Von den Habenichtsen ist die Schweiz zur Weltspitze aufgerückt. Nein wir reden hier nicht vom Fussball sondern von den diesjährigen Pisa-Ergebnissen. Nach dem „Blick“ sind wir in Mathe, die Nummer 1 in Europa, und unsere Teenager sind Mathe-Genies, welche auch die „schlauen Finnen“ schlagen. Freude herrscht auch in Deutschland, wo befriedigt festgestellt wurde, dass sich die deutschen Schüler seit dem Pisa-Schock von 2001 in der Länder-Rangliste vorgearbeitet haben.
Gegenüber den asiatischen Ländern, die jetzt an der Spitze stehen, ist Finnland zurückgefallen. Böse erwischt hat es dagegen Schweden, das nun unter dem OECD Durchschnitt rangiert. Dabei waren beim PISA-Schock, den die Schweiz nach den mässigen Resultaten von 2001 durchmachte, die nordischen Länder das grosse Vorbild. Irgendwie schien man da alles besser zu machen – denn die langen Winternächte konnten ja nicht allein der Grund sein, dass man dort mehr und besser lernte. Doch trotz vieler Pilgerfahrten in den hohen Norden konnte das Geheimnis nicht entschlüsselt werden.
Stochern im Pisa-Nebel
Doch was steckt heute dahinter, dass die Schweiz in den letzten Jahren so stark zugelegt hat. Die Vermutungen gehen wild durcheinander, und es ist wie beim Kaffeesatzlesen. Sicher hat die Schweiz, durch Pisa aufgeschreckt, in den letzten Jahren Anstrengungen im Bildungsbereich unternommen – wenn auch das ambitiöseste Projekt mit dem Lehrplan 21 noch gar nicht realisiert worden ist. Vielleicht ist es auch ein Placebo-Effekt. Die Hauptsache ist es, irgendwelche Anstrenungen zu unternehmen und gar nicht so sehr, was man unternimmt.
Auch Pisa selbst kann es letztlich nicht sein. So meinte der Bildungsökonomen Stefan Wolter von der Universität Bern: „Das Schwein wird auch nicht fetter durch das Wägen“ Schülerinnen und Schüler werden nicht schon deshalb besser, nur weil ihre Kompetenzen gemessen werden. Es könnte sogar längerfristig problematisch sein, wenn sich die Schule zu stark an jener Art von Aufgaben orientiert, die „pisatauglich“ sind. Der Glanz der Pisa-Resultate könnte dann verstecken, dass hinter der Oberfläche nicht alles Gold ist, was glänzt.
Ein Teil der Wahrheit ist es, wenn Experten betonen, dass ein positiver Migrationseffekt zu beobachten sei. Die hochqualifizierten Ausländerinnen und Ausländer, die in den letzten Jahren zugezogen seien, hätten auch die Pisa-Resultate hochkatapultieret. Allerdings ist es auch kein Ruhmesblatt für die Bildungspolitik, wenn es die ressortfremde Migrationspolitik ist, welche durchschlägt und den Durchschnitt anhebt. Da könnte man bei einem nächsten Pisa-Schock auch gleich dafür plädieren, diesen einfach auszusitzen und zu warten, bis wieder besser Zeiten kommen.
Pisa-Müdigkeit nimmt zu
Hat man am Anfang dieses Jahrhunderts noch viel von Pisa erwartet, so ist mittlerweile eine gewisse Pisa-Müdigkeit eingekehrt. So will die Schweiz zwar auch 2015 wieder bei Pisa mitmachen, aber nur noch mit einer kleineren Stichprobe. Wichtiger ist den Verantwortlichen die Überprüfung der nationalen Bildungsziele.
Zudem wird in Frage gestellt, wie weit die Pisa-Tauglichkeit ein gültiger Massstab unsere Schulen sein kann. Wenn die schweizerischen Schüler im Bereich «Raum und Form» überdurchschnittlich abschneiden, während sie beim Thema «Wahrscheinlichkeit und Statistik» abfallen, so steht nach Beat Zemp, dem Zentralpräsident des Dachverbands der Lehrer (LCH) dahinter, dass dieser Bereich auf der Sek-I-Stufe nicht unterrichtet wird. „Verschenkt“ man damit Punkte – oder will man bewusst keinen globalen schulischen Einheitsbrei, der kulturelle Eigenheiten auf Pisa-Mass zurückstutzt?
Feedbackkultur oder Beichte?
Insgesamt nehmen auch die Bedenken zu den immer stärker ausufernden Evaluationen an den Schulen zu. In Lehrerkreisen wird bemängelt, dass der Lehrplan 21 eine Überzahl von Kompetenzen enthalten und der Unterricht immer stärker durch deren Überprüfung überfrachtet werde. Der Lehrplan 21 sei überladen und müsse abspecken, um eine „Teaching to the test“ zu vermeiden.
Auch die Rede von einer 360 Grad Evaluation des Unterrichts erregt Widerstand. So befürchten Thomas Hermann und Norbert Grube in einem Artikel der Hauszeitschrift der PH Zürich, dass die damit angepeilte Feedbackkultur leicht in ein entleertes Ritual abgleiten könne, welche vor allem der Kontrolle diene. Sie ziehen Parallelen zur katholischen Form der Beichte, die nach einem individuellen Sündengeständnis von der Schuld reinwasche.
Trotz Pisa und allen Bildungsreformen ist eines klar. Nicht alles und jedes ist in der Bildung machbar. Und auch Pisa ist nicht der alleinige Massstab einer qualitativ guten Bildung.
Weltspitze in Mathe
Trotz guten Ergebnissen im Pisa-Test von 2013: Die Pisa-Müdigkeit wird in der Schweiz grösser.