Die 65. UNO-Generalversammlung wird vom Schweizer Alt-Bundespräsidenten Deiss geleitet. Der Freiburger stach in der Vorentscheidung den belgischen Politiker und Ex-EU-Kommissar Louis Michel aus.
Der Vorsitz der Generalversammlung rotiert zwischen Vertretern der fünf geographischen Gruppen. Nach Lateinamerika und Afrika ist dieses Jahr Westeuropa plus USA und Kanada an der Reihe. Die Mitglieder der jeweiligen Gruppe bestimmen ihren Kandidaten, dessen Wahl durch das Plenum nur mehr eine Formalität ist. Diese Praxis hat keine rechtliche Grundlage, stellte sich aber als einzige Möglichkeit heraus, Streit zu vermeiden.
Nicht alle bisherigen Präsidenten waren der Staatenmehrheit genehm, aber noch nie wurde ein von seiner Gruppe vorgeschlagener Kandidat abgelehnt. Eine solche Zurückweisung hätte an der nächsten Generalversammlung mit Sicherheit zu einer Retourkutsche geführt.
Deiss stehen 21 Vize-Präsidenten zur Seite
Dem Präsidenten stehen ein geräumiges Büro, 21 Vizepräsidenten, 18 persönliche Mitarbeiter und ein Pressesprecher aus der Informationsabteilung der UN zur Verfügung. Das 1949-50 gebaute Hauptquartier der Weltorganisation befindet sich aber mitten in seiner seit langem fälligen Renovierung. Zahlreiche Dienste wurden ausgelagert. Auch die Pressekonferenzen finden in der benachbarten Dag-Hammarskjöld-Bibliothek statt.
Deiss löst den Libyer Ali Abdussalam Treki ab, der seine Aufgabe erstaunlich gut meisterte. Mit seinem strikten und pragmatischen Führungsstil zerstreute Treki die Befürchtungen, nur ein Handlanger des unberechenbaren libyschen Staatschefs Muammar Ghaddafi zu sein. Hingegen hinterliess sein Vorgänger am Präsidentenpult der Generalversammlung, der Nicaraguaner Miguel d’Escoto Brockmann einen nachhaltigen schlechten Eindruck. Der Priester und glühende Sandinist nutzte seine Stellung reichlich aus, die Politik der USA und den Kapitalismus zu verurteilen. Mit Brandreden zu Sitzungseröffnungen und auf Pressekonferenzen schaffte er es, alle Parteien zu verärgern und die Vollversammlung zu blockieren.
Deiss will "effizient, pragmatisch und neutral" sein
Deiss hat angekündigt, dass er der Präsident aller 192 UNO-Mitglieder sein möchte. Er wolle dem Ruf der Schweiz gerecht werden, „effizient, verlässlich, pragmatisch und neutral“ zu sein, sagte er in Interviews.
Am Donnerstag nächster Woche beginnt die Generaldebatte auf höchster diplomatischer Ebene. An die 140 Staats- oder Regierungschefs haben sich auf der Rednerliste eingetragen. Die Schweiz schickt Bundespräsidentin Doris Leuthard und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.
Merkel, Chavez, Ghadaffi...
Aus Deutschland reist Kanzlerin Angela Merkel an. Erwartet werden auch umstrittene Figuren wie Mahmud Ahmadinedschad, Hugo Chavez und Oberst Ghaddafi, die keine Gelegenheit auslassen, sich an die ganze Welt zu wenden. Ghaddafi blamierte sich allerdings vor einem Jahr bei dieser Übung. Statt der vorgesehenen 15 Minuten redete er fast zwei Stunden lang und verlor sich in wirren Sätzen, bei denen die arabischen Simultanübersetzer passen mussten.
Vom 20. bis 22. September stehen zwei Weltgipfel auf dem Programm. Der eine hat die Verwirklichung der im Jahre 2000 beschlossenen „Millenniumsziele“ zum Inhalt, der andere die Erhaltung der Artenvielfalt. Mit den Millenniumszielen will die UNO unter anderem erreichen, dass bis 2015 die Zahl der in äusserster Armut lebenden Menschen halbiert wird und alle Kinder Primarschulbildung erhalten.
Obwohl die Menschheit nach Ablauf von zwei Dritteln der Frist von diesen Zielen noch weit entfernt, hält UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon die Sache für machbar.
Die UNO "revitalisieren"
Auf der Tagesordnung der Generalversammlung stehen 163 Punkte. Sie reichen vom nachhaltigen, fairen Wirtschaftswachstum über die Sicherung des Friedens, die Abrüstung, humanitäre Einsätze, die Achtung der Menschenrechte bis zum Kampf gegen den Menschen- und Drogenhandel. Die von der Staatenmehrheit beschlossenen Resolutionen sind allerdings nicht rechtsverbindlich.
Ban Ki-Moon will die UNO „revitalisieren“. Dass jeder Kleinstaat auf der Generalversammlung seine Meinung sagen und über Resolutionen abstimmen darf, maskiert nämlich die Realitäten der Globalpolitik.
Die Grossmächte höhlen die UNO aus, indem sie neue Gremien wie die G-20, das Nahost-Quartett, die Sechsergruppe für die Verhandlungen über das Nuklearprogramm Irans oder die Sechs-Staaten-Konferenz über die Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel schaffen. Die brisanten Konflikte unserer Zeit werden zunehmend in diesen exklusiven Klubs behandelt. Der UNO fällt dann nur mehr die Rolle zu, die Verhandlungsergebnisse abzusegnen.