„Agentengesetz in Kraft“, titelte die Frankfurter Allgemeine: „Opposition und Menschenrechtler schäumen.“ Von einer „Schmierkampagne gegen NGOs“ schrieb Amnesty International. Die internationale Empörung und Kritik hatten Kremlchef Wladimir Putin nicht davon abgehalten, ein umstrittenes Gesetz zu unterschreiben, das Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Hilfe aus dem Westen erhalten, als „Agenten“ brandmarkt. Künftig müssen NGOs alle Hilfen aus dem Ausland offenlegen, wenn sie nicht Geld- oder gar Haftstrafen riskieren wollen. Bürgerrechtler sprachen von „Stigmatisierung“ und kündigten an: „Wir werden uns nicht unterwerfen.“
Putins Verschwörungsthese
Die Situation allerdings verdiente mehr als nur unkritische Empörung. Das westliche Verhalten, das ja der Auslöser für Putins „Agentengesetz“ war, verdiente zumindest ebenfalls eine genauere Betrachtung.
Der Stein war letztes Jahr ins Rollen gekommen. Damals war es in den Tagen nach den Wahlen zur Duma, dem Unterhaus der Bundesversammlung Russlands, bei der die Hälfte aller Stimmen auf die Regierungspartei Vereinigtes Russland entfiel, in Moskau, St. Petersburg und zahlreichen weiteren Städten zu den größten Protestkundgebungen im Lande seit der Auflösung der Sowjetunion gekommen. Sie demonstrierten gegen Wahlbetrug und das undemokratische System Putin. Selbst der letzte Staatspräsident der Sowjetunion, Mikhail Gorbatschov wollte die Wahlergebnisse nicht anerkennen: „Ich denke, (Russlands Führung) kann nur eine Entscheidung treffen – die Wahlen annullieren und einen neuen Wahlgang abhalten.“
US-Aussenministerin Hillary Clinton kritisierte, die Wahlen seien „weder frei noch fair“ gewesen, was Ministerpräsident Vladimir Putin scharf zurückwies. „Sie (Hillary Clinton) hat einigen Darstellern in unserem Land den Ton vorgegeben. Sie hörten das Signal und begannen mit Unterstützung des US-State Departments ihre Arbeit.“ Es sei „inakzeptabel, dass ausländisches Geld den Wahlprozess beeinflusst.“
Golos - vom Ausland gesteuert?
Wenige Tage nach den Wahlen, am 8. Dezember, behauptete die russische Life-Nachrichtenseite, sich Zugang zu Internetkorrespondenz zwischen der oppositionellen Wahlrechtsorganisation GOLOS und USAID im Umfang von 60 Megabyte verschafft zu haben. Die Korrespondenz zeige, dass GOLOS der US-Behörde Abrechnungen geschickt hatte, wie es die von USAID empfangenen Gelder verwendet habe. Schon vor den Wahlen hatte NTV einen Dokumentarfilm „Golos niotkuda“ (Stimme aus dem Nirgendwo) gezeigt, in dem GOLOS vorgeworfen wurde, mit Geldern aus dem Ausland, vorrangig aus den USA, Propaganda zu machen.
Tatsächlich erhielten russische Oppositionsgruppen und –Parteien schon seit der Auflösung der Sowjetunion finanzielle und technische Hilfe von den einschlägigen US-Organisationen. So verkündete das International Republican Institute nur wenige Tage vor den Wahlen stolz, den russischen NGOs eine neue Website Winko (http://www.winko.ru/) eingerichtet zu haben. Man hoffe, mit Winko ähnlich wie mit Facebook und Linkedin Synergien innerhalb der NGO-Gemeinschaft schaffen zu können.
Neben Landkarten, Video-Links zu Trainingsmodulen und den Profilen von 50 Organisationen biete die neue Website Verbindung zu den 200 bereits registrierten Nutzern an. Diese Nutzer arbeiten mit USAID oder Partnerorganisationen von USAID, wie Agency for Social Information, Moscow School of Political Studies, Institute of Globalization and Social Movements oder das Tschechtschenische Komitee zur Nationalen Errettung, die allesamt auch mit der CIA verknüpft sind, zusammen. Und natürlich stand auch die National Endowment for Democracy der Opposition finanziell bei, alleine im Wahljahr 2011 mit 2,8 Millionen Dollar.
