Was heißt "er"? Bei fast 70 Prozent Wahlbeteiligung ist fast jede zweite Stimme für die Christlich Soziale Union abgegeben worden. Es waren also "die Bayern" (genau: beinahe die Hälfte der berechtigten Bevölkerung), die den schon bisherigen Ministerpräsidenten erneut auf den Thron gehievt haben. Und wie! Ticken im Freistaat die Uhren wirklich anders als im Rest der deutschen Republik?
Man muss nicht sonderlich tief im Kaffeesatz graben, um die Hauptgründe für das Wahlergebnis zu finden. Bayern hat (mit Ausnahme vielleicht von Hessen) die besten Wirtschaftsdaten in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit tendiert bei etwas über 3 Prozent, also nahe bei Vollbeschäftigung. Bayerische Schüler stehen bei Leistungsvergleichen regelmäßig an der Spitze in Deutschland, kein anderes Bundesland glänzt mit mehr Elite-Universitäten, nirgendwo sonst ist - statistisch - die Kriminalität geringer. Kein anderes Land ist, darüber hinaus,in solchem Maße Ziel von nationalen und internationalen Zuzüglern. Das sind Daten, deren positive Aussage sogar von der Mehrheit der SPD-Anhänger und großen Teilen selbst der "grünen" Parteigänger anerkannt werden.
Kaum Angriffsflächen
Mit anderen Worten: Wenn ein Politiker eine derartige Ansammlung erfreulicher Fakten mit seiner Person und seiner Partei in Verbindung zu bringen schafft - wo bleibt dann die Angriffsfläche für seinen Herausforderer? Wo hätte der bedauernswerte Christian Ude mit Fundamentalkritik ansetzen sollen, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, ein als absolut reinlich empfundenes Nest beschmutzen zu wollen? Und selbst da, wo die Attacken des redlichen und höchst erfolgreichen Münchener Oberbürgermeisters berechtigt waren, hatten die Bürger die Ursachen entweder längst vergessen oder die Affären (von denen es nun wirklich genügend gab) waren im breiten öffentlichen Bewusstsein von den guten Wirtschaftszahlen überdeckt worden. Da waren (und das ist nur eine kleine Auswahl) vor gar noch nicht allzu langer Zeit die unglaublichen Vorgänge und Mauscheleien unter Beteiligung hoher und höchster CSU-Politiker um die Bayerische Landesbank, da gab es den für die Steuerzahler am Ende teuren Skandal um die Bayerische HypoVereinsbank und deren Beinahe-Ruin. Und da war, ebenfalls eigentlich noch gut im Gedächtnis, die dreist-freche (wenngleich rechtlich unangreifbare) Bereicherung von - in diesem Fall allerdings nicht nur der CSU angehörenden - Landtagsmitgliedern, die auf Kosten der Allgemeinheit Familienangehörige beschäftigten.
Man hat Horst Seehofer oft (und nicht grundlos) wegen seiner "Flexibilität" verspottet und kritisiert. Man könne, so hieß es, gar nicht so schnell registrieren, wie er Positionen verändere, die er kurz zuvor noch als angeblich unverrückbar deklariert hatte. Das stimmt einerseits. Auf der anderen Seite ist außerhalb des Freistaats mitunter nicht genügend zur Kenntnis genommen worden, wie radikal der Mann aus Ingolstadt nach Übernahme der Staatskanzlei den Münchener Augiasstall säuberte und sich sowie die CSU von "Altlasten" trennte. Darüber hinaus punktete er mit einer deutlichen Verjüngung der Partei-Führungsfunktionen unter Berücksichtigung zahlreicher Frauen. Das hat, ohne Zweifel, die Akzeptanz der CSU in der jüngeren Bevölkerung spürbar gesteigert.
Beispiel für Berlin?
