Der Name Adani wird inzwischen auch zu einem Begriff im globalen Nachrichten-Bazar. Selbst in Indien rätseln Beobachter über den rasanten Anstieg dieses drittreichsten Manns der Welt.
Gleich viermal tauchte sein Name in einer Schlagzeile auf, als ich vor einigen Tagen mein Leibblatt nach Neuigkeiten durchblätterte. Und ich meine nicht Narendra Modi, denn vier Treffer im Indian Express wären bei ihm unterdurchschnittlich.
Aber auch Gautam Adani ist ein gern gesehener Gast im Neuigkeiten-Markt – mit einem Unterschied zu Modi: Während die Erwähnung des Premierministers seine Person meint, ist es bei Adani das Unternehmen; und wenn Modi inzwischen von allen Seiten durchleuchtet wurde, weiss man wenig über seinen Gujerati-Landsmann und die Besitzstrukturen dessen Konglomerats.
Er selber, so nimmt man an, ist viel zu beschäftigt, um vor die Kameras zu treten. Und die vier Schlagzeilen über Adani-Firmen sagen, warum: Seine sieben Unternehmensgruppen sind alle operationell tätig, gleichzeitig aber auch Holdinggesellschaften für eine Kette weiterer Firmen. Die erste Schlagzeile schaffte es gar auf die Erste Seite des Express: Die staatliche «Life Insurance Corporation» (LIC) hat in den letzten zwei Jahren gleich in vier Adani-Dachfirmen investiert; ohne zu geizen.
Vermögen: 127 Mia. $
Es gibt noch zwei andere Grossunternehmen, in denen LIC so stark engagiert ist: Das «Tata»-Konglomerat und «Reliance», Indiens grösste Untenehmenskolosse, haben fast denselben Anteil im LIC Portefeuille wie Adani. Bei Tata und Reliance dauerte es jedoch über dreissig Jahre, bis LIC dieses Volumen erreicht hatte; bei Adani waren es (mit Ausnahme von «Adani Ports») ganze zwei.
Wenn ein derart prominenter Investor wie LIC so «bullish» ist, dann lässt sich der Markt nicht zweimal bitten. Innert der letzten zwei Jahre ist die Marktkapitalisierung um das Sechsfache gestiegen; Gautam Adanis Privatvermögen ist im gleichen Zeitraum auf 127 Mia. $ angeschwollen; er besetzt damit den 3. Rang im weltweiten Bloomberg Billionaire’s Club, dem Barometer der obszön Reichen.
Wenn es etwas gibt, das fast noch mehr erstaunt als dieser Geldregen, dann ist es die Vielfalt der Tätigkeitsbereiche von einer Firma, bei der eigentlich nur der Besitzer wahrgenommen wird – und auch dieses Profil bleibt schwammig. Seien es Hafenanlagen, Stromherstellung, -übermittlung und -verteilung, Kohlebergwerke, Wasserstoff-Energie, Lebensmittel – Gautam Adani ist für alle das einzig öffentlich wahrnehmbare Gesicht.
Adanis Instinkt
Die restlichen Schlagzeilen im Indian Express vom 6. Dezember beweisen es.
Auf Seite drei wird berichtet, eine Adani-Firma habe den Zuschlag für ein Slum-Erneuerungsprojekt erhalten –. und dies dank einer unschlagbaren Offerte: 50 Mia Rupien bot die Gruppe, um das berühmt-berüchtigte Dharavi-Slum im Herzen von Mumbai zu sanieren; das nächsttiefere Angebot lag zweimal tiefer.
Wer denkt, Adani sei ein humanitär geprägter Sozial-Unternehmer, missdeutet Adanis Instinkt, einen Geldsegen zu wittern, wo andere nur Bürokratie, Korruptionssumpf und verbitterte Dharavi-Bewohner ausmachen. (Seit dreissig Jahren werden diesen mit Slum-Redevelopment-Projekten anständige Wohnungen, Wasser, Strom und Eigentumsrechte versprochen.)