"Opposition creation business"
Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Demonstrationen auch ohne amerikanische oder andere westliche Hilfe stattgefunden hätten. Ohne die Zuwendungen, die zweifelsfrei an Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands denken lassen, wären die Opposition und die Demonstranten nicht der Gefahr ausgesetzt worden, als „Handlanger des Westens“ beschimpft werden zu können. Es ist dieses fragwürdige „Anglo-American opposition creation business“, wie der englische Guardian einmal formulierte, das berechtigter Opposition und berechtigtem Widerstand oftmals die notwendige Lauterkeit nimmt. In den letzten 20 Jahren lieferten die USA zahlreiche Beispiele für ähnliches Verhalten:
Beispiel Bulgarien
1990 hatte sich der gesamte Ostblock aufgelöst, doch die Bulgaren hatten ihre Lektion immer noch nicht gelernt. Sie wählten in freien Wahlen eine sozialistische Regierung. Also reisten die üblichen Verdächtigen aus den USA an. Die National Endowment for Democracy (NED) und die Agency for International Development (AID) überwiesen 1,7 Millionen Dollar auf die Konten der Opposition, vor allem der Union der Demokratischen Kräfte. Dennoch gewannen die Sozialisten. Also verstärkten NED und AID ihre Bemühungen und schickten der Opposition finanzielle und technische Unterstützung, um mit militanten Demonstrationen, lähmenden Streiks, Sit-Ins, Hungerstreiks und Parlamentsbelagerungen Chaos zu schaffen und die Regierung zum Rücktritt zu zwingen.
Nachdem die sozialistische Regierung aufgegeben hatte, schütteten NED und AID noch einmal ihr Füllhorn bei der Opposition aus, die 1991 endlich die Wahlen gewann. Jetzt erst hatten die „demokratischen Kräfte“ gewonnen, wie NED in ihrem Jahresbericht feststellte.
Albanien und Mongolei
Ein Jahr später wiederholten sich die bulgarischen Erfahrungen in Albanien. Eine kommunistische Partei fuhr bei den Wahlen im März 1991 einen überwältigenden Sieg ein, der sofort die üblichen Folgen zeitigte: weitverbreitete Unruhen und Demonstrationen. Ein dreiwöchiger Streik brachte die Regierung schliesslich zur Aufgabe. Das kleine Albanien war billiger gewesen. NED hatte den Generalstreik der Gewerkschaften mit 80 000 Dollar und die Oppositionsparteien mit 23 000 Dollar finanziert, erhöhte allerdings den Einsatz während des folgenden Wahlkampfes. 1992 rüstete NED die Opposition mit brandneuen Jeep Cherokees aus, amerikanische Diplomaten, sogar der US-Botschafter, begleiteten in aller Öffentlichkeit die Kandidaten der Demokratischen Partei bei ihren Wahlkampfauftritten und machten so auch dem verbohrtesten Linken klar, dass bei einem weiteren kommunistischen Wahlsieg keine US-Gelder zu erwarten seien. Die Demokratische Partei gewann.
Mitte der neunziger Jahre rüstete die NED in der Mongolei, wo 1992 die Revolutionäre Volkspartei (die ehemaligen Kommunisten) die Wahlen gewonnen hatte, die Opposition auf. In den Jahren, die zu den Wahlen 1996 führten, verteilte die NED eine Million Dollar und vereinigte die diversen Oppositionsgrüppchen in einer einzigen Partei. Zwar hatten die Ex-Kommunisten die Staatsunternehmen bereits weitgehend privatisiert und westliche Wirtschaftsreformen durchgeführt, die zu weitverbreiteter Armut und der Zerschlagung des sozialen Sicherheitsnetzes aus kommunistischen Zeiten führten.
Doch dies reichte den neokonservativen Wirtschaftsmissionaren aus Amerika nicht. Die neu geschaffene Nationale Demokratische Union, die auf Anhieb einen Kantersieg schaffte, versprach weitere Privatisierungen, ein freundlicheres Klima für ausländische Investoren und mehr Offenheit gegenüber amerikanischen Nachrichtendiensten. Unter dem Titel „Weisheit der Steppe“ begeisterte sich das Wall Street Journal, dass die Schock-Therapie nun noch schockierender werde.
