Das Gedicht von Tagore beginnt so: "Where the mind is without fear and the head is held high/Where knowledge is free/Where the world has not been broken up/Into fragments by narrow domestic walls/..../Into that heaven of freedom, my father, let my country awake’".
Verzweiflung über die Militärherrschaft in Pakistan
35 Jahre später, als die politische Freiheit errungen war, kam aus Pakistan dieses Echo zurück: Dieses dunkle Licht, dieser nachtbeschmutzte Tagesanbruch/Es ist nicht der Morgen/Auf den wir so sehnlich gewartet haben. Es war die Stimme eines jungen Dichters, Faiz Ahmed Faiz, der mit Wort und Schrift für die Gründung Pakistans gekämpft hatte, um dann zu erleben, dass die Spaltung des Subkontinents in zwei Nationen auch zu „einem Schnitt durch das Herz“ geführt hatte.
Sie gipfelte in einer Schlächterei, als Millionen von Muslimen auf ihrem Trek in die neue Heimat auf eine ebensogrosse Anzahl von Hindus und Sikhs stiessen, die in der Gegenrichtung unterwegs waren. Anderthalb Millionen Menschen sollen im Herbst 1947 ums Leben gekommen sein.
Und schon bald nach diesem ‚nachtbeschmutzten Morgen‘ konnte Faiz auch seinen Kopf nicht mehr stolz hochhalten, als Pakistan von den Militärs übernommen wurde: ‚Begrabe mich, oh mein Land, unter Deinen Pflastersteinen/wo man nicht mehr erhobenen Haupts zu gehen wagt/Wenn einer Deiner Liebhaber auf die Strasse geht/muss er den Blick senken/Die Steine sind festgefügt, die Hunde los.‘
Neu an dieser lyrischen Stimme war, dass sie in der Form des klassischen persischen Ghazals ertönte, im Rhythmus wie den Bildern. Doch nun konnte die stille Öllampe des Dichters einen Brand entfachen, und der enthuschende Schatten der Geliebten im Garten konnte eine Frau, Gott, Pakistan, oder den Polizeispion meinen. Denn, so Faiz: ‚Was soll ein Vers/Wenn er nicht ein Licht auf die Erde wirft/Es gibt andere KÜmmernisse auf dieser Welt als nur die Liebe/und Vereinigung ist nicht die einzige Lust.
Inoffizieller Nationaldichter
Der feinsinnige Poet war ein ‚engagierter Träumer‘, ein ungebärdiges Mitglied der Kommunistischen Partei, Chefredaktor der linken ‚Pakistan Times‘, der gegen Armut, Autokratie und Korruption mobilmachte. Bereits 1951 geriet Faiz fuer vier Jahre in Haft, und mit sukzessiven Militärputschen hielt auch der ‚Karneval der Schmerzen‘ an, und Haftstrafen wechselten ab mit freiwilligem Exil. Oft waren es Andere, die in den beliebten ‚Mushairas‘ – öffentlichen Gedichtabenden – seine Ghazals vortrugen.
In seiner unnachahmlichen Fähigkeit, elegisches Pathos mit kämpferischem Protest zu verbinden, wurde Faiz zum inoffiziellen Nationaldichter Pakistans: Der Stern unserer Feinde erreicht seinen Zenit/Doch was ist schon die kurze Woche, wo sie Gott spielen können/Lass sie doch unsere Kerzen löschen!/Sollen sie den Mond löschen/dann werden wir sie kennen, ihre Macht.
1979, auf dem Höhepunkt der Macht von General Zia al-Haq, wurde das Gedicht ‚Ham Dekhenge‘ – ‚Wir werden es erleben‘ – aus dem Gefängnis geschmuggelt und vor 50‘000 Demonstranten vorgesungen. Es wurde so etwas wie ein ‚We shall overcome‘ für Pakistans Demokratiebewegung. Nach seinem Tod fünf Jahre spaeter, und mit der Rückkehr von Benazir Bhutto von demokratischen Wahlen, verstummte Faiz’ Stimme.