Was Gautam Adani sieht, ist nicht dies. Es ist ein 260 Hektar grosses Areal zwischen den beiden boomenden Geschäftszentren «BKC» und «Lower Parel» in einer Stadt mit den nahezu höchsten Bodenpreisen der Welt. Niemand zweifelt im Ernst daran, dass Adani diesen schweren Brocken stemmen wird.
Plus 2500 Prozent
Er hat es im Bieterstreit bereits anklingen lassen. Dies war nämlich bereits die zweite Ausschreibung. Die erste hatte er 2019 gegen einen Mitbewerber aus den Emiraten verloren. Darauf wurde plötzlich ein Formfehler entdeckt, es folgte eine zweite Offert-Einladung – diesmal mit einer Klausel versehen, die ausländische Interessenten praktisch ausschliesst.
Mit dem vielen Geld, das ihm Investoren nachwerfen, ist seine Kriegskasse noch grösser geworden. Entscheidend ist jedoch, dass er das Ohr der Zentralregierung hat. Er muss sich also kaum mit der Bürokratie herumschlagen, ebenso wenig wie mit den Parlamentskommissionen, in denen Politiker jeweils ihre Stimme zu monetisieren verstehen.
Wenn ich unter meinen Bekannten Klein-Investoren auf den neuen Geldmogul anspreche, gibt es keinen Zweifel: Gautam Adani ist der neue Heilsbringer. Die Kotierungen seiner fünf Infrastrukturfirmen – Energie, Transport, Bergbau, Zement, Strassenbau – haben in den letzten fünf Jahren um 500 bis 900 Prozent zugelegt, sein Flaggschiff-Unternehmen «Adani Enterprises» gar um 2500 Prozent.
Konzentration auf die Infrastruktur
Ob er sich denn auch um die Sozial-Infrastruktur kümmern werde, etwa Wohnen, Bildung, Gesundheit, sei es in Dharavi oder in den (wegen dem Kohleabbau) umgesiedelten Dörfern? Als ich einen bekennenden Adani-Fan darauf ansprach, kam nur ein vielsagendes Schmunzeln und ein trockenes «Let’s see». Wer will sich schon ein Wertpapier entgehen lassen, das in einigen Jahren das Vielfache des Einstiegspreises verspricht?
Mit dem finanziellen Muskel in- und ausländischer Investoren, darunter staatlichen Schwergewichten wie dem LIC, zusätzlich zum offiziell geförderten Ausschalten der Konkurrenz, hat die Konzern-Gruppe in allen diesen Bereichen marktbeherrschende Dimensionen erreicht.
Die Konzentration auf die Infrastruktur ist zudem kein Zufall. Deren Nachholbedarf ist immens, der Sektor ist staatlich subventioniert, er ist durchreguliert und wird vom Zentralstaat kontrolliert, womit die Einflussnahme lokaler und regionaler Körperschaften reduziert wird. Mit Delhi pflegt Adani dagegen enge Kontakte, insbesondere seit 2014 die BJP ans Ruder kam.
Zurückhaltende unabhängige Medien
Die Regierung rechtfertigt diese Parteinahme als Teil ihrer «Navratna»-Strategie. Neun ausgewählte «Planeten» – «Navratnas» – im indischen Unternehmenshimmel sollen aufs Podium der weltweit grössten Konzerne gehievt werden. Zuerst waren dies nur staatliche Firmen, nun taucht auch Adani im Firmament auf.
Für die «Navratnas» wurde eine Reihe von legalen und prozeduralen Abkürzungen geschaffen, die der lokalen und internationalen Konkurrenz Hürden in den Weg stellen. (Zufall oder nicht – der Begriff «Navratnas» bezeichnete auch Höflinge am Hof der Mogulkaiser ...).
Die inzwischen wenigen noch unabhängigen Medien sind sehr zurückhaltend in ihrer Kritik an dieser oligopolistischen Politik, oder wenn es um die Beziehungsnetze zwischen Politik und Unternehmen geht. Im Fall Adanis tun sie es meist indirekt, indem sie immer wieder über Konflikte mit der meist sehr armen Urbevölkerung berichten, die durch dessen Bergbauprojekte ihr Land verlieren.