Unterstützung für Chávez-Gegner
Am 11. April 2002 wurde Hugo Chávez in einem Militärputsch gestürzt. Doch die Mehrheit der Truppe hielt loyal zu dem umstrittenen Präsidenten, beschützte ihn und brachte ihn zwei Tage später ins Amt zurück. Vizeadmiral Molina und Luftwaffenchef Pedro Soto sowie etliche weitere Offiziere, die Chávez‘ Entfernung aus dem Amt gefordert hatten, waren jeweils 100 000 Dollar von einem Konto in Miami überwiesen worden. Einem Bericht des rechtsgerichteten spanischen Thinktanks FRIDE zufolge, der von NED finanziert wird, erhalten die venezolanischen Oppositionsgruppen jährlich zwischen 40 und 50 Millionen Dollar, um ihren Kampf gegen Chávez und die „Bolivarische Revolution“ zu führen.
Von der ausländischen Finanzierung profitieren vor allem Parteien wie die rechtspopulistische Primero Justicia (PJ), die sozialdemokratische Un Nuevo Tiempo (UNT) und die ultrakonservative christdemokratische COPEI. Alle drei Parteien waren an dem Putschversuch vom April 2002 beteiligt. NED oder die US-Stiftung Freedom House beschreiben Chávez Regierung als semi-autoritär. Über die US-Organisationen Development Alternatives, Inc DAI, die Pan-American Development Foundation PADF, das International Republican Institute IRI, das National Democratic Institute NDI, Freedom House, USAID, NED und George Soros Open Society Institute fliessen die Millionen zumeist in wenig demokratische Unternehmungen, die mit Streiks, Destabilisierungsbemühungen, Referenden oder Putschversuch Chávez‘ Sturz betreiben.
Der Fall Ukraine und das Ausland
Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 2004 in der Ukraine waren Viktor Janukowitsch sowie Viktor Juschtschenko. Janukowitsch, der seine Wählerbasis im östlichen Teil des Landes hatte, wollte die Ukraine in die russische Föderation führen. Sein Gegenspieler Juschtschenko, dessen Anhängerschaft im westlichen Teil dominierte, wollte sein Land in die EU und NATO führen.
Also unterstützten die National Endowment for Democracy und andere US-Organisationen Juschtschenko. Zwar ist amerikanischen Institutionen wie der National Endowment for Democracy gesetzlich untersagt, politische Parteien oder Kandidaten direkt zu unterstützen. Das hinderte die NED und andere US-Organisationen jedoch nicht Juschtschenko’s Wahlkampf in den Jahren 2002 bis 2004 und die großen, beinahe täglich stattfindenden Demonstrationen in Kiew mit 65 Millionen Dollar zu finanzieren.
Zum Fall Kirgisien
Mit seiner Weigerung, amerikanische AWAKS in seinem Land zu stationieren, und seinem zunehmend despotischeren Regierungsstil provozierte Kirgisiens Askar Akayev die USA. Also schickte Washington „das ganze Arsenal an amerikanischen Stiftungen und – National Endowment for Democracy, International Republican Institute, Ifes, National Democratic Institute for International Affairs, Eurasia Foundation, Internews und mehr – nach Bishkek“, wie die Asia Times schrieb.
Mindestens 170 NGOs wurden von den USA gegründet oder geschaffen, die unter anderem eine kleine Armee kirgisischer Jugendbanden aufbauten, die mit amerikanischem Geld nach Kiew gebracht wurden, um einen Blick auf die Orangene Revolution zu werfen und „von dem demokratischen Virus angesteckt wurden“. Seit 2002 unterhielt das State Department ein eigenes Verlags- und Druckhaus in Bishkek, wo mindestens 60 verschiedene Titel gedruckt wurden, darunter eine Reihe von kritischen Oppositionszeitungen. Der Oppositionsführer Otunbaeva gab öffentlich zu, „ja, wir werden von den USA unterstützt.“ Die Opposition warf Akayev Wahlbetrug vor und forderte seinen Rücktritt. Als er sich weigerte, mit der Opposition überhaupt zu reden, stürmte die kurzerhand den Präsidentenpalast in Bishkek. Akayev floh und der Westen feierte den Sturz blumig als Tulpenrevolution.
Aristide - Von den USA an die Macht zurückgebracht, und doch ein Opfer
Im Dezember 1990 gewann Pater Jean-Bertrand Aristide, der in Kanada, Griechenland und Israel Theologie und Psychologie studiert hatte, neben Französisch und Kreolisch auch Spanisch, Griechisch, Hebräisch und Englisch sprach, und dem die CIA unter Verwendung gefälschter Dokumente vorwarf, geistig instabil zu sein, die ersten freien Wahlen in der Geschichte Haitis. Im Februar trat Aristide, der Kapitalismus für eine „Todsünde“ hielt, sein Amt als Präsident Haitis an. Er leitete eine Landwirtschaftsreform ein, führte ein rudimentäres öffentliches Gesundheitssystem ein, initiierte eine Alphabetisierungskampagne (90 Prozent der Haitianer waren Analphabeten), fror die Preise für Grundnahrungsmittel ein, versuchte Arbeitsplätze zu schaffen, den täglichen Mindestlohn von 24 Cent auf zwei Dollar anzuheben , gegen die Korruption in der Geschäftswelt anzugehen und den Drogenhandel der Militärs einzudämmen.
Nach weniger als acht Monaten war Aristide gestürzt. Er ging in den USA ins Exil. Unter dem Schutz einer 20000 Mann starken amerikanischen Besatzungsmacht zog er wieder in Port-au-Prince ein. Aristide war zurückgekommen, sein Programm aber hatte er auf Druck der US-Regierung aufgeben und sich für eine freie Marktwirtschaft entscheiden müssen. Im November 2000 wurde der verhinderte Sozialreformer jedoch sehr zum Verdruss Washingtons wiedergewählt. Auf der UN-Rassismuskonferenz 2001 in Durban machte er sich noch unbeliebter.
Dort forderten Haitis Repräsentanten von Frankreich die Rückzahlung jener 150 Millionen Goldfrancs, die das Land einst den ehemaligen Kolonialherren als Kompensation für verlorenen Besitz und entgangene Profite hatte bezahlen müssen. Aristide hatte diese Zahlungen als ungerechfertigt verurteilt und die Rückerstattung zusätzlich der angefallenen Zinsen gefordert. Also begann die US-Regierung, eine 600 Mann starke paramilitärische Streitkraft von Aristide-Gegnern mit 1,2 Millionen Dollar zu finanzieren. Die Finanzierung lief über das International Republican Institute (ISI) mit dem offiziellen Verwendungszweck „Förderung der Demokratie in Haiti“.
Angeführt und gesteuert von Kräften des einstigen Diktators Duvalier und seiner Todesschwadronen, den Tontons Macoutes, sowie den US-trainierten Milizionären, formierte sich in den Provinzen Widerstand gegen den Priester. Nach bürgerkriegsähnlichen Unruhen intervenierten die USA im Februar 2004 mit einer Invasionsstreitmacht und schickten Aristide ins Exil.
Support für syrische Oppositionsgruppen
Mindestens seit US-Präsident George Bush 2005 die diplomatischen Beziehungen zur syrischen Regierung abbrach, begannen US-Gelder im geheimen an die syrische Opposition zu fliessen. Zwar schickte Bushs Nachfolger, Präsident Barrack Obama, Anfang 2011 wieder einen Botschafter nach Damaskus, setzte die Zahlungen aber ungeachtet zahlreicher Einwände amerikanischer Diplomaten fort. Im Rahmen seiner Nahost-Partnerschaftsinitiative (MEPI) finanzierte das State Department über den Demokratie-Rat, eine Government Organized Non Governmental Organization (GONGO) in Los Angeles, unter anderem den in London stationierten Satelliten-Kanal „Barada TV“ –so benannt nach dem Fluss Barada, der durch Damaskus fließt –, der gegen die Regierung Präsident Bashir al-Assads gerichtete Propaganda nach Syrien ausstrahlt.
Barada TV arbeitete eng mit einem Londoner Netzwerk syrischer Exilanten der Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung zusammen, die in amerikanischen Botschaftskabeln als zu „liberalen, moderaten Islamisten“ konvertierte ehemalige Mitglieder der Moslembruderschaft beschrieben wurden. Gründer und Direktor von Barada TV ist Ausama Monajed, der Berater des Präsidenten des Syrischen Nationalrats (SNR) und Direktor für Public Relations der Bewegung für Gerechtigkeit und Entwicklung. Der Satellitensender ist nur eine unter zahlreichen Oppositionsgruppen und –organisationen, die Washington finanziell unterstützt.
„Wir unterstützen eine Reihe von Prinzipien“, erklärte Tamara Wittes, eine Deputy Assistent Secretary of State, im Büro für Nahost-Angelegenheiten zuständig für „Demokratie und Menschenrechte“, in der Washington Post die Haltung der US-Regierung. „Es gibt in Syrien und anderen Ländern viele Organisationen, die einen Regierungswechsel anstreben. Das ist ein Ziel, an das wir glauben, und das wir unterstützen.“