Am kommenden Sonntag finden nun in Deutschland zwei weitere, wichtige Wahlen statt. Allen voran natürlich die Abstimmung über den nächsten Bundestag. Aber auch die Neubestimmung des hessischen Landtags sollte nicht übersehen werden. In Berlin geht es um nicht weniger als die Frage: Wird Angela Merkel auch für die kommenden vier Jahre Kanzlerin bleiben und - falls ja - mit welchem Partner. Damit ist der Blick auf den jetzigen Regierungs-Kopiloten gelenkt, die FDP. Die Liberalen, in der nun abgelaufenen Wahlperiode Juniorpartner in Bayern, flogen am Sonntag nicht nur aus der dortigen Regierung, sondern - mit einem Stimmenanteil von nur 3 Prozent - gleich auch noch aus dem Münchener Landtag. Und das, obwohl sie dort den Wirtschaftsminister gestellt hatten. Die Wähler hielten sie offensichtlich nicht mehr für notwendig.
Und nun im Bund? Und in Hessen? Anders als in Bayern hat die CDU (die "große" Schwesterpartei der CSU) keinerlei Aussicht, die absolute Mehrheit zu erringen. Um an der Regierung zu bleiben, brauchen in Berlin Angela Merkel und in Wiesbaden Ministerpräsident Volker Bouffier einen Mehrheitsbeschaffer. Beide regieren mit den Freien Demokraten, und beide möchten das Bündnis auch fortsetzen. Aber was ist, wenn sich die jetzt häufig gestellte Frage einer Signalwirkung der Bayernwahl auf den Bund und Hessen nur im Hinblick auf die FDP beantwortet ? also negativ?
Die zwei Lager
Nach allen bisherigen Untersuchungen dürfte bei beiden Wahlen die CDU mit deutlichem Abstand vor den Sozialdemokraten als stärkste Kraft hervorgehen. Doch der Gewinn muss keineswegs gleichbedeutend mit einem Wahlsieg sein. Dem schwarz-gelben Lager CDU/FDP steht (zumindest theoretisch) eine Opposition aus SPD, Grünen und Linken gegenüber. Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat sich freilich von Beginn an festgelegt, kein Bündnis mit der mehrfach umgetauften Mauerbau-Partei (also der Ex-SED) einzugehen. Ob das allerdings in gleicher Eindeutigkeit auch für andere SPD-Führungskader gilt? Bliebe also - immer ein Scheitern der FDP vorausgesetzt - nur die Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Beide Parteien bekommen beim bloßen Gedanken daran fast einen Ausschlag. Interessanterweise jedoch scheinen die Wähler - ganz anders als in früheren Jahren - das Modell gar nicht mehr so schlecht zu finden. Das sagen jedenfalls die Meinungsumfragen. Diese unklare Gemengelage ist denn auch der Grund, weshalb auch nur einigermaßen fundierte Voraussagen bis zum Schluss so schwierig sind.
Denn ob die Wahlen am vergangenen Sonntag in Bayern wirklich eine Signalwirkung in die eine oder andere Richtung haben werden, ist kaum zu beantworten. Das liegt an der besonderen Stellung der CSU im deutschen Parteiensystem. Die Christsozialen (nicht zuletzt der legendäre Franz-Josef Strauß wurde nicht müde, darauf zu pochen) reklamieren für sich zwar einen gesamtstaatlichen Einfluss. Gleichzeitig sind sie jedoch - anders als alle anderen Parteien - eine Landesorganisation. Auch wenn die Unterschiede zwischen den einzelnen Landesteilen im Freistaat bedeutend sind, so herrscht im Zweifel doch immer ein "Wir-Gefühl" gegenüber außen, das die CSU meisterhaft zu verkörpern versteht. So etwas gelingt auf Bundesebene keiner anderen politischen Kraft. Zu groß sind die mentalen, sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Spannweiten zwischen Schleswig-Holstein und Schwaben, dem Rheinland und Sachsen, als dass sie ohne äußerste Kraftanstrengung miteinander zu vereinbaren wären. Volkspartei zu sein, ist vor diesem Hintergrund schwer.