Solaranlagen schliessen
So ist man denn auf internationale Medien angewiesen, um sich auf die Hintergründe von Adanis rasantem Aufstieg einen Reim zu machen. In einer kürzlichen aufsehenerregenden Reportage berichtete die Washington Post über Adanis «Godda»-Kohle-Kraftwerk im östlichen Indien.
Es verarbeitet Adani-Kohle aus Australien zu Strom und leitet diesen über eigene Stromnetze nach Bangladesch. Auch die Schiffe, die Seehäfen, die Eisenbahn gehören zum Godda-Werk Adani und werden dem bangalischen Kunden separat verrechnet.
Das Blatt zitiert bangalische Energiespezialisten, gemäss denen ihr Land bereits einen Strom-Überschuss produziere. Bangladesch sei nun gezwungen, eigene Werke, darunter solche mit Solarstrom, zu schliessen. Ein bilateraler Staatsvertrag zwinge das Land zur Einfuhr der Adani-Kohle, und ein entsprechender Staatskredit Indiens garantiert den Export – und prompte Überweisungen in die Adani-Kassen.
Kauf des TV-Kanals «NDTV»
Will Adani bei diesen wachsenden Schatten in seinem internationalen Profil auch Informationsflüsse auf seine Schiene lenken? Selbst wer bei ihm ohnehin nicht mehr aus dem Staunen kommt, hatte noch mehr Grund zur Verwunderung, als bekannt wurde, dass er den Kauf des Fernsehkanals «NDTV» plant. Der vierte Artikel im Express bestätigte den Erfolg dieses «Raids».
Unerwähnt blieben dabei die wahrscheinlichen Hintergründe. NDTV ist der älteste private Nachrichtensender des Landes. Es ist ein unabhängiger Kanal, klein, aber dank seines englischsprachigen Programms ein Vorzeige-Medium der liberalen Elite Indiens.
Warum interessiert sich Adani plötzlich für einen Sektor, der überhaupt nicht in seine Geschäftsstrategie passt? Die Welt warte auf einen Fernsehkanal aus dem globalen Süden wie Al Jazeera, der Indiens Stimme in die Welt trage, sagte Adani in einem Interview mit der Financial Times. NDTV sei dafür wie geschaffen. Zudem sei der Preis ein «Pappenstiel» für ihn.
«State Capture»?
Die Hintergründe des Kaufs mögen ein Indiz sein, was das eigentliche Motiv sein könnte. Die Übernahme gelang, weil Adani zu einem Aktienpaket kam, das die hoch verschuldeten Familienbesitzer von NDTV vor elf Jahren gegen einen zinslosen Kredit der Firma Reliance hinterlegt hatten. Sollte das Darlehen nach zehn Jahren nicht zurückbezahlt sein, konnte Reliance-Chef Mukesh Ambani den Anteil von ca. 30 Prozent Gesellschaftskapital in Aktien konvertieren.
Ambani ist auch ein Navratna, er ist ebenfalls ein Gujerati – und der grösste Konkurrent Adanis. Auch er besitzt namhafte Medien-Kanäle, die er auf Regierungskurs gebracht hat. Warum tat er es bei NDTV nicht und verkauft diese Trumpfkarte seinem grössten Konkurrenten?
Darüber rätseln heute und hinter vorgehaltener Hand die indischen Medienschaffenden. Wollte Ambani diese einzige namhafte unabhängige TV-Stimme des Landes am Leben erhalten, um die völlige Gleichschaltung zu verhindern? Ist er den politischen Machtträgern damit nicht (mehr) völlig hörig? Und wird Adani damit endgültig zum Erfüllungsgehilfen eines Staates, der mithilfe dieser Charade seinen Einfluss allmächtig machen will, wie man es bei den Oligarchen in Putins Russland gesehen hat? Die Politikwissenschaft hätte einen Namen dafür: «State Capture».