Gott ist ein Konzept, mit dem wir unser Leid messen. Nicht schlecht, John Lennon, dieser Liedstrophe begleitet mich schon lange. Hinter all dem steht ja die Frage: Wenn wir Menschen mehr sind oder mehr um uns ist, als wir selbstreflektierend zu erfassen vermögen, gibt es dann nicht ausser- oder oberhalb von uns etwas, das man auf Deutsch mit dem Begriff Gott bezeichnen?
Untaugliche Beweise
Seit sich der erste Höhlenbewohner als zur Selbstreflexion fähiges Subjekt und damit gleichzeitig Objekt seiner selbst erkannte, gibt es eine tausendjährige Geschichte von Gottesbeweisen. Sehr hübsch von Kurt Gödel ontologisch formuliert, kausal, mit Kontingenz, teleologisch oder einfach auf Glauben, Offenbarung, Bibel beruhend. Weiter als Kant kann man da wohl nicht kommen. Zu sagen, dass ein Ding existiert oder ist, fügt ihm keine neue Eigenschaft zu, also ist die Existenz Gottes nicht beweisbar. Dennoch sei es «moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen». Als Beförderung des kategorischen Imperativs, die bis heute wohl bedeutendste Formulierung dessen, was wir unter Moral und Ethik verstehen.
Also wenn Gott als Konzept einen Zweck erfüllt, dann diesen. Aber damit ist allenfalls die Sinnhaftigkeit eines solchen Konstrukts erstellt, keinesfalls die Existenz Gottes bewiesen. Genauso wenig widerlegt, aber deswegen sprechen wir ja von Glauben, nicht von Wissen. Damit ähnelt die Gottesfrage durchaus unserer Überlegung, ob denn eigentlich im Universum auch anderswo noch intelligentes, menschenähnliches Leben existiert. Nur mit dem Unterschied, dass wir das höchstwahrscheinlich in unserer Lebensspanne nicht herausfinden werden. Aber vielleicht die Menschheit irgendwann schon. Das ist bei der mit dem Jüngsten Gericht postulierten Endlichkeit der religiösen Zeitmessung anders.
Das Endliche
Nun hat das sich selbst erkennende Subjekt ein dramatisches Problem. Es muss zur Kenntnis nehmen, dass diese Fähigkeit endlich ist, obwohl sie ja doch allumfassend ist. Das uns Umgebende gab es schon vor uns, es wird auch nach uns noch da sein. Wir aber nicht. Da kann es doch nicht sein, dass nach Absolvierung unserer Lebensspanne nichts von uns übrigbleibt; höchstens Erinnerungen von anderen, und auch die verwehen und vergehen irgendwann. Von wenigen Ausnahmen abgesehen weiss niemand mehr, wer seine Ururgrosseltern waren, wie sie lebten, was sie taten.
Diese erschreckende Erkenntnis führt zum verständlichen Wunsch eines Nachlebens, einer irgendwie gearteten Wiederauferstehung, in unserem Religionskreis mythologisch dargestellt an Ostern. Und ein solches Nachleben setzt den Glauben an die Existenz einer höheren Macht voraus. Aber hier ist Glauben nur Hoffnung, Trost gegen die Angst vor dem Endlichen. Wem’s hilft, wohlan. Solange er keine Scheiterhaufen errichtet, um andere zu zwingen, auch daran zu glauben, soll da jeder nach seiner Façon glücklich werden.
Und die anderen?
Wer daran aber nicht glaubt, was bleibt dem? Gott als Konzept, als moralische oder ethische Richtschnur für das eigene Handeln, die Furcht vor ewiger Verdammnis nach schlechten Taten, die Hoffnung auf ewiges Paradies nach rechtschaffenen Taten. Also letztlich die Externalisierung einer Richtschnur für das eigene Handeln, mangels eigener Fundamente. Weil man selbst nicht sicher ist, ob man immer zwischen falsch und richtig, moralisch formuliert gut und böse, unterscheiden kann, delegiert man das an eine postulierte übergeordnete Macht, die sich in uns verständlicher Form geoffenbart haben soll.
Ein kleiner Mönch namens Ockham entging im Mittelalter nur knapp dem Scheiterhaufen, als er in aller Gottesfurcht und im Bestreben, ein gutes intellektuelles Werk zu tun, auf eine einfache Frage kam. Er fragte sich, warum eine Rose wächst, blüht, verwelkt und zu Staub zerfällt. Während unser Wort, mit dem wir ihre Existenz fassen, unverändert die Zeiten übersteht. Wieso also der Name der Rose nicht das Gleiche ist wie die Rose.
Das war noch intelligent, aber harmlos. Der nächste logische Schritt war jedoch brandgefährlich: Wenn das so ist, und wenn wir das auch auf das beispielsweise in der Bibel geoffenbarte Wort Gottes anwenden, wie können wir da sicher sein, dass das Wort Gottes und Gott deckungsgleich sind? Heute hat man immerhin in einigen Gegenden der Welt das Privileg, nicht verbrannt oder gesteinigt zu werden, wenn man sagt: Damit erledigt sich die Bibel als Richtschnur, als Quelle der Wahrheit restlos.
Was bleibt
Was bleibt, ist man selbst. Das ist nicht viel, aber es muss genügen. Was bleibet aber, schufen die Dichter, damit tröstete sich Hölderlin, und als sei das aus anderer Zeit zu ihm herübergeweht, fasste es Bertolt Brecht in eines seiner grössten Gedichte; «Gegen Verführung»:
Laßt Euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.
Laßt Euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in vollen Zügen!
Es wird Euch nicht genügen,
wenn Ihr es lassen müßt!
Laßt Euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.
Laßt Euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann Euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher.