Oder dass im US-Gliedstaat Georgia ein Polizeichef mit einem Taser auf eine 87-Jährige schoss, weil sie beim Schneiden von Löwenzahn ein Messer in der Hand hielt?
Ist Ihnen womöglich entgangen, dass das von der Karlsruher Polizei in Obhut genommene Eichhörnchen, das sie Karl-Friedrich getauft hatten, in Tat und Wahrheit ein Weibchen ist und jetzt Pippilotta heisst? Haben Sie etwa verpasst, dass die indische Schauspielerin Priyanka Chopra und der US-Sänger Nick Jonas sich verlobt haben? Und stellen Sie sich das mal vor: Der deutsche Sänger Clueso hat keinen Führerausweis! Sein Berufskollege Jürgen Drews dagegen einen Magen-Darm-Infekt, der ihn ins Krankenhaus gebracht hat.
Nicht aus irgendeinem Käseblatt
Woher ich das alles weiss? Aus der Zeitung natürlich. Nicht aus irgendeinem Käseblatt, einer Gratiszeitung oder einer Hochglanzpostille, sondern aus der grössten seriösen Zürcher Tageszeitung.
Nun bin ich ja durchaus der Meinung, unterhaltendes Kurzfutter dürfe auch in einer sogenannten Qualitätszeitung ihren Platz haben. So wenig wie der Mensch von Brot allein lebt, möchten wir Leserinnen und Leser ausschliesslich schwer verdauliche Kost aus Politik und Wirtschaft vorgesetzt erhalten. Schon gar nicht, wenn die entsprechenden Berichte aus nah und fern einen mit dem beklemmenden Gefühl zurücklassen, die Welt werde vom Wahnsinn oder zumindest von Wahnsinnigen regiert.
Ein paar süffige «good news» und Dinge, die die Welt nicht wissen muss, können durchaus helfen, nicht gänzlich in Schwarzmalerei und flächendeckenden Pessimismus zu verfallen. Aber Karl-Friedrich oder Pippilotta Eichhörnchen? Der fehlende Führerausweis eines singenden Irgendwer? Die Verlobung von zweien, deren Namen ich zwar noch nie gehört, die ich dafür aber schon wieder vergessen habe, bevor ich sie fertig gelesen habe? Die Diarrhö eines alternden Ex-Schlagerstars? Also echt jetzt!
Wer liest denn solches Zeugs überhaupt?
Kürzlich habe ich im Dokfilm «Die vierte Gewalt» des Schweizer Filmemachers Dieter Fahrer eindrücklich die Konsequenzen des Kahlschlags in der Presselandschaft, des Wettbewerbs mit den digitalen Medien und des teilweise rabiaten Stellenabbaus in den Zeitungsredaktionen vorgeführt erhalten. Seither wundere ich mich weniger, dass vermischte Meldungen wie die obigen aus Effizienzgründen ungefiltert, wie es scheint, aus Presseagenturen im gedruckten Blatt landen.
Gehalt und Relevanz spielen aus Zeitgründen nur noch eine Statistenrolle, Hauptdarsteller sind Neugier, Sensationslust (auch auf Nicht-Sensationelles) und vielleicht auch eine gewisse Denkfaulheit der angepeilten Leserschaft.
Damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Wer liest denn solches Zeug überhaupt? Und weshalb? Ich, zum Beispiel. Und mit mir unzählige andere. Gefordert von Beruf, Familie, Verpflichtungen und permanenten Freizeitaktivitäten hat es etwas Entspannendes, zur Ablenkung einige Minuten lang in den Suppenteller anderer zu gucken, sich damit zu trösten, dass es «denen» auch nicht besser geht (siehe Jürgen Drews), sich zu fragen, wie lange wohl die publizierte Verlobung halten wird, den Kopf zu schütteln über die unglückliche Löwenzahnsammlerin oder sich zu freuen, dass das Eichhörnchen bei der Polizei gut aufgehoben ist – und das alles auch gleich wieder zu vergessen.
Kölner Kriminalbiologe als Vorbild
Von den Gratiszeitungen auf oberflächliche Informationsbeschaffung getrimmt, vom Internet daran gewöhnt, noch die kleinste Kleinigkeit aus irgendeiner Ecke der Welt in Sekundenschnelle hausgeliefert zu erfahren, lassen wir uns auch mit den Lappalien der Sammelsurium-Seite berieseln, weil sie perfekt in unser heutiges Medienverhalten passen. Ein Verhalten, das oft weniger vom Gehalt der Nachrichten als vielmehr von deren unüberschaubarer Menge und dem Non-stop-Rhythmus, in dem sie eintreffen, bestimmt wird.
Dass das angesprochene Blatt uns auch weiterhin mit Nichtigkeiten bedient, die weder das Papier, auf dem sie stehen, noch die verbrauchte Druckerschwärze wert sind, ist wohl nicht zu verhindern. Hingegen liegt es an uns Leserinnen und Lesern, uns öfter vor der Lektüre zu fragen, welchen Informationen wir unsere Aufmerksamkeit überhaupt schenken wollen. Und zur Entlastung unserer sowieso beschränkten geistigen Aufnahmekapazität bei gar manchen so zu verfahren wie der Kölner Kriminalbiologe mit dem «Tatort»: ignorieren!