Schleichende "Diktatur der Bärtigen"
Doch nun wird er plötzlich wieder aktuell. Was zehn Jahre erneute Militärdiktatur unter General Musharraf nicht vermocht hatten, scheint die schleichende ‚Diktatur der Bärtigen‘ zu bewerkstelligen. Als am 13. Februar, letzten Sonntag, der hundertste Geburtstag von Faiz gefeiert wurde, wurden im ganzen Land, bis in Kleinstaedte hinunter, ‚Mushairas‘ organisiert. Die ‚Progressive Writers‘ Association‘, deren Mitbegründer Faiz gewesen war und die unter dem islamistischen Verbot von ‚Unterhaltung‘ in jeder Form verstummt war, erwacht plötzlich zu neuem Leben und plant fürr das ganze ‚Faiz-Jahr‘ Veranstaltungen.
Könnte es sein, dass dies eine Plattform wird, auf der sich die liberale Stimme der islamischen Kultur Pakistans, mit ihren Wurzeln im Sufismus ebenso wie in der emanzipatorischen Lektüre des Korans, wieder zu Gehör bringt? Die Veranstaltung in Lahore, Faiz‘ Stadt, am letzten Sonntag wurde so etwas wie eine verdeckte Kampfansage an jede Form von Diktatur und totalitärer Ideologie. Statt Generälen sind es nun fanatische Islamisten, auf die diese Verse gemünzt sind: „Wenn Tinte und Feder mir entwunden werden, soll ich/der ich meinen Finger in mein Blut getaucht habe, mich beklagen/mich beklagen, wenn sie meine Zunge versiegeln, nun da ich einen Mund gefertigt habe/aus jedem Glied meiner Fusskette?
Ein Mörder wird als Märtyrer gefeiert
Keine der vielen Frauen und Männer – auch aus Indien, Bangladesh und Afghanistan waren sie angereist – nannte explizit den Gegner, aber es war auch nicht nötig. Salman Taseer, der Gouverneur des Punjab, der am 4. Januar fuer seine Kritik am Blasphemiegesetz von seinem Leibwächter erschossen wurde, war ein Neffe von Faiz gewesen. Er hätte das Faiz-Festival in Lahore eröffnen sollen. Nun wurde es halb zu einer Gedächtnisveranstaltung für ihn.
Doch das war sekundär. Was heute zählt ist: Jede Gerichtsverhandlung, in der dessen Mörder Mumtaz Qadri auftritt, wird für diesen zu einem kleinen Triumphzug. Noch immer bewerben sich Hunderte von Anwälten für das Verteidigungsteam. Was zählt, ist dass der Innenminister – aus Taseers ‚liberaler‘ Bhutto-Partei – schwört, er werde jeden Gottesverächter eigenhändig erschiessen. Sein Chef, Premierminister Sayed Geelani, doppelte nach, er sei ja ein ‚Sayed‘, ein Abkomme des Propheten. Wie könne er da für eine Gesetzesänderung eintreten?
Und als ein Senator eine Einladung erhielt, an einer Trauerfeier fuer ‚Shaheed Taseer‘ – den Märtyrer Taseer – teilzunehmen, teilte er mit, er werde gegen die Veranstalter den Blasphemievorwurf erheben. Denn wie kann ein Verächter des Islam wie Taseer die Märtyrerkrone verdienen?
Festakt oder Trauerfeier?
Derweil lebt Sherry Rahman, die mutige Frau, die einen Revisionsantrag gegen das Gesetz eingebracht hat, in Karachi in einem Bunker. Sie erhalte, sagt der Zivilrechtler und Nuklearphysiker Pervez Hoodhboy, zwei Todesdrohungen – pro Stunde. War es am letzten Sonntag für Salima Hashmi, Tochter von Faiz, Cousine von Taseer – ein Festakt oder eine Trauerfeier? Sie halte sich, sagte sie, an Gedichten wie ‚Ham Dekhenge‘ fest, das davon spricht, wie die ‚riesigen Berge der Tyrannei wie Baumwollknäuel zerblasen werden‘: „Seine Gedichte benennen die Bürden der Vergangenheit, aber sie besingen auch das Versprechen der Zukunft. Sie helfen uns, die Unmöglichkeit der Gegenwart zu leben“.