Das Substantiv «Flut» bezeichnet eine grosse bewegte Wassermasse, und das abgeleitete intransitive Verb «fluten» benennt die im Nomen enthaltene Bewegung. Diese wiederum kann auch das Hereinströmen von Helligkeit meinen (die stets lichtdurchfluteten Räume der Immobilienwerbung) oder unkontrollierte Bewegungen von Menschenmassen beschreiben (die Fans, die aufs Spielfeld fluten). Die Seemannssprache kennt das Tätigkeitswort auch in transitiver Form: Eine Schleuse fluten heisst, sie mit Wasser volllaufen lassen. Bau- und Bergleute haben das übernommen und fluten nötigenfalls eine Grube oder einen Stollen.
In Zeiten des Quantitative Easing der Europäischen Zentralbank verblasst dieser Wortgebrauch. Geraten heutzutage metaphorische Wassermassen in Bewegung, so geht es um Märkte, die mit Geld geflutet werden. Das Sprachbild ist dermassen üblich geworden, dass seine Benützer es vermutlich vielfach gar nicht mehr als Metapher durchschauen, sondern für bare Münze nehmen, will sagen: als direkte Beschreibung eines finanztechnischen Vorgangs.
Weil Geld ein abstraktes Gut ist, hat man es schon immer mit bildhaften Ausdrücken greifbarer zu machen versucht. Seine Beweglichkeit und Wandelbarkeit bei Tausch und Handel legten den Vergleich mit Wasser nahe. So kam es zur Liquidität, zu den Finanzströmen, zur Ebbe in der Kasse oder zu dazu, dass Geld in dieselbige gespült wird – und nun eben zu den gefluteten Märkten.
Dieser aktuelle Ausdruck hat neben dem Vorteil der Anschaulichkeit allerdings einen gewichtigen Nachteil. Die Redewendung banalisiert komplexe Abläufe, die selbst für Fachleute nicht vollständig durchschaubar und daher auch nicht vorhersehbar sind. Anders als beim simplen Füllen irgendwelcher Kassen sind wir hier mitten in der hochkomplizierten modernen Finanzwelt. Da wäre aufklärende Information dringend nötig. Doch die meisten Journalisten (wie vermutlich auch viele Politiker) dispensieren sich mit dem pseudo-konkreten Ausdruck «die Märkte fluten» von der Aufgabe, Wirkungen und Probleme des Quantitative Easing wenigstens soweit zu verstehen und zu erläutern, wie sie in der Fachwelt bekannt oder in Diskussion sind. Mit lässig hingeworfenen modischen Begriffen den Insider zu markieren, das reicht halt nicht.