Rahmanzadeh wirft dem Ayatollah vor, den Ausverkauf des Landes zu betreiben und die Iraner und Iranerinnen „durch Vergewaltigung, Inhaftierung und Einschüchterung“ zum Schweigen zu bringen.
Am Anfang seines Briefes erinnert Rahim Rahmanzadeh*) den mächtigsten Mann des Iran an dessen Äusserung vor der Übernahme der Verantwortung für die Geschicke des islamischen „Gottesstaats“. Nach dem Tod von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini hatten die staatstragenden Geistlichen den damaligen Präsidenten Ali Khamenei als dessen Nachfolger vorgeschlagen. Khamenei reagierte damals darauf mit den Worten: „Blut muss weinen, wer in Betracht zieht, jemandem wie mir das Amt des Landesführers anzuvertrauen.“
„Seitdem haben wir aus Ihrem Munde kein einziges wahres Wort mehr vernommen“, schreibt Rahmanzadeh heute an den Ayatollah.
Auch der Iran habe seither eine Rückentwicklung vorgenommen. Khamenei habe „aus einem eindrucksvollen, völlig intakten und achtbaren Flaggschiff ein seeuntüchtiges Wrack gemacht“, das in den Stürmen der durch das Regime verursachten Katastrophen ziel- und orientierungslos dahintreibe, schreibt der gebürtige Iraner und ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie.
„Irans Reichtum verschenkt“
Der Mediziner wirft dem Führer der Islamischen Republik vor, staatliche Gelder in Syrien, Irak, Libanon, Jemen und Venezuela auszugeben, obwohl „Ihre eigenen Statistiken besagen, dass 60 Millionen Menschen im Land finanzieller Hilfe bedürfen“.
Im November letzten Jahres hatte die Regierung von Staatspräsident Hassan Rouhani 60 Millionen der 83 Millionen Iraner staatliche Zuschüsse versprochen. Nach Angaben des Ministeriums für Arbeit und soziale Wohlfahrt benötigen so viele Menschen in der Islamischen Republik staatliche Hilfe.
Rahmanzadeh weist auch darauf hin, dass trotz aller Einschränkungen zahlreiche Iraner und Iranerinnen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen internationalen Ruhm erlangt hätten und fragt Khamenei: „Haben Sie, umgeben von Militärs und sogenannten Volksvertretern, dem Volk ausser Bestechung, Diebstahl, Lügen und Unterschlagung Errungenschaften vorzuweisen, auf die Sie stolz sein können? Geniesst auch nur einer unter den namenlosen Politikern, Armeeführern und Soldaten in Ihrem Umfeld international oder zumindest in Irans Nachbarschaft Respekt?“
Der international anerkannte Chirurg kritisiert die Zusammenarbeit der iranischen Regierung mit einigen Ländern, speziell nennt er China, als „Ausverkauf des Iran“. Laut Medienberichten beabsichtigt China, im Rahmen eines 25-jährigen Vertrages mit der Islamischen Republik etwa 400 Milliarden US-Dollar im Iran zu investieren. Dies hat in den letzten Monaten zu einer Protestwelle in den sozialen Medien geführt. Selbst der ehemalige Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat das Vorhaben der iranischen Regierung kritisiert.
Vergleich mit dem „Islamischen Staat“ (IS)
Rahmanzadeh, Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse, tadelt das Staatsoberhaupt, weil in dessen Namen und mit seiner Billigung Protestler*innen umgebracht und ihre Hinterbliebenen „durch Vergewaltigung, Inhaftierung und Einschüchterung zum Schweigen“ gebrachen würden. „Ist das Ihre muslimische Güte?“, fragt Rahmanzadeh, und: „Welcher Unterschied besteht eigentlich zwischen Ihnen und dem Islamischen Staat?“
Rahmanzadeh beschuldigt Khamenei, „masslos“ diverse Verbrechen gegen die unzufriedenen Iraner sowie „Verrat, Irreführung, Lüge und den Ausverkauf der Nation“ betrieben zu haben: „Vielleicht haben der Iran und seine Geschichte Sie ja ausgespien, damit alle sehen können, was dem Land im Magen liegt.“
Der Mediziner zitiert den iranischen Aussenminister Mohammad Javad Zarif – „zur Umgehung der internationalen Sanktionen haben wir 35 Milliarden Dollar Bestechungsgelder gezahlt, doch über den Verbleib des Geldes wissen wir nichts“ –, um auf die Doppelmoral der Machthaber hinzuweisen: „Zugleich lassen Sie einem armen Mann in Khorassan, der von der Hand in den Mund leben muss, die Hand abhacken, weil er ein Schaf gestohlen hat.“
In seinem Brief stellt Rahmanzadeh dem Führer der Islamischen Republik weitere Fragen: „Sind Sie Landesführer geworden, um sich – mit Schmiergeldern aus dem Landeshaushalt – den Status als Held aller Terroristen der Welt erkaufen zu können?“, „Finden Sie es ehrenhaft, Stolz und Selbstvertrauen der Menschen im Land zu brechen?“, „Glauben Sie eigentlich das, was Sie sagen?“, „Glauben Sie an Himmel und Hölle? Wenn ja, wohin kommen Sie wohl eines Tages?“
Khamenei habe sich hinter vielen Mauern verschanzt, weil er genau wisse, was er dem Land und seinen Bewohnern angetan habe. Auch andere Entscheidungsträger im Iran lebten „in Angst und Schrecken, weil jeder seinen Nächsten fürchtet“, schreibt Rahmanzadeh und gibt Khamenei am Ende seines Briefes den Rat, sich „weitere historische Schande und Schmach“ zu ersparen, den Iran zu verlassen und die Geschicke des Landes Fachleuten zu überlassen. Die iranische Jugend „und alle, die ein Herz für unsere Nation haben“, würden „den Wiederaufbau“ des Landes bewerkstelligen, selbst wenn sie für dessen neue Fundamente ihre „Knochen verwenden müssten“ – eine Anspielung auf das Gedicht „Heimat, ich werde dich wiederaufbauen“ der beim islamischen Regime in Ungnade gefallenen iranischen Dichterin Simin Behbahani.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal