notfalls muss er sich sogar einen neuen Pass kaufen, was zwar möglich, aber weder einfach noch billig ist und unangenehme Auswirkungen auf die Reisefreiheit haben kann. Und auch wenn er sich eine Holding- oder Truststruktur basteln lässt, um Distanz zwischen sich selbst und seinen Besitztümern zu schaffen, werden immer mehr Anstrengungen unternommen, dahinter den «beneficial owner», also den eigentlichen Nutzniesser, zu enttarnen. Da haben multinationale Konzerne einen gewaltigen Vorteil: Sie besitzen keinen Pass.
Vor der Nase der Politiker
Es kommt in der Öffentlichkeit immer gut, wenn populistisch der Kampf gegen Steuerhinterzieher zur «Staatsraison» erklärt wird. Die überwältigende Mehrheit der Steuerzahler kann nur im Kleinen bescheissen – und tut das auch kräftig, selbst im steuerstrammen Deutschland wird rund ein Sechstel des jährlichen Bruttoinlandprodukts schwarz erwirtschaftet; die steuerneutral bezahlte Putzfrau, der Nachbar, der Kollege, der Handwerker. Nichtsdestotrotz sind natürlich alle dafür, dass die grossen und reichen Steuerhinterzieher so kräftig wie möglich an die Kasse kommen.
Aber das sind wahrhaft Peanuts im Vergleich dazu, was multinationale Konzerne durch eine steueroptimierte Holdingstruktur rausholen können. Und dazu erst noch völlig legal. Und nicht mal in erster Linie durch einen Steuersitz auf einer kleinen Insel in der Karibik oder im Pazifik. Selbst mitten in Europa überbieten sich untere anderen Irland, Holland, Belgien, auch die Schweiz, in Sonderangeboten, Gewinne aus Verkäufen, Patenten, Wertschöpfungen jeder Art möglichst niedrig zu besteuern.
Damit zahlen Grosskonzerne wie Google, Starbucks, Apple, GM, IBM und viele mehr insgesamt weniger als 10 Prozent Abgaben auf Nettogewinne. Oder in einigen Ländern nichts, obwohl sie dort kräftig Kasse machen. Darüber regt sich gelegentlich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss auf, wie neulich in Grossbritannien, wo Starbucks vorgeführt wurde und seine Vertreter bei der Frage ins Stottern gerieten, wie es denn sein könne, dass er mit seiner Kaffeeplörre Multimillionenumsätze mit steigender Tendenz, aber keinerlei Gewinn mache. Ein solches Geschäftsmodell sei doch eigentlich hirnrissig.
Die Macht der grossen Zahl
Aber genauso wenig wie die Politik auch fünf Jahre nach der Finanzkrise 1 trotz markigen Ankündigungen etwas dagegen getan hätte, dass sie sich wiederholen könnte, wurden bislang keinerlei nennenswerte Anstrengungen unternommen, nationalstaatliche Abgaben auf in diesem Fiskalterritorium anfallende Gewinne vor Ort zu erheben.
Natürlich profitieren multinationale Konzerne davon, dass die Steuerhoheit einer Staatsmacht an Landesgrenzen stösst. Aber wie das US-Schnüffelmonster FATCA und der Allgemeine Informationsaustausch (AIA) beweisen, lässt sich das ändern. Bei Individuen. Das wäre genauso bei Konzernen möglich. Und wir sprechen hier nicht von Milliarden, sondern von Billionen, die den verlumpenden Staaten entgehen.
Kleine Preisfrage: Wieso wird da nichts unternommen? Könnte das eventuell daran liegen, dass ein multinationaler Konzern etwas mehr Einfluss auf Regierungen hat als alle individuellen Steuerhinterzieher der Welt zusammengenommen?