Er suche nach einem Weg, den Weltstrafgerichtshof zu einer Untersuchung der von der syrischen und der russischen Luftwaffe in Ost-Aleppo verübten Kriegsverbrechen zu veranlassen, erklärte der französischen Aussenminister Jean-Marc Ayrault. Dabei bezog er sich auf eine Rede des Uno-Generalsekretärs Ban Ki-Moon, der die massive Bombardierung des von fast 300’000 Menschen bewohnten Ostteils der Millionenstadt Aleppo als Kriegsverbrechen bezeichnete.
Gegen Straflosigkeit von Kriegsverbrechern
Spätestens seit den vier Genfer Konventionen von 1949, die unter dem Eindruck der Gräuel des Zweiten Weltkriegs geschrieben wurden, weiss man, was ein Kriegsverbrechen ist. Dazu gehören Luftangriffe, die keinen Unterschied zwischen gegnerischen Kämpfern und der Zivilbevölkerung machen. Gerade dies geschieht derzeit in Aleppo.
Der nach jahrzehntelangen Verhandlungen 1998 auf einer Konferenz in Rom geschaffene Internationale Strafgerichtshof hatte zum Ziel, die Straflosigkeit von Kriegsverbrechern in Uniform oder Nadelstreifenanzügen zu beenden. Das Römer Statut trat 2002 in Kraft. Der damalige US-Präsident Bill Clinton unterzeichnete es, doch sein Nachfolger George W. Bush tilgte die Unterschrift ohne Rechtsgrundlage. Zu den anderen Staaten, die dem ICC-Statut nicht beigetreten sind, gehören Russland und Syrien. Sie sind also nicht verpflichtet, sich einem Verfahren des internationalen Tribunals zu unterwerfen.
Allerdings lässt das Römer Statut einen Ausweg offen. Wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den ICC mit einer Untersuchung beauftragt, darf dieser tätig werden. Das setzt allerdings eine gemeinsame Haltung der fünf Vetomächte voraus, zu denen Russland gehört. Auf diesem Wege wurde gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir 2008 ein internationaler Haftbefehl wegen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Provinz Darfur ausgestellt. Baschir befindet sich noch immer in Amt und Würden. Nur seine Freiheit für Auslandsreisen ist eingeschränkt.
Asad wird die Macht nicht abgeben
Im Falle Syriens fordert die Opposition seit langem, Baschar Al-Asad vor das Weltstrafgericht zu stellen. Die Ankläger hätten genügend Material für einen Prozess. Aus pragmatischen Gründen wird ein solches Vorgehen jedoch von den meisten Regierungen als kontraproduktiv empfunden. Wenn Asad keine Alternative zu einer Gefängniszelle in Den Haag hätte, würde er sich umso vehementer an die Macht klammern, lautet ihr Argument.
Aber auch ohne echte Bedrohung durch eine Weltjustiz hält Asad an der Rückeroberung der verlorenen Gebiete mit allen Mitteln fest. Seine Motivierung liegt in der Vorherrschaft der religiösen Minderheit der Alawiten und der wirtschaftlichen Macht des Makhlouf-Clans, von dem er mütterlicherseits abstammt. Diesem sozialen und familiären Druck kann sich der ehemalige Augenarzt nicht entziehen.
Putin braucht keine Verurteilung zu fürchten
Frankreichs Aussenminister Ayrault wird mit seiner Initiative gegen eine Wand rennen. Auch wenn die Juristen des Quai d’Orsay jetzt nach Möglichkeiten suchen, den Chefankläger des ICC mit einer Untersuchung der Kriegsverbrechen in Syrien zu beauftragen, kann Putin ruhig schlafen. Die Russen gehen sogar zum Gegenangriff über. „Es ist gefährlich, mit Worten über Kriegsverbrechen zu spielen, denn diese lasten auch auf den Schultern amerikanischer Verantwortlicher“, erklärte die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa.
Putin braucht wohl bis zum Ende seiner Amtszeit keine Verurteilung durch den Weltstrafgerichtshof befürchten, doch die von den USA und Grossbritannien unterstützte französische Initiative verstärkt seine Isolierung auf der Weltbühne. Im Sicherheitsrat der Uno blockierte Russland einen von Frankreich und Spanien eingebrachten Resolutionsentwurf, der die Einstellung der Bombardierungen in Aleppo forderte, durch sein Veto. Aber nur Venezuela leistete den Russen Gefolgschaft. Selbst China enthielt sich der Stimme. Elf der 15 Ratsmitglieder stimmten für den Entwurf.
Solche Signale werden in Moskau sicher mit Besorgnis registriert. Welcher Preis ist der russischen Regierung das Überleben des Asad-Regimes wert? Man darf Wetten abschliessen, dass Russland jetzt alles daran setzen wird, die Syrien-Verhandlungen wieder aufzunehmen. Diesmal müssen aber die Karten auf den Tisch gelegt